"Omas for Future"-Gründerin Cordula Weimann: "Frauen über 50 unterschätzen, wie wichtig sie sind"

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Cordula Weimann, 65, hat die Umweltbewegung “Omas for Future” gegründet – weil sie überzeugt ist, dass es Frauen mit Lebenserfahrung braucht, um die Erde zu retten. Wie kommt sie darauf?

An ihrem 60. Geburtstag feierte Cordula Weimann ein “Lebenswendefest” –  sie wollte einen Schlussstrich unter ihr stressiges Unternehmerinnendasein ziehen, von nun an sollte es nur noch um sie gehen. Doch als sie in die Augen ihres kleinen Enkels blickte, spürte sie, “dass die Kinder uns vertrauen, ohne zu ahnen, wie furchtbar sie von uns enttäuscht werden”. In diesem Moment war für die Leipzigerin klar: “Ich kann die Erde nicht retten, aber ich versuche es wenigstens.” 2019 gründete sie die Umweltbewegung “Omas for Future”, denn sie ist überzeugt: Um die Klimawende hinzubekommen, braucht es Frauen ab 50. 

BRIGITTE: Frauen über 50 erleben im Alltag Unsichtbarkeit und Ausgrenzung, und die Schlüsselpositionen in Wirtschaft und Politik sind größtenteils von Männern besetzt. Trotzdem sagen Sie: Wir sind mächtig und die Erde braucht uns. Was macht Sie so sicher?  

Cordula Weimann: Wenn jemand den führenden Köpfen in Wirtschaft und Politik auf Augenhöhe begegnen kann, dann wir Frauen 50 plus. Wir haben mit denen im Sandkasten gespielt und schon in der Schule gemerkt, dass wir im Unterricht besser sind als sie. Wir lassen uns nicht sagen, “Komm du erst mal in mein Alter, mach du erst mal meine Erfahrungen”. Nee, wir sind genauso alt wie ihr und wir haben unsere Erfahrungen gemacht. Zahlenmäßig sind wir sogar überlegen: 56 Prozent der Wähler:innen sind über 50, und weil Frauen durchschnittlich länger leben als Männer, sind wir in diesem Segment in der Mehrheit. Unser Fühlen, Denken und Wissen muss endlich zur Entwicklung der Gesellschaft beitragen, sonst kriegen wir die Klimawende nicht hin. Im alten System an ein paar Stellschrauben zu drehen, wird nicht reichen. 

Was ist denn das Besondere am Fühlen, Denken und Wissen von Frauen? 

Wir Frauen sind nah dran an dem, was im Leben wirklich wichtig ist: am Menschen. Das zeigt sich schon daran, dass fast 90 Prozent der Angestellten in Pflege und Pädagogik Frauen sind. Und wir wissen alle, dass irgendwas falsch läuft. Wir wurden geboren, um in Freude zu leben und nicht, um Geld zu verdienen. Da muss umgedacht werden und dafür brauchen wir die Frauen. Wir brauchen wieder das Bewusstsein, dass wir auf der Erde sind, um uns schöpferisch zu entfalten. 

Wenn wir so wichtig und zahlreich sind – warum fühlen wir uns dann häufig an den Rand gedrängt?

Weil wir Frauen unterschätzen, wie wichtig das ist, was wir fühlen und welche Lebenserfahrung wir mitbringen. In Politik und Wirtschaft ordnen wir unsere Erfahrungen denen der Männer unter. Dabei ist unser Wissen genauso relevant, und das müssen wir für den Wandel artikulieren und auch laut dabei werden. 

Wie können wir unsere Macht denn konkret nutzen, um die Gesellschaft positiv zu verändern?

Zunächst einmal können wir im Alltag darauf hinweisen, dass wir auf das falsche Pferd gesetzt haben und Konsum nicht glücklich macht. Wir werden durch Werbung gebrainwashed, die unser ureigenstes Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Beziehung und Geliebtwerden an Produkte koppelt. Das können Produkte aber nicht erfüllen, das kriege ich nur durch das unmittelbare Menschsein hin. 

Was meinen Sie damit?

Es geht darum, wieder lokal funktionierende, aktive Gemeinschaften aufzubauen, in denen die Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Wir alle haben gelernt: Die Politik macht das schon. Die kümmert sich um unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und unsere Ausbildung. Wir Bürger:innen brauchen nur brav zu folgen und ordentlich zu konsumieren. Damit haben wir uns bequem eingerichtet und die Macht an ein paar Leute abgegeben. So funktioniert Demokratie aber nicht. Wir müssen uns diese Macht zurückholen, indem wir anfangen zu handeln. In dem Moment, wo ich mich selbst ermächtige, bin ich auch automatisch zufriedener, denn ich kann mein Leben wieder selbst regeln. 

Und wie hole ich mir diese Macht zurück?

Nehmen wir das Beispiel Ernährung. Ich kann mich selbst nachhaltiger ernähren und außerdem zum Bürgermeister sagen: Wir möchten ein anderes Angebot in den Schulküchen. Oder ich tue mich mit Nachbar:innen zusammen, um Gemüse anzubauen oder eine kooperative Landwirtschaft zu gründen. Vor allen Dingen sollte man offen dafür sein, wenn andere das machen. Also zu sagen: Ja, das unterstütze ich, ich bestelle da jetzt meine Gemüsekiste, oder ich kaufe wieder direkt beim Bauern und lasse mir das Essen nicht mehr von Lieferando bringen. Es geht darum, unseren Alltagsraum wieder zu unserer Nährzelle zu machen, wo wir gemeinschaftlich erschaffen, was wir zum Leben brauchen. Ich finde das so schön bei diesen Dorfprojekten, die es ja längst gibt, wo zwei, drei Leute die Initiative ergreifen und beispielsweise sagen: So viele alte Leute sitzen in ihrem Haus und kochen nicht richtig oder kriegen ihr Essen geliefert. Lasst uns doch einen Kochkreis machen, und die Leute kommen dann mittags zum Essen zu uns.

Das klingt sehr schön. Aber gerade Frauen haben häufig einen herausfordernden Alltag.  Wie sollen sie die Energie und Zeit dafür aufbringen, Gemüse anzubauen oder das halbe Dorf zu bekochen?

Das stimmt, besonders Frauen ab 50 sind häufig enorm eingebunden. Sie arbeiten noch und haben zum Teil schon Enkelkinder. Oft sind auch noch Eltern da, die gepflegt werden müssen. Aber wir verwechseln Entspannung häufig mit Bequemlichkeit. Abends hängen wir vor dem Fernseher oder dem Internet und gehen hinterher abgeschlafft ins Bett. Denn das Leben will keine Bequemlichkeit. Der Wissenschaftsjournalist Bas Kast hat mal gesagt: “Hinterm Schweinehund wohnt das Glück.” Es geht darum, den Schweinehund zu überwinden und zu sagen: Ich könnte jetzt den Fernseher anmachen, aber ich treffe mich jetzt mal mit vier Frauen und vielleicht können wir ja anregen, dass wir Gemüse anbauen, statt im Supermarkt die Zwiebeln aus Ägypten zu kaufen. Wichtig ist, dass man etwas in Gemeinschaft tut. 

Weil das glücklicher macht?

Wenn ich in Gemeinschaft an einem Projekt arbeite, wo am Ende ein Ergebnis rauskommt, nährt mich das. Wir müssen vom Gefühl der Vereinsamung, Entfremdung und Abhängigkeit von externen Netzwerken wegkommen. Als ich klein war, saßen die alten Menschen noch am Fenster und machten einen Spaß mit uns. Dann kam das Fernsehen mit dem Nachmittagsprogramm und die Fenster blieben zu. Wie Vereinsamung entsteht, haben wir auch in der Corona-Pandemie gesehen. Wir haben heute ganz viele Menschen, die so einsam sind, dass man sie ermutigen muss, überhaupt rauszukommen. Die muss man wirklich wieder in ihre Kraft bringen und ihre eigene Wirksamkeit spüren lassen. Und genau das schaffen wir bei den Frauen 50 plus – die “Omas for Future” sind ein richtiges Frauen-Empowerment-Programm!

Wie das?

Gerade Frauen ab 60 trauen sich häufig wenig zu. Die konnten selten ihrem Wunschberuf nachgehen, weil sie sich um die Kinder gekümmert haben. Bei uns merken sie auf einmal: Doch, das kann ich, und es macht mir sogar Spaß! Mit der Bürgermeisterin reden, Interviews geben, Vorträge halten – Dinge, die sie sich vorher nie zugetraut hätten. Sie erleben: Ich entwickle Potenziale, von denen ich gar nicht wusste, dass ich sie habe, und habe sogar noch Freude daran. Und vor allen Dingen weiß ich jetzt: Es ist wichtig, was ich denke und fühle, und es ist wichtig, dass ich es ausspreche.

© Scorpio

In ihrem Buch “Omas for Future – Handeln! Aus Liebe zum Leben” zeigt Cordula Weimann den Frauen ihrer Generation, wie sie sich für eine lebenswerte, nachhaltige und klimaneutrale Zukunft ihrer Kinder und Enkel einsetzen können (Scorpio Verlag, 20 Euro).

Info: Die mehr als 80 Regionalgruppen von “Omas for Future” sind mit Infoständen auf Veranstaltungen und in Vereinen und Schulen aktiv, um Menschen zu motivieren, den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit mitzugestalten (omasforfuture.de).

Source: Aktue