Alltagsfeminismus für alle : "Ich stehe für einen Feminismus mit Liebe, Humor und Fehlerfreundlichkeit"

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Ich erliege meinen eigenen Vorurteilen, als ich im Foyer meines Verlages zum Gespräch eine Frau erwarte, die mit festen Schritten auf mich zukommt und mir energisch die Hand schüttelt – denn so ist Johanna nicht. Sie lächelt mich freundlich und offen an, als sie mich entdeckt, wirkt entspannt und stellt zunächst mir ein paar Fragen. Johanna Fröhlich Zapata ist feministische Therapeutin und Coachin – und “Alltagsfeministin”. Im gleichnamigen Podcast spricht sie gemeinsam mit der Journalistin Sonja Koppitz über Gleichberechtigung, und wie wir sie erreichen können. 

Johanna Fröhlich Zapata lebt und coacht in Berlin. In ihrem Beruf arbeitet sie mit Frauen, die für mehr Gerechtigkeit kämpfen. Nicht auf der großen politischen Bühne, sondern Zuhause im Kleinen, in ihrer Partnerschaft und Familie. “Dieser Feminismus auf der Bühne, der ist natürlich wichtig und super, aber es ist so viel wichtiger, die alltäglichsten und die vermeintlich normalen Dinge zu hinterfragen”, sagt Johanna. Sie selbst wurde durch die Geburt ihres Kindes auf das Thema gestoßen. Damals habe sie zu ihrem Partner gesagt: “Wir gehen von Anfang an zu gleichen Teilen in Elternzeit.”

Darauf seien viele Verhandlungen und Absprachen gefolgt, erzählt Johanna, doch es sei ihr immer wichtig gewesen, eine gute Balance zwischen Erwerbs- und Care-Arbeit für sich und ihren Partner zu schaffen. Das gelingt den wenigsten. Die eklatanten Lücken (“Gaps”), die Frauen immer noch zum Nachteil werden, sind hinreichend bekannt:

Infobox Gaps

Diese Ungerechtigkeit will Johanna nicht hinnehmen. Nicht für sich selbst und auch nicht für andere. Deshalb coacht sie Frauen in “Alltagsfeminismus”.

Fast alle Klientinnen kommen mit einer Erschöpfungsdepression zu ihr

Möglichst viel arbeiten und die Vorstandsetagen stürmen? So einfach geht Gleichberechtigung laut Johanna nicht. Sie hält es für äußerst fraglich, ob dieses “höher, schneller, weiter” wirklich auf eine gleichberechtigte Partnerschaft einzahlt. “Das Problem ist, dass Frauen in einer Hetero-Beziehung insgesamt einfach viel mehr Stunden arbeiten – weil sie die ganze unbezahlte Arbeit ja auch noch machen.” Johanna berichtet von Frauen, die mit einer Erschöpfungsdepression zu ihr kommen: “Das betrifft fast alle. Und das liegt an diesem falsch verstandenen Feminismus-Begriff.” Vollzeit-Karriere plus Vollzeit-Care-Arbeit münden wenig überraschend schnell im Burnout.

Aber auch der alltägliche Feminismus, den Johanna lebt und propagiert, hat seine Herausforderungen. Der größte Killer für den Alltagsfeminismus sei Stress – in den wir wohl alle mal geraten. Das Problem: “In Stresssituationen wird unser 1950er-Jahre-Programm abgespult”, erklärt die Coachin. 

Johanna Fröhlich Zapata: “Schuld an allem ist das patriarchale Implantat”

“Die frustriertesten Frauen, die zu mir gekommen sind, sind die Ultrafeministinnen”, sagt Johanna. Damit meint sie die Frauen, die längst begriffen hätten, wo das Problem liegt, bei denen aber Körper und Gefühlswelt nicht hinterherkämen. Johanna spricht gern vom “patriarchalen Implantat” – wir alle hätten das Patriarchat so sehr verinnerlicht, dass unsere Handlungsimpulse ihm entsprächen. Und das zu bekämpfen, sei anstrengend.

Vor allem, wenn es in einer Paarbeziehung um die Familiengründung und das gemeinsame Leben geht, erleben Frauen real, wo der Feminismus im Jahr 2024 in Deutschland steht. “Der häufigste Satz, den ich höre, ist: ‚Ich fühle mich in meinem eigenen Leben nicht mehr Zuhause'”, beginnt Johanna über Feministinnen zu erzählen, die sich selbst und ihre Männer nach der Geburt des Kindes kaum mehr wiedererkennen. Während ihre Partner sich wieder in die Arbeit stürzten, blieben die Mütter häufig zerrissen von Schuld- und Pflichtgefühlen zurück. “Wir sind mental und im Herzen so sehr durchdrungen von der Vorstellung, welche Aufgaben eine Frau und welche Aufgaben ein Mann zu übernehmen hat”, dass es schwer ist, diese Normen zu durchbrechen. 

Dass das patriarchale System so tiefgreifende und lang anhaltende Auswirkungen auf uns hat, frustriert, das gibt auch Johanna zu: “Manchmal muss ich aufpassen, dass ich meine Wut auf das Patriarchat nicht auf mein Umfeld und vor allem auf meinen Partner projiziere. Das ist schon mal passiert, dass ich dann dachte: Ich habe gerade die Wut auf dieses System an dem Mann ausgelassen, den ich liebe.” 

Sexismus muss schon in der Schule Thema sein

Schon in der Schule müsse man beginnen, die Strukturen des Patriarchats aufzulösen, findet Johanna. Ihre Mission: Jede:r soll die gleichen Chancen haben, unabhängig vom Geschlecht. Aber haben wir die nicht längst? “Frauen geraten spätestens mit dem Zusammenziehen als heteronormatives Paar in die Erschöpfungsdepression. Männer gewinnen bei Schließung der Ehe an Lebensjahren, Frauen an der Wahrscheinlichkeit, an einer chronischen Krankheit zu sterben”, setzt Johanna nach. Der vom Patriarchat für uns vorgesehene Weg hat nicht unser Bestes im Sinn. Deswegen müsse früh gegengesteuert werden.  Das Schulsystem etwa müsse so umstrukturiert werden, “dass es Sexismus im Keim erstickt”, findet Johanna. 

Warum Männer den Feminismus zu ihrer eigenen Sache machen sollten

Was nach Fäuste ballen und speichelspuckender Empörung klingt, sagt Johanna sehr ruhig. Sie sagt: “Ich stehe für einen Feminismus, der mit Liebe, Humor und Fehlerfreundlichkeit versucht, in den Mainstream zu schwappen.” Johanna hält statt Kampf eine Öffnung des Feminismus für richtig und wichtig. Gemeinsam erreiche man schließlich viel mehr.

Und deshalb brauchen wir auch Männer und Leute, die nichts mit Feminismus am Hut haben. Dabei sollten Männer den Feminismus nicht nur unterstützen, sondern zu ihrer eigenen Sache machen. Schließlich sei offensichtlich, “wie das Patriarchat mit dem Wegstutzen von Gefühlen einen großen Schaden angerichtet hat.” Auch die Männer litten am System. Johanna berichtet von Klienten, die in ihrer Therapie zugeben: “Ich spüre diese finanzielle Bürde und diesen Druck. Und ich spüre das Vorbild meines Vaters. Ich will so nicht sein.” Die Therapeutin findet, dass jede:r seine eigene patriarchale Kindheit aufarbeiten sollte. Nur dann könnten Muster gebrochen und nicht mehr an die eigenen Kinder weitergegeben werden.

Johanna Fröhlich Zapata lebt Alltagsfeminismus

Das rät Johanna also ihren Klient:innen. Aber wie lebt sie selbst, so als Alltagsfeministin? Wie gelingt es, dass Männer und Frauen in Beziehung und Familie gleichberechtigt sind? “In Gemeinschaft”, antwortet Johanna. Dieses Konzept sehe sie als Schlüssel, um “dieser ganzen Misere” zu entkommen. In ihrer Arbeit motiviere es sie, unkonventionelle Lösungen zu finden. “Diese Idealisierung, als Vater, Mutter, Kind zu leben, ist einer der größten Fehler”, sagt sie. Johanna wohnt mit ihrer Schwester, ihrem Partner, ihrer zweijährigen Tochter und zwei Freundinnen zusammen: “Wir leben in einer WG-Familie und das liebe ich!” 

Über sich selbst sagt Johanna, dass sie sehr fürsorglich sei. “Ich liebe es, zu kochen und fürsorglich zu sein. Ich bin natürlich weiblich sozialisiert und habe deshalb diese Fähigkeiten. Aber ich habe vor allem Spaß daran. Care-Arbeit ist eine ganz wichtige Arbeit, die aufgewertet werden muss.” Jeden Tag erkundet sie, wie man Fürsorge gleichberechtigt leben kann. Und das ist ein Prozess. Sie sagt: “Mein Leben fühlt sich manchmal wie ein Experimentierbaukasten an.” 

Verwendete Quelle: https://unwomen.de/gender-gaps-in-deutschland/

 

Source: Aktue