Alexandra Daisy Ginserg: Mit Kunst und KI gegen das Insektensterben

Aktuel

Ihr Ziel: Kunst für Insekten

Ihre wichtigste Erkenntnis: Schönheit zählt nicht

Ihr Motto: sturer Optimismus

Vielleicht begann alles mit dem blumigen zweiten Vornamen, den ihre Eltern für sie aussuchten: Daisy – englisch für Margerite, von denen es in Südafrika, dem Herkunftsland ihrer Eltern, besonders prächtige Exemplare gibt. Vielleicht waren auch die Ziergärten ihres Vaters schuld; schon als Kind liebte sie es, ihm dabei zu helfen, mit der Heckenschere die Pflanzen zu formen.

Damit aus all dem Kunst werden konnte, brauchte es aber einen zusätzlichen Impuls: den Blick jener Lebewesen, für die Blüten mehr sind als Augenweide. 2020 bekam Ginsberg einen Auftrag des “Eden Project”, eines Botanischen Gartens in Cornwall, der in riesigen Gewächshäusern und Parks Pflanzenarten aus aller Welt zeigt. Das Thema: Insektensterben

Ginsberg hatte sich bereits in früheren Arbeiten mit Verlust und ökologischer Bedrohung beschäftigt. Eine traditionelle Skulptur oder Bilder in einem Innenraum, das schien ihr in diesem Fall eine verpasste Chance zu sein. Wie müsste ein Kunstwerk beschaffen sein, das nicht nur von Insekten handelt, sondern für sie geschaffen ist? Wie wäre es, die Welt durch die andersartigen Augen von Bienen, Hummeln, Schmetterlingen und Käfern zu betrachten?

Ergebnis war der “Pollinator Pathmaker” – was auf Englisch deutlich eleganter klingt als auf Deutsch: “Wegweiser für Bestäuberinsekten”. Ein Algorithmus, der berechnet, wie man Gärten jeder Form und Größe so gestalten kann, dass sie ein Maximum an Bestäubern anziehen. Auf der Seite pollinator.art füttert man ihn mit Informationen zur Größe, zur Erdbeschaffenheit und zu den Lichtverhältnissen des Landstücks, das man bepflanzen möchte. Heraus kommen Bepflanzungsplan und Einkaufszettel für Baumarkt oder Gartencenter, mit Mengenangaben für Ackerlauch, Blauen Fingerhut, Storchschnabel und Co. “Ich will das größte klimapositive Kunstwerk der Welt schaffen”, sagt Ginsberg.

Für die Insekten statt reine Ästhetik

Das dürfte ihr schon jetzt gelungen sein. Einzelne Gärten, die nach den Vorgaben des Pollinator Pathmakers entstanden sind – in Cornwall, London oder kürzlich vor dem Berliner Naturkundemuseum auf Einladung der LAS-Kunststiftung – sind nur Leuchtturmprojekte, die einen Impuls geben sollen zum Mitbuddeln. In Berlin etwa beteiligten sich neben Einzelpersonen auch Schulen, Kitas und Gemeinschaftsgärten an dem Projekt, auf der Wiese vor dem Museum tummeln sich nun fast 130 Bestäuberarten.

Bestäubergarten vor dem Berliner Naturkundemuseum
Eher unscheinbar – doch für Insekten wunderbar: der Bestäubergarten vor dem Berliner Naturkundemuseum.

Was der KI-basierte Algorithmus als Gartenplan ausspuckt, wird immer wieder neu angepasst an die jeweiligen Wetterbedingungen und die Böden verschiedener Länder; die Empfehlungen beziehen sich auf Pflanzen, die dort leicht zu bekommen sind. Bisher stehen nur mittel- und nordeuropäische Regionen in der Datenbank, das Langzeitziel ist es, insektenfreundliche Kunstwerke rund um die Welt zu schaffen.

Schön anzusehen sind die nicht unbedingt, aber genau das ist zweitrangig. Denn oft seien gerade die gezüchteten Arten, mit ihrer Fülle an Blumenblättern und ihrem starken Duft, eher sinnliche Freude für Parkbesucher:innen als Nahrungsquelle für Flug- und Krabbeltiere, sagt Ginsberg. Für die seien unscheinbare Wiesenblumen häufig besser. So wie in ihrem eigenen 15-Quadratmeter-Naturkunstwerk im Norden Londons: “Mein Experiment fällt voll auf mich zurück, mit all dem Spaß, das es bringt. Ich habe willkürlich einen Pflanzungsplan ausgesucht. Eine Seite wuchert hoch, eine ist niedrig. Nach ästhetischen Gesichtspunkten ergibt das keinen Sinn, mein Partner macht sich lustig darüber. Aber mich hat diese Erfahrung verändert. Ich fühle mich verantwortlich, für die Pflanzen wie für die Insekten, die sie besuchen.”

Für die Zukunft

Bei allem Engagement an der Grenze zwischen Kunst und Öko-Aktivismus macht sie sich wenig Illusionen über die Wirkung. “Mein Projekt ist nicht die Lösung fürs Insektensterben. Aber es kann uns als Menschen miteinander verbinden und mit der Natur.” “Sturer Optimismus”, so nennt sie das, mit einem Begriff der Umweltschützerin und Diplomatin Christiana Figueres. “Menschen sind hoffnungsvolle Tiere, anders als andere Spezies haben wir eine Idee von der Zukunft, sind aber zugleich schlecht darin, langfristig zu denken. Das macht uns gefährlich. Aber auch einzigartig.”

Das zu wissen, könnte ein Anfang sein. Und wenn er noch so klein ist: Auch für Balkons spuckt der Algorithmus Pflanzanleitungen aus.

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue