Achtsamkeit: Warum ich nur beim Lesen ein Flow-Erlebnis habe

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Sport? Töpfern? Schach? Warum mein Overthinker-Hirn nur beim Lesen abschalten kann – und in einen Flow kommt.

Wenn Menschen erzählen, dass sie beim Malen, Kochen oder gar Laufen so richtig im Flow sein können, ihren Kopf abschalten und sich ganz dem Tun hingeben, kann ich sie nur fasziniert und ein bisschen ungläubig anschauen. Für mein Overthinker-Hirn ist ein Flow-Zustand höchst selten. Wenn ich male oder etwas anderes Handwerkliches oder Kreatives tue, sind meine Gedanken sehr schnell im “Wow, machst du das schlecht”-Modus. Beim Kochen denke ich ständig darüber nach, wie nervig ich es finde, beim Laufen hat mein Kopf einfach viel zu viel Raum, über ALLES nachzudenken, was mich gerade so beschäftigt. Dass Menschen beim Joggen den Kopf “frei kriegen”, ist mir ein Rätsel. Mein Kopf ist nie weniger frei als beim Laufen.

Nun denkst du vielleicht: Die sollte mal ein bisschen meditieren oder Yoga machen. Tatsächlich tue ich beides seit fast zehn Jahren so gut wie täglich. Aber auch bei diesen achtsamen Tätigkeiten, in denen man sich nur auf den Moment und/ oder den Atem konzentriert, sind meine Gedanken leider sehr laut. Trotzdem tut beides mir gut – sonst wäre ich ja nicht so lange dabei geblieben. Denn alleine zu üben, diese Gedanken und Gefühle aufkommen und da sein zu lassen, hilft. Wenn auch nur ein bisschen.

Buch auf, Entspannung an – laut Studie funktioniert das wirklich

Die einzige Tätigkeit, die ich bislang gefunden habe, bei der ich zumindest ansatzweise so etwas wie einen Flow-Zustand erlebe, ist Lesen. Nur beim Lesen kann ich ganz in den Moment eintauchen und meine Gedanken für eine Weile einfach Gedanken sein lassen. Dabei vergesse ich manchmal die Zeit (okay, immerhin für ein paar Minuten!), ich kann mich voll in die Welt fallen lassen, in die mich das Buch transportiert, und so ein wenig runterfahren. Genau das, was mir sonst leider nur selten gelingt. Beim Lesen fällt es mir überhaupt nicht schwer, mich darauf zu konzentrieren – ganz anders, als wenn ich auf Bildschirme starre und passiv etwas konsumiere. Dann wandert meine Hand leider ständig zum Smartphone oder meine Gedanken zum wichtigen Termin am nächsten Tag.

Mit meiner Liebe fürs Lesen und dem Flow-Erleben dabei bin ich nicht allein. Das Frankfurter Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik hat für eine Studie fast 400 Menschen im Alter von 19 bis 73 Jahren nach ihren Eindrücken beim Lesen eines Kapitels aus Homers “Odyssee” befragt – alles andere als ein leichter Beach-Read. Das Ergebnis: Die Forschenden konnten aus den Antworten der Teilnehmenden herauslesen, dass diese in einen regelrechten Leseflow kamen, trotz der schwierigen Lektüre. Die Menschen berichteten, dass sie das Lesen als entspannend empfunden haben – eine EKG-Messung bestätigte das.

Ganz im Leseflow: Warum Geschichten uns so bannen können

Was am Lesen ist es, das uns so fesselt und alles um uns herum vergessen lässt? Wie kommt es, dass gerade ein Roman auf mich die Wirkung hat, die andere eben beim Laufen oder Aquarellmalen fühlen?

Lesen ist für mich Eskapismus und therapeutisch gleichzeitig. Ich kann dabei der Wirklichkeit für eine Weile entfliehen und mich ganz der Geschichte hingeben, mich mit den Charakteren in Fantasy-Romanen, Liebesgeschichten oder Thrillern identifizieren und in ihrem Plot verlieren. Aber es geht noch darüber hinaus: Mir hilft Lesen eben auch, zur Ruhe zu kommen – und so Emotionen und Gedanken einen Raum zu geben.

Ich höre häufig von Menschen Aussagen wie “Ich habe gar keine Zeit und keine Ruhe zu lesen.” Bei mir ist es genau umgekehrt – je mehr im Außen und auch in mir selbst los ist, desto mehr habe ich den Drang, mich zurückzuziehen. Einmal im wörtlichen Sinne, meine Wohnungstür von innen zu verschließen und der Welt für eine Weile Bye-bye zu sagen, aber auch das Zurückziehen in die Geschichten, die mir helfen, Dinge zu verarbeiten. Natürlich geht das nicht immer sofort, ich muss schließlich auch arbeiten oder andere Pflichten und Termine erfüllen. Aber sobald ich Zeit habe, ist meine intuitive Reaktion auf schwierige Momente, ein Buch aufzuschlagen (oder den E-Reader anzumachen).

Meine Dankbarkeit für Bücher

Das mit dem Flow-Zustand gelingt mir nicht immer. Je nachdem, was mich gerade beschäftigt oder wie viel oder wenig mich der Roman mitreißt, den ich aktuell lese, bin ich manchmal auch beim Lesen abgelenkt von meinen eigenen Gedanken. Aber oft schaffe ich es, in diesen entspannten Zustand zu kommen, in dem zumindest für eine Weile nichts anderes mehr zählt als die Wörter auf der Seite.

Ich beneide manchmal Menschen, denen es leichtfällt, in einen solchen Flow-Zustand zu kommen, die das mit verschiedensten Tätigkeiten können. Aber gleichzeitig bin ich unglaublich dankbar, dass es Bücher und Geschichten gibt, die mir zumindest hin und wieder ermöglichen, mein Overthinker-Hirn ein wenig zu zähmen. Die mir so viel Freude machen, mich so viele Emotionen spüren lassen, so viele neue Gedanken anregen und mich für einen Moment zur Ruhe kommen lassen. Und ich bin sicher, dass auch mein EKG das widerspiegeln würde.

Verwendete Quellen: psychologie-heute.de, forschung-und-lehre.de

Source: Aktue