Neurobiologie: Diese Form der Liebe erleben wir besonders intensiv

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Liebe ist nicht nur eine Kraft, die uns mit anderen Menschen verbindet. Sie ist auch eine Erfahrung, die wir als Organismus erleben und die sich in unserem Körper manifestiert – unter anderem in unserem Gehirn. Was dort genau passiert, wenn wir lieben, und welche Liebe mit der stärksten Reaktion einhergeht, haben Forschende aus Finnland untersucht.

Liebe gehört zu den faszinierendsten Erfahrungen, die wir als Menschen erleben können. 

We aren’t the things we collect, acquire, read, schreibt Gabrielle Zevin in “The Storied Life of A.J. Fikry. We are for as long as we are here, only love. The things we loved. The people we loved. Unsere Liebe, so die These der Autorin, macht uns zu den Menschen, die wir sind. (Wir sind nicht die Dinge, die wir sammeln, uns aneignen, lesen. Wir sind, solange wir hier sind, nur Liebe. Die Dinge, die wir liebten. Die Menschen, die wir liebten.)

In der Wissenschaft besteht zumindest Einigkeit darüber, dass Liebe für das menschliche Leben eine zentrale Rolle spielt. Sie stiftet Sinn, vermittelt Wohlbefinden, stellt Bindungen zu anderen Menschen her. Liebe bildet das Fundament für gemeinschaftliches Zusammensein – und das gehört bekanntlich zu den ganz großen evolutionären Vorteilen unserer Spezies. 

So leicht sich nun aber offenbar alle auf die Bedeutung von Liebe einigen können, so schwer tun wir uns oft mit einer unstrittigen Definition. Ist Liebe bedingungslos? Muss sie leidenschaftlich sein? Wen, was und wie viel können wir eigentlich lieben? “Man kann Gott lieben, man kann Schokolade lieben, man kann sogar Heroin lieben”, sagt der finnische Philosoph Pärttyli Rinne von der Aalto-Universität gegenüber dem SWR. “Die Objekte der Liebe sind im Grunde grenzenlos.” Mit einem Forschungsteam der Universität in Helsinki hat der Experte untersucht, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir Liebe empfinden. Und ob unterschiedliche Objekte mit unterschiedlichen Reaktionen verknüpft sind. Um die Antwort darauf schon einmal vorwegzunehmen: Ja, unsere Liebe zu einem Gegenstand wie Schokolade gleicht keineswegs unserer Liebe zu beispielsweise einem Freund. 

Sechs unterschiedliche Arten von Liebe im MRT

Pärttiyli Rinne und sein Team konzentrierten sich in ihrem Forschungsprojekt auf sechs Arten von Liebe: Partnerschaftliche Liebe, Liebe zu den eigenen Kindern, freundschaftliche Liebe, Liebe zu fremden Menschen, zu Haustieren und zur Natur. An der Untersuchung haben 55 Menschen zwischen 28 und 53 teilgenommen – alle Eltern, alle liiert, alle in der Nähe von Helsinki lebend, kulturell also ähnlich geprägt. Mithilfe einer funktionellen Magnetresonanztomographie (MRT) zeichneten die Forschenden die Hirnaktivität ihrer Versuchspersonen auf, während diese unterschiedliche Geschichten zu hören bekamen: Du befindest dich mit deiner Partnerin in der Waschküche und ihr legt gemeinsam Wäsche zusammen. Dir fällt auf einmal wieder auf, was für ein toller Mensch deine Partnerin ist. Du empfindest Liebe für sie, lautete etwa eine der Geschichten. Du liegst auf dem Sofa, deine Katze kommt zu dir, rollt sich neben dir zusammen und schnurrt schläfrig. Du liebst dein Haustier, hieß es in einer anderen. Zum Vergleich konfrontierten die Forschenden die Versuchsteilnehmenden zudem mit Szenarien, in denen von keinerlei Liebe die Rede war.  

Die MRT maß und bildete dabei jeweils ab, welche Hirnregionen bei welcher Geschichte besonders stark durchblutet wurden, also aktiv waren. Wenn nämlich in unserem Gehirn Nervenzellen aktiviert werden, rufen sie von unserem Organismus Energie ab, was über eine verstärkte Durchblutung im Bereich dieser Nervenzellen erkennbar ist. 

Während die MRT bei Geschichten, die eine Versuchsperson ihre Naturverbundenheit spüren ließ, vor allem im Belohnungszentrum eine erhöhte Aktivität – ein Gefühl von Liebe – nachwies, zeigte es bei Szenarien mit anderen Menschen zudem eine Reaktion in den sozialen Regionen unseres Gehirns. Besonders intensiv war diese Reaktion beispielsweise in besagter Waschküche – wenn die Versuchspersonen an ihre partnerschaftliche Liebe dachten und diese empfanden. Eine noch stärkere Resonanz maßen die Forschenden allerdings für die elterliche Liebe. Die Geschichte Du siehst dein Kind zum ersten Mal, es ist das größte Wunder deines Lebens, du fühlst Liebe für dieses kleine Wesen aktivierte neben anderen Regionen als einziges ein Areal im Belohnungssystem, das sich Stratium nennt, wie der Studienleiter zu “National Geographic” sagte. Die Liebe zum eigenen Nachwuchs, so das Ergebnis der finnischen Untersuchung, scheinen Menschen intensiver und sogar kategorial anders zu erleben als alle anderen Arten der Liebe

Menschen lieben unterschiedlich

Eine weitere spannende Erkenntnis lieferten die MRT-Befunde zu den Haustier-Geschichten. Hier unterschieden sich die Bilder der Versuchspersonen nämlich: Während bei Haustierbesitzenden Nervenzellen in den sozialen Bereichen des Gehirns Energie abriefen, blieben die sozialen Areale bei Leuten ohne Haustiere im nicht aktivierten Zustand. Wer tatsächlich Haustiere hatte, spürte eine umfassendere Liebe bei den Haustier-Szenarien als Personen ohne Haustier. Das wiederum heißt: Wie wir Liebe empfinden, ist keineswegs universell. Es ist an unsere Erfahrungen gebunden, an unsere Lebensweise. Die allerdings könnte durch unser Liebesempfinden oder unsere Liebesempfindsamkeit bedingt sein: Wenn die Vorstellung, ein Haustier oder Kind zu haben, in uns nichts auslöst, wird vielleicht die Verwirklichung auch nicht die antizipierte Aktivität bedingen. Womöglich spielt das bei manchen Menschen in ihre Entscheidung gegen Kind oder Haustier mit hinein – und führt sie unter Umständen auf den für sie richtigen Weg. 

Der finnische Philosoph sieht die aktuelle Untersuchung unter seiner Leitung lediglich als ein weiteres Puzzleteil eines ganzheitlichen Verständnisses menschlicher Liebe. Welchen Einfluss die kulturelle Prägung auf unser Liebesempfinden hat, was kinderlose Singles für ihre Schwestern oder Freundinnen empfinden, wieso ein Roman manche Menschen eine stärkere Bindung zu ihrem Leben fühlen lässt als ihr Partner – all das sind Fragen, die Pärttyli Rinne bisher nicht beantworten kann. Doch mit der Liebe befasst er sich erst seit gut 15 Jahren. Und Menschen kultivieren sie seit rund 300.000.  

Source: Aktue