Das Eisberg-Prinzip: Warum uns unsere Gefühle machmal in die Irre führen

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Nicht alles, was wir fühlen, ist real. An manchem ist unser Eisberg Schuld. Was es mit dem auf sich hat und wie wir ihn zum Wanken bringen, versucht unsere Autorin zu erklären.

Spätestens seit Titanic wissen wir, wie ein Eisberg funktioniert. Das, was oben rausguckt, ist nur ein ganz kleiner Teil. Der wesentlich größere liegt unter der Wasseroberfläche und ist nicht sichtbar. Genauso funktioniert unser Bewusstsein. Und weil uns das gern auch mal einen Streich spielt, ist es gut, unsere Mechanismen und Muster zu kennen und auf den Prüfstand zu stellen. Denn nicht immer stimmt das, was wir fühlen, auch mit der Realität überein. 

Was verbirgt sich hinter dem Eisberg-Prinzip? 

Das Eisberg-Modell geht auf Sigmund Freud zurück. Er nahm an, dass unser Handeln in täglichen Situationen nur zu einem kleinen Anteil bewusst bestimmt wird. Daher teilte er die Psyche in drei Instanzen: das Ich, in dem unsere bewussten Anteile liegen, das Es, in dem unsere Gefühle verankert sind und das Über-Ich, das unsere moralische Instanz und unser Gewissen darstellt. Von diesen drei Instanzen spielen sich das Es und das Über-Ich in unserem Unterbewusstsein ab, während uns der viel kleinere Teil – das Ich –bewusst ist. Verdeutlich wird das ganze durch das Eisberg-Modell. Nur ein kleiner Teil unserer Persönlichkeit ist sichtbar, der weitaus größere Teil, der Einfluss auf unser Denken und Handeln nimmt, liegt unter der Wasseroberfläche, im Unbewussten verborgen. Und während das Es und das Über-Ich im ständigen Kampf miteinander liegen, ist es die Aufgabe des Ichs, den Schiedsrichter zwischen beiden zu spielen. Kommt es zu einem Konflikt, muss ein Kompromiss ausgehandelt werden, der sich dann wiederum in einem Symptom zeigt, je nachdem wie wir geprägt sind. 

Was bedeutet das für unser Handeln? 

Die meisten unserer Handlungen laufen unbewusst ab. Unser Handeln basiert somit auf dem Unterbewusstsein, also auf all den Erfahrungen, die wir in unserem bisherigen Leben gemacht haben. Neben positiven Erfahrungen befinden sich dort aber auch Ängste, verdrängte Konflikte, Neugierde, unsere Idee von Sicherheit und Unsicherheit, Vertrauen und Misstrauen, Lustbefriedigung und Glaubenssätze – all diese Gefühle leiten uns. Das kann durchaus auch problematisch werden. Denn unsere Gefühle haben in manchen Fällen nicht viel mit der Realität zu tun, sondern beruhen auf Annahmen, die schon seit frühester Kindheit in unserem Eisberg abgespeichert sind und die nach wie vor ganz ungute Gefühle auslösen, obwohl wir ihnen längst entwachsen sind. Aus heutiger Sicht würden wir sie womöglich ganz anders bewerten, aber in unserem Eisberg sind sie tief verwurzelt. Das wiederum hat großen Einfluss darauf, wie wir Beziehungen führen und uns selbst bewerten. Wenn wir sie nicht an die Oberfläche ins Bewusstsein holen und sie dort bearbeiten, beeinflussen sie uns unter Umständen ein Leben lang, ohne dass wir uns das bewusst erklären können. 

Was uns unser Eisberg sagen möchte 

Psychische Prozesse durchlaufen stets eine Art Bewertung, die von dem Ich durchgeführt wird. Befindet sich unser Ich aber gerade in einer handfesten Krise (Trennungen, Tod einer geliebten Person, Jobverlust, Wohnortwechsel…), gaukelt uns unser Eisberg mit all seinen gelernten Ängsten Gefühle vor, die nicht der Realität entsprechen. Und dann reproduziert er gern eisige Glaubenssätze, wie “Ich schaffe das nicht.”, “Nie wieder wird alles gut.”, “Ich werde immer allein sein.” oder “Ich bin nicht gut genug.”. Das wiederum lässt uns uns furchtbar schlecht fühlen. Dabei beweist der Realitätscheck genau das Gegenteil. 

Ein Beispiel: Eine Phobie vor Spinnen. 

Rein rational wissen wir alle, dass die Krabbeltiere uns nichts tun können (wir gehen mal von den normalen, ungiftigen Hausspinnen aus), trotzdem haben einige Menschen eine riesige Angst vor ihnen, weil sie in der Kindheit vielleicht ein traumatisches Erlebnis hatten. Guckt man aber genauer hin und tastet sich Stück für Stück an seine Angst heran, kann diese überwunden werden. In der Realität ist nämlich noch niemand an der Berührung mit einer Hausspinne gestorben. Und so funktionieren die meisten unserer Ängste, Glaubenssätze und Annahmen. Nur, dass sie in anderen Bereichen einen noch viel weitreichenderen Impact haben. Und dann dauert es einfach, sich selbst das Gegenteil zu beweisen. 

Wann unser Eisberg-Prinzip zum Problem wird 

Unser Eisberg-Prinzip kann immer dann große Schwierigkeiten machen, wenn Veränderungen anstehen oder wir in Interaktion mit anderen stehen. Vor allem in Krisen schürt er Ängste, die objektiv betrachtet noch gar nicht eingetreten sind, uns aber dennoch so sehr zu schaffen machen, dass es sogar zu Panikattacken und Depressionen kommen kann. Der unbewusste Teil des Eisbergs löst also Gefühle in uns aus, die bei genauem Hinsehen nichts mit der jetzigen Situation zu tun haben. Aber auch in Beziehungen trüben Annahmen unseres Eisbergs oft unseren Blick, weil wir durch sie nie wirklich objektiv sein können und es entstehen Missverständnisse und Streit, weil wir aneinander vorbeireden. 

Wie ruckeln wir jetzt am Grund des Eisbergs? 

Der Eisberg ist ein ganz schöner Brocken. Schließlich schleppen wir ihn von Kindesbeinen mit uns herum. Einmal an ihm gerüttelt, findet der das gar nicht gut, dass jetzt was passieren soll, das ihn aus seinen Fugen wirft. Bis wir aber unsere Muster erkannt und umgepolt haben, dauert es. Unser Hirn ist schließlich nicht mehr so schnell im Lernen. Immer wieder wird sich uns der unbewusste Teil unseres Eisbergs in den Weg stellen. Aber umso mehr wir üben, die Gefühle zuzuordnen, zu gucken, ob das jetzt nur unser Eisberg-Prinzip ist, das uns unsere alten Glaubenssätze vorbetet oder, ob die Annahme gerade wirklich stimmt, desto besser können wir aus unseren Mustern ausbrechen. Das was hilft, ist ganz genau hinsehen und unsere Annahmen und Muster immer wieder hinterfragen, reflektieren und wohlwollend mit uns selbst sein. Bei ganz schweren Bergen kann auch ein Coaching oder eine Therapie helfen.

Source: Aktue