Optimistisch bleiben: "Negative Nachrichten senken unseren IQ"

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… und versetzen uns in ständige Mini-Alarmbereitschaft. Neurowissenschaftlerin Maren Urner weiß, wie wir aus diesem Strudel mit kleinen Verhaltensänderungen wieder herauskommen.

Gefühlt besteht die Welt nur noch aus Krisen. Doch das stimmt so nicht. Denn wegen all der schlechten Nachrichten hat sich unsere Wahrnehmung ins Negative verschoben. Wir können aber lernen, das Leben wieder mit anderen Augen zu sehen. Plus: 50 gute Nachrichten, die dabei helfen.

BRIGITTE: Mein Morgen startet meist so: Ich greife nach dem Handy und schaue, ob die Welt noch steht. Meist sind die News schlecht. Was passiert dabei in meinem Kopf und Körper?

PROF. DR. MAREN URNER: Ich würde sogar einen Schritt zurückgehen. Schon ehe Sie die News-App öffnen, ist Ihr Negativitäts-Bias aktiv, sie gewichten also negative Infos höher als positive. Das liegt an der Evolution und unserem Gehirn, es soll ja schnell auf Gefahren reagieren können und uns so am Leben halten.

Ich reagiere also heute auf Katastrophenmeldungen genauso wie damals auf den Säbelzahntiger?

Ja, und Ihre Reaktion wird vom Gehirn auf den Körper weitergeleitet. Mit messbaren körperlichen Reaktionen: erhöhter Puls, erweiterte Pupillen, Schweißbildung, eingeschränkte Verdauung.

Aber haben mich die vielen Negativmeldungen der letzten Jahre nicht eher gleichgültiger gegenüber all den Horrornachrichten gemacht?

Sie spüren die Reaktion vielleicht nicht unmittelbar körperlich, aber jede neue Negativmeldung zahlt ein auf Ihr negatives Weltbild, und das setzt eine Kaskade in Gang. Vor allem, wenn der Nachrichtenstrom auf dem Smartphone nicht abreißt. Wir alle sind dadurch permanent in einem Mini-Alarmmodus.

... ist eine Initiative der Bertelsmann Content Alliance, die dazu ermutigen möchte, zuversichtlich zu sein und Zusammenhalt in den Fokus unseres Handelns zu stellen. Optimismus ist dabei ein Schlüssel, der hilft, unsere Welt besser zu machen. Im Mittelpunkt der Initiative stehen Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ebenso wie bekannte Gesichter. Sie vereint ein optimistischer Blick auf Themen wie Demokratie, Vielfalt, Gerechtigkeit, Antirassismus und ein gutes Miteinander.
… ist eine Initiative der Bertelsmann Content Alliance, die dazu ermutigen möchte, zuversichtlich zu sein und Zusammenhalt in den Fokus unseres Handelns zu stellen. Optimismus ist dabei ein Schlüssel, der hilft, unsere Welt besser zu machen. Im Mittelpunkt der Initiative stehen Menschen aus der Mitte der Gesellschaft ebenso wie bekannte Gesichter. Sie vereint ein optimistischer Blick auf Themen wie Demokratie, Vielfalt, Gerechtigkeit, Antirassismus und ein gutes Miteinander.

Und was macht der mit mir?

Er führt einerseits dazu, dass Sie sich hilflos fühlen, andererseits bestätigt er permanent Ihr Urteil über die Welt: Die Probleme sind gigantisch, vor allem weltweit – aber auch im eigenen Umfeld. Dadurch sind Sie auch weniger gut in der Lage, über Lösungen nachzudenken. Es gibt sogar Studien, die nachgewiesen haben: Durch das Schauen von negativen Nachrichtenvideos sinkt kurzfristig unser IQ.

Aber ich sitze doch im sicheren Deutschland und nicht im Katastrophen- gebiet, da kann mich diese Lähmung doch nicht genauso hart treffen.

Sollte man meinen, ja! Aber auch dazu gibt es faszinierende Forschung. Nach dem Anschlag auf den Boston-Marathon 2013 hat ein Team von der University of California zwei Menschengruppen miteinander verglichen: Solche, die bei dem Anschlag vor Ort waren, und solche, die medial viele Infos dazu gesucht haben… Stichwort “Doomscrolling“, also die exzessive Beschäftigung mit negativen Nachrichten. Die zweite Gruppe war sowohl kurzfristig als auch langfristig psychisch gestresster als die, die live dabei waren! Eine Sondersendung über eine Katastrophe ist also unter Umständen sogar eine größere psychische Herausforderung als das Erleben dieser Katastrophe selbst!

Ist also “News Avoidance“, das Vermeiden, die Lösung? So wenig Nachrichten lesen wie möglich?

Am Ende ist beides fatal, weil es auf unterschiedliche Weise die Illusion von Kontrolle erzeugt: Ich gucke Nachrichten, also behalte ich die Kontrolle. Oder ich mache die Augen vor der Welt zu – und behalte so die Kontrolle. Beides ist eine Illusion. Doomscrolling schadet uns, weil wir bei der Vielfalt von Quellen ja gar nicht in der Lage sind, alle Infos über ein Ereignis zu bekommen. Selbst wenn wir uns rund um die Uhr mit nichts anderem beschäftigen würden. Und Nachrichtenvermeidung ist ignorant, weil wir dann nicht mehr in der
Lage sind, handlungsfähig zu sein und uns gesellschaftlich zu engagieren.

Und was ist dann die Lösung?

Ich wünsche mir und unterstütze eine neue Art der Nachrichtenvermittlung, die einordnet und erklärt. Die nicht nur “Was ist Schreckliches passiert?“ fragt, sondern auch “Was nun? Wie geht es weiter?“ Das ist der Grundgedanke des sogenannten “konstruktiven Journalismus“, der nicht nur reißerische Schlagzeilen produziert, sondern auch mögliche Lösungen und Zukunftsperspektiven diskutiert. Hier spielt auch Regulation, vor allem für Plattformen und Apps, eine wichtige Rolle. 

Das klingt nach Zensur, nach: Bitte nur noch positive Nachrichten!

“Aufmerksamkeit ist unsere wichtigste Ressource. Wir sollten sie gezielt einsetzen”

Nein, so meine ich es nicht. Als Neurowissenschaftlerin fordere ich: Lasst uns gemeinsam Strukturen gestalten, die es uns einfacher machen, die Kernaufgabe von Journalismus zu erfüllen, also zu informieren und das Publikum handlungsfähig zurückzulassen. Statt Algorithmen zu programmieren, die unser Suchtverhalten verstärken und die Gier nach der jüngsten Katastrophenmeldung triggern. Als Einzelperson habe ich darauf aber nur einen geringen Einfluss.

Was kann ich denn tun, um mein eigenes Medienmenü verdaulicher zu machen?

Erst mal: Machen Sie sich bewusst, dass Aufmerksamkeit Ihre wichtigste Ressource ist, und dass Sie diese sorgsam einsetzen möchten. Genau so, wie Sie auch beim Essen nicht wahllos alles in sich hineinstopfen. 

50-goodnews

Wie setze ich die Erkenntnis um? 

Wenn Sie bestimmte Nahrungsmittel nicht so gut vertragen, bittet die Ärztin Sie, ein Essenstagebuch zu führen. Hier ist es ähnlich: Sie könnten für eine Weile ein Medientagebuch führen: Wann, wo und wie konsumiere ich eigentlich Nachrichten? Und was und vor allem wie viel tut mir dabei gut – und wie viel nicht?

Um im Bild zu bleiben: Was ist denn der ideale Nährstoffmix?

Es geht darum, sich gute Routinen zuzulegen, sowohl was die Inhalte angeht als auch die Zeiten. Früher war die Routine die Zeitung oder die abendliche Nachrich- tensendung. Seitdem es kein Fernsehprogramm mehr mit Sendeschluss gibt und seltener die Tageszeitung am Morgen die Informationen ins Haus liefert, müssen wir uns Rhythmus und Auszeiten wieder selbst schaffen. Die täglichen Schlagzeilen informieren uns, ja, aber wir brauchen unbedingt auch Langformate, die helfen, News anders einzuordnen. Deshalb sollten wir lernen, Nachrichten bewusster zu konsumieren, und nicht alle fünf Minuten den Newsticker zu checken, nur weil wir gerade ein paar Sekunden oder Minuten unbeschäftigt sind. Dazu gehört auch die richtige Kombination aus Medienformen für einen selbst zu finden.

Wie sieht diese konkret aus?

Das kann zum Beispiel die Kombination sein aus einem morgendlichen Newsletter mit Nachrichten, einem wöchentlichen Podcast, einem gedruckten Nachrichtenmagazin und Sendungen im Radio.

Und wenn ich nun aber doch fünf Minuten Warten auf die Bahn mit dem Newsticker überbrücken will? 

Um nicht ständig unkontrolliert in den Sog des Newsfeeds zu geraten, helfen Medienzeiten-Apps wie “one sec“. Diese App bringt uns dazu, eine Sekunde lang durchzuatmen und zu reflektieren: Will ich jetzt wirklich schon wieder zwischendrin die Weltlage checken oder mich lieber später in Ruhe mit einem relevanten Thema beschäftigen? Bewusstes Ein- oder Abschalten, statt sich von Nachrichten treiben zu lassen – darin liegt echte Freiheit.

Maren Urner (39) ist Professorin an der Media University of Applied Sciences, gründete 2016 das Start-up “Perspective Daily“ für konstruktiven Journalismus und ist Autorin mehrerer Bestseller. Aktuell: “Radikal emotional – wie Gefühle Politik machen“ (288 S., 22 Euro, Droemer).

Source: Aktue