"Against All Gods": Sechs Menschen in einer Glaubens-WG – "jeder hat sein eigenes Weltbild"

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Sechs Personen mit völlig unterschiedlichen Überzeugungen für eine Woche unter einem Dach – kann das funktionieren? Diese Frage steht im Zentrum des ZDF-Formats “Against All Gods”, einem provokanten Sozialexperiment mit Reality-TV-Rahmen. Wir haben mit den drei Protagonistinnen Sagitha, Gloria und Josi gesprochen.

“Glaubt ihr nicht, dass durch Religion queere Menschen ausgegrenzt werden?”, fragt Josi, sichtbar fassungslos. “Es ist eine Sache von Worten”, sagt Omar. Es seien nicht Religionen, die bestimmte Personen ausschließt, sondern die, die Religion auf diese Weise praktizieren.

Dialoge wie diesen dürften die meisten Menschen bereits mit Personen geführt haben, die an etwas anderes glauben als sie selbst. Und in vielen Fällen mögen sie den Dialog schnell wieder abgebrochen haben. Nicht so Josi und Omar: Sie haben ihn fortgeführt. Sechs Tage lang. Jeden Tag. Den ganzen Tag. Zusammen mit vier weiteren Personen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit haben Josi und Omar fast eine Woche lang in einer WG gewohnt – und die Überzeugungen, Ansichten und Argumente ihrer Mitbewohnenden ausgehalten. 

Das Experiment: Wie Big Brother in religiös

Das ZDF-Format “37° Leben: Against all Gods – die Glaubens-WG” basiert auf einem ähnlichen Prinzip wie Big Brother: Eine Gruppe von Menschen, die sich nie zuvor begegnet ist, lebt zusammen in einer Wohnung und lässt sich dabei von Kameras begleiten. Statt Nominierungen und Auszüge soll in der ZDF-Produktion ein ideologischer Twist Spannung in die Sache bringen: Die Bewohnenden vertreten verschiedene, vermeintlich unvereinbare religiöse Ansichten. (Die Sendung ist ab sofort verfügbar in der ZDF-Mediathek, ab Sonntag, 15. September jeden Sonntag um 9.03 Uhr im TV.)

Während Omar als Muslim jeden Morgen um 4 Uhr aufsteht, um sein erstes von fünf Gebeten am Tag zu verrichten, trinkt Atheistin Josi zur gleichen Zeit bei Gelegenheit gerne noch ihr Absacker-Kölsch. Jude Lars würdigt jede Woche den Schabbat mit koscherem Wein und Buddhist Dharmasara bezieht Kraft daraus, mehrmals täglich zu meditieren. Als Katholikin vertraut Gloria darauf, dass Gott einen Plan für sie hat, der unter anderem ihren Einzug in die WG vorsah, und Hinduistin Sagitha glaubt, dass als Mensch geboren zu werden, eine Strafe für etwas ist, das unsere Seele in einem früheren Leben falsch gemacht hat. 

Ganz ohne Nominierungen und Wettbewerb also: Viel Potenzial für einen konfliktreichen Alltag mit jeder Menge Reibungspunkten.

“Jeder Mensch hat seine Eigenarten”

Von Konflikt und Reibung ist allerdings gar nichts zu spüren, als sich Sagitha, Josi und Gloria Wochen später zum Gespräch zusammenfinden. Die drei Frauen wirken vertraut miteinander, harmonisch und entspannt. “Eigentlich war es wie in jeder anderen WG auch”, sagt Josi über ihre Woche unter Gläubigen. Schließlich habe jeder Mensch seine Eigenarten, seine Rituale und seinen Tagesablauf. “Wenn man ein gutes Zusammenleben will, muss man sich darauf einlassen, sich öffnen und versuchen, die anderen zu verstehen. Wenn alle das tun, funktioniert es.” 

Es habe sich schon manchmal komisch angefühlt, dass Omar nebenan saß und betete, während der Rest der Gruppe zusammen in der Küche gespaßt und gekocht hat, erzählt Gloria. Oder dass er ihr aus Respekt nicht einmal die Hand geben wollte, während er Lars brüderlich umarmte. “Jeder hat sein eigenes Weltbild, ob religiös geprägt oder nicht”, sagt Gloria. Das sei nicht immer einfach und könne manchmal wehtun. Aber am Ende des Tages sei die Frage: Wie kommt man miteinander aus? “Und wenn es mit so etwas wie einer kontaktlosen Begrüßung anfängt, sage ich, okay, ich respektiere, dass Omar Frauen nicht berühren möchte.”

Für Gloria bedeutet ihr katholischer Glaube mehr als nur die Pflicht, jeden Monat Kirchensteuer zu zahlen. Sie geht sonntags in die Kirche, findet Trost, Stärke und Sinn in ihrer Religion. Ihre persönliche Beziehung zu Gott sei ihr sehr wichtig, sagt die Katholikin. “Zu wissen, da ist jemand, der mich hält und meinen Lebensweg schon kennt, an den ich auch mal Verantwortung abgeben kann.” Zu spüren, dass da etwas ist, das empfinde sie als wirklich erfüllend. “Dadurch erfahre ich auch eine Liebe, die ich dann wieder weitergeben kann.”

“Bei mir ist es ähnlich”, sagt Sagitha, die sich regelmäßig mit anderen hinduistischen Menschen im Murugan-Tempel in Berlin trifft. “Im Hinduismus ist sehr viel mit Liebe verbunden, unsere Göttlichkeit ist wie eine Familie aufgebaut. Das macht mir Mut, auch wenn ich Angst habe, denn ich spüre immer, ich bin nicht allein.” Liebe ist offenbar etwas, das die beiden Frauen über ihre Religionen hinweg eint. Doch Raum für Uneinigkeit bleibt trotzdem.

Katholikin Gloria sagt, sie sei als Individuum in die Glaubens-WG gezogen, aber auch als Vertreterin ihrer Religion. Sonst übernehmen diese Rolle in der Öffentlichkeit oft Männer für die katholische Kirche – genau wie für viele andere religiöse Gemeinschaften. Wir haben uns deshalb für die Frauenperspektive interessiert.
Katholikin Gloria sagt, sie sei als Individuum in die Glaubens-WG gezogen, aber auch als Vertreterin ihrer Religion. Sonst übernehmen diese Rolle in der Öffentlichkeit oft Männer für die katholische Kirche – genau wie für viele andere religiöse Gemeinschaften. Wir haben uns deshalb für die Frauenperspektive interessiert.
© ZDF/ FINNEGAN KOICHI GODENSCHWEGER

Infrage gestellt zu werden, tut weh

Während ihrer gemeinsamen Zeit in der WG hat die Bewohnerschaft jedenfalls zahlreiche Situationen erlebt, in denen sie sich uneinig war. Da wäre zum Beispiel der Moment, in dem Sagitha ausspricht, dass sie es falsch finde, wenn Menschen ihr Geschlecht wechseln. Dass “Transen” nicht in ihr Weltbild passen – womit sie Josis Geschlechtsidentität, ohne es zu diesem Zeitpunkt zu wissen, einfach delegitimiert. Der Augenblick, in dem Gloria damit hadert, dass sie als Individuum freie Liebe bei anderen feiert, obwohl sie ebenjene als Katholikin ablehnen müsste. Und dann gab es noch den einschneidenden Moment, als Omar zugibt, dass er Menschen bedauert, die nicht glauben, was er glaubt. “Ich glaube halt wirklich, dass der Islam die Wahrheit ist”, erklärt er, als die anderen nach seinem Geständnis betroffen schweigen. Spricht Omar damit womöglich etwas Entscheidendes aus, das die meisten Menschen insgeheim sehr gut nachfühlen können, egal ob gläubig oder nicht?

Als Individuum wünschen wir uns doch, mit anderen teilen zu können, was wir für wahr, richtig und gut halten. Was uns Kraft gibt und glücklich macht. Wir sehnen uns danach, in der Übereinstimmung mit anderen Bestätigung zu finden für unseren eigenen Weg und Sinn, unsere Werte und Weltsicht. Wen frustriert und schmerzt es nicht, wenn andere nicht nachvollziehen können oder gar infragestellen, was für das eigene Leben und Glück das Fundament bildet? Wenn Omar von “bedauern” spricht, mag das für viele Menschen hart und abwertend klingen. Doch was er damit meint, zeigt vor allem eine leidenschaftliche, liebevolle und empathische Seite an ihm. Würde er Wut oder gar Hass empfinden, wäre das ein Grund für Betroffenheit.

Wieso glauben wir nicht alle gleich?

Gerade Momente des Konflikts und der Uneinigkeit, die die WG genauso erlebt hat, wie wir sie aus dem echten Leben kennen, werfen eine entscheidende Frage auf: Wäre unser Leben einfacher, angenehmer und besser, wenn wir alle das Gleiche glauben?

“Auf keinen Fall”, sagt Gloria. “Ich würde mir zwar wünschen, dass Menschen, die mir nahe sind, meinen Glauben teilen. Aber einen Glauben kann man niemandem aufzwängen. Es ist wichtig, dass jeder Mensch seinen Glauben ausleben darf.” Sagitha stimmt zu: “Was ist schon richtig für eine Person? Für Person A ist etwas anderes richtig als für Person B. Und Person C kann sich dann entscheiden, wem sie eher zustimmt.” Vielfalt und unterschiedliche Perspektiven, sind die beiden sich einig, bereichern unser Leben. Sie machen unsere individuelle Welt größer und können uns neue Lösungen und Wege aufzeigen, wenn uns unsere eigene Sichtweise in eine Sackgasse geführt hat. 

“Wir Menschen sind ja nicht alle gleich”, sagt Josi. “Wenn wir alle den gleichen Glauben hätten, hätten wir trotzdem noch 25.000 verschiedene Perspektiven.” Niemand von uns kenne die absolute Wahrheit. Wir hätten alle eine, in unserer Vorstellung. Aber wer weiß: Am Ende stehe sie doch vor einem Tor und müsse sich entscheiden zwischen Himmel und Hölle. Oder werde als Flamingo wiedergeboren. “Ich weiß es nicht. Und dieses Wissen bietet die Religion auch nicht. Es gibt nämlich keine absolute Wahrheit.” Deshalb haben wir keine andere Möglichkeit, als mit relativen Wahrheiten zu leben. So schmerzhaft und unbequem das manchmal ist.

Unterschiede sind nicht das Problem

Die drei Frauen haben erlebt und bewiesen, dass es funktionieren kann: Trotz unterschiedlicher Überzeugungen zusammenzuleben – freundschaftlich, respektvoll und friedlich. Gelungen ist ihnen das, weil sie miteinander gesprochen haben, anstatt zu schweigen. Weil sie an einem Tisch saßen, statt sich aus dem Weg zu gehen. Weil sie Gemeinsamkeiten zelebriert haben, statt an Uneinigkeiten zu verzweifeln. Das zu sehen macht Mut. Allerdings stimmt es auch traurig. Denn wenn es doch so einfach funktionieren kann, miteinander auszukommen und in Freundschaft zu leben: Warum haben es so viele Menschen schon so oft nicht geschafft?

Source: Aktue