Die Macht der Liebe: "Macht muss nicht immer laut sein. Oft ist sie das nicht"

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Johannas*, 27, Machtgeschichte beginnt leise und unscheinbar. Nach einem schmerzhaften, von Abhängigkeit geprägten emotionalen Kampf gelingt es ihr, die wichtigste Beziehung wiederzufinden: die zu sich selbst. 

  

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Macht hat viele Gesichter. Deshalb ist sie so gefährlich. Sie versteckt sich hinter einer Maske aus Schönheit, Anmut oder Weisheit. Deshalb leben wir oft sehr lange mit ihr, ohne sie zu bemerken. Ich habe die Macht eines Mannes über mich zwei Jahre lang nicht bemerkt. Ich verurteile mich dafür und gleichzeitig will ich diese Person, die ich damals war, in den Arm nehmen. Hätte ich mich wehren müssen? Hätte ich nicht viel früher das erkennen müssen, was andere bereits gesehen haben? Sollte ich härter mit mir ins Gericht gehen oder mir lieber verzeihen? Verzeihen, dass die Hoffnung, die sich wie ein Parasit in mir ausbreitete, mich nicht anders handeln ließ? Jedes Lächeln, jede Nachricht, jede seltene nette Geste ließ die Hoffnung aufflammen. Die Hoffnung, dass der Mann, den ich so sehr liebte, das Gleiche für mich empfinden würde. Er es nur noch nicht wusste. Oder noch nicht dafür bereit war. Er es aber sein würde. Wenn ich mich nur genug anstrengte.   

  “Der Mann über den ich schreibe, traf mich wann es IHM passte”

Macht muss nicht immer laut sein. Oft ist sie das nicht. Sie ist leise. Sie will nicht gehört werden. So war es in meinem Fall. Der Mann, über den ich schreibe, trat über eine Dating-Plattform in mein Leben. Wir nahmen uns mehrere Monate Zeit, uns kennenzulernen. Was mich so sehr an ihm faszinierte? Dass wir über vieles reden konnten. Vor allem aber über unsere Schwächen und Ängste. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich Schwierigkeiten, mich Männern körperlich zu nähern. Er gab mir die Zeit, die ich brauchte. Ich konnte ein emotionales Band zu ihm aufbauen. Schließlich schliefen wir miteinander. Danach veränderte sich der Kontakt. Wir sahen uns zwar immer noch wöchentlich und führten tiefgründige Gespräche. Doch aus seinem Leben hielt er mich raus. Ich war selten in seiner Wohnung. Ich kannte seine Freunde nicht. Ich wusste nicht, was er unter der Woche trieb. Und was er machte, wenn er sich am Wochenende tagelang nicht meldete. Der Mann, über den ich schreibe, traf mich, wenn es IHM passte. Das ist Macht. Er verließ mich, wenn ER genug hatte. Das ist Macht. Und er meldete sich wieder, wenn ER sich einsam fühlte und jemandem zum Reden brauchte. Auch das ist Macht.   

  “Mein Selbstwert war abhandengekommen”

Wenige Monate später sagte er mir, dass er keine Beziehung suche und mit anderen schlafen möchte. Im gleichen Atemzug versicherte er mir, dass ich zwar eine wichtige Person für ihn sei, aber im Großen und Ganzen nicht so interessant wie all die anderen Frauen in seinem Bekanntenkreis. Er habe das Bedürfnis, sich auszutoben. Vielleicht sei er in ein paar Monaten bereit für eine Beziehung. Trotz dieser verletzenden Worte – oder vielleicht wegen ihnen – blieb die Hoffnung. Denn irgendwas würde er offenbar für mich empfinden, richtig? Ich gab mich seiner Macht hin. Sah ihn, wenn er mich sehen wollte. Schrieb ihm, wenn er von mir lesen wollte. Schlief mit ihm, wenn er mit mir schlafen wollte. Wenn er merkte, dass ich mich zurückzog, zog er mich umso näher an sich heran. Wir flogen hoch. Doch der tiefe Fall ließ nicht lange auf sich warten. Nach einem Jahr brach ich den Kontakt zu ihm ab. Aber ich hielt es nicht lange ohne ihn aus. Kurze Zeit später trafen wir uns wieder. Nach seinen Regeln. Warum ich zu ihm zurück ging? Weil mir mein Selbstwert abhandengekommen war. Weil ich nur noch ihn sah. Niemanden sonst. Denn es gab doch auch diese guten Momente. Der Mann, über den ich schreibe, war nicht das Monster, für den ihn meine Freundinnen hielten. Ich allein kannte sein verletzliches Wesen. Zumindest redete ich mir das ein. Irgendwann lief ich wie ein Zombie durch die Stadt. Das Einzige, was mir einen Funken Leben einhauchen konnte, waren die Treffen mit ihm. Doch sie wurden seltener. Die Wochen vergingen und ich verschwand. Ich konnte mein Bett nicht mehr verlassen. Es gab keinen Grund, aufzustehen. Ich habe gekämpft. Und ich habe den Kampf auf schmerzliche Weise verloren, als er mir ungefragt seine neue Freundin vorstellte.   

“Manchmal denke ich noch an ihn”

Wenn dir jemand einmal sagt, dass du wertlos bist, dann denkst du darüber nach. Wenn diese Person dir das regelmäßig sagt, dann bist du es bereits. Zumindest glaubst du das. Dass kein Mensch wertlos ist, musste ich nach diesen zwei Jahren mühsam lernen. Ich habe vieles, was passiert ist, mithilfe einer Therapie aufarbeiten können. Aber noch immer kämpfe ich Tag für Tag darum, mich selbst nicht mehr zu verlieren. Mich zu lieben. Und zu akzeptieren. Zu dem Mann, über den ich schreibe, habe ich keinen Kontakt mehr. Er hat sich noch einige Male bei mir gemeldet. Ich habe ihn abgewiesen. Manchmal denke ich noch an ihn. Aber die Hoffnung ist schon lange gestorben. Er hat sie nicht verdient.  

*der Name ist der Redaktion bekannt

Das sagt Prof. Dr. Fatma Çelik

Fatma Çelik
Prof. Dr. Fatma Çelik ist Diplom-Psychologin, Forschende zu Psychologie und (sexueller) Gewalt über die Lebensspanne und Lehrende an der Hochschule Düsseldorf.
© Thomas Neitsch

Prof. Dr. Fatma Çelik ist Psychologin und forscht unter anderem zu Gewalt über die Lebensspanne. Sie hilft uns, die Erfahrungen einzuordnen – um Machtstrukturen sichtbar zu machen. Hier richtet sie ein Vorwort an die Leser:innen.

Wo greifen hier Machtstrukturen?

Prof. Dr. Fatma Çelik: Liebe Leserin, zunächst möchte ich Sie direkt adressieren, bevor ich allgemeiner antworten möchte. Aus Ihren Zeilen lese ich viel Bedauern und emotionalen Schmerz über diese Zeit in Ihrem Leben heraus. Sie schreiben, dass Sie die Situation als Machtsituation wahrgenommen haben. Meine Einschätzung, wie auch bei allen anderen aufgeführten Fällen, kann sich nur auf den kleinen Ausschnitt beziehen, der mir hier vorliegt. 

Auf Grundlage dessen würde ich gerne eine andere Perspektive einbringen: In diesem Kontext könnte es vielleicht weniger um Machtstrukturen, sondern mehr um sehr stark divergierende Bindungsbedürfnisse zwischen zwei Personen gehen. In der Forschung haben sich verschiedene Modelle von Liebe entwickelt. Dem Dreiecksmodell der Liebe nach Sternberg (1986) zufolge setzt sich Liebe aus den Komponenten Leidenschaft, Vertrauen und dem Commitment, also der Festlegung auf eine Person bzw. eine Beziehung oder ein Beziehungsmodell zusammen. Die Autorin des Textes und der von ihr beschriebene Mann hatten gemäß ihren Ausführungen unterschiedliche Erwartungen an die gemeinsame Zeit und unterschiedliche Beziehungsmodelle. Es ist unklar, inwiefern diese unterschiedlichen Vorstellungen schon vor dem Übergang zur körperlichen Intimität klar kommuniziert wurden, inwiefern es den beiden überhaupt vorher klar war und natürlich bleibt auch unklar, welchen Unterschied es gemacht hätte. Das kann sehr schmerzhaft sein, aber ist noch kein Ausdruck von Machtstrukturen. Problematisch an einer solchen Konstellation mit ungleichen Erwartungen sind potentiell zwei Punkte: 1. Wenn eine Person der anderen zur Erfüllung eigener Interessen, wider besseren Wissens, suggeriert, sie könne doch noch ihren Beziehungswunsch erfüllen und 2. Eine Person die andere absichtlich abwertet. Inwiefern diese Punkte zutreffen, kann auf Grundlage der Situationsbeschreibung nicht beantwortet werden. 

Liebesbeziehungen sind, wenn sie andauernd sind, Bindungsbeziehungen. Die Autorin schreibt selbst, sie habe ein emotionales Band zu dem Mann aufbauen können. Kinder, welche Ablehnung oder ggf. emotionale Gewalt durch ihre Eltern erleben, haben dennoch eine Bindung zu diesen. Auch in Partner:innenschaften, in denen Gewalt erlebt wird, fällt es Betroffenen dieser Gewalt oft schwer, sich von gewalttätigen Partner:innen zu lösen. Eine Ursache dafür kann das Beziehungscommitment sein (Johnson et al., 1999). Die Autorin in dem vorgelegten Fall beschreibt ein sehr hohes persönliches Commitment, also ein hohes Ausmaß, diese für sie eigentlich so verletzende Beziehung aufrecht zu erhalten. Ein Grund dafür mag darin liegen, dass sie, wie sie selbst schreibt, “Zu diesem Zeitpunkt Schwierigkeiten ‘hatte’, sich Männern körperlich zu nähern.” Somit war das Investment der Autorin möglicherweise ungleich höher, als das des beschriebenen Mannes (vgl. Investitionsmodell nach Rusbult, 1983). Auch dadurch ist ein Ungleichgewicht in der Beziehung entstanden.

Wie kann die Betroffene mit der Erfahrung umgehen? 

Liebe Leserin, Sie schreiben von Ihrem täglichen “Kampf”, sich selbst zu lieben. Ich möchte an dieser Stelle den Begriff “Selbstmitgefühl” einbringen, welcher von Kristin Neff (2011) geprägt wurde. Dieses setzt sich aus drei Komponenten zusammen: 1. Freundlichkeit sich selbst gegenüber, 2. Verbundenheit und 3. Achtsamkeit. Unter Verbundenheit wird dabei eine “common sense of humanity” verstanden, also das Wissen darum, dass man nicht allein, nicht isoliert ist. Nicht allein mit auch sehr schwierigen Erfahrungen, nicht allein mit möglicherweise auftauchenden Schuld- oder Schamgefühlen. Achtsamkeit meint den Fokus weg von Vergangenem auf das Hier und Jetzt zu setzen. Das Vergangene können wir nicht ändern, aber die Gegenwart und die Zukunft. Möglicherweise könnte dies ein Weg im Umgang mit dem Erlebten sein.

Source: Aktue