Ehe ohne Sex: Paartherapeut verrät: So kannst du eine glückliche Beziehung führen – auch ohne Sex

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Liebe ist die Antwort auf alle Fragen? Nicht ganz. Sie stellt auch ziemlich viele. Psychologe und Paartherapeut Oskar Holzberg beantwortet sie alle.

Ben und Jenny haben fast täglich Sex. Gunda und Martin haben gelegentlich Sex. Olaf und Edmund haben sehr gelegentlich Sex. Und Anne und Toni? Die haben gar keinen Sex. “Gelegentlicher Sex” fällt in die Kategorie “problematisch, aber hinnehmbar”. Doch “gar kein Sex”? Wenn Paare erzählen, dass sie keinen Sex haben, tun sie es meist schamvoll, so als würden sie etwas falsch machen. Wenn ein Paar gar keinen Sex mehr hat, will auch ich als Therapeut herausfinden, woran es liegt und wie es zu verändern ist. Denn es stimmt schon: Sexlosigkeit entsteht in vielen Fällen durch fehlendes Vertrauen, Enttäuschungen, fehlende Nähe oder ungeklärte Konflikte.

Manchmal fehlt mehr als nur Sex

Und dennoch muss hinter fehlendem Sex nicht immer ein Problem lauern. Es kann für ein Liebespaar auch völlig in Ordnung sein, keinen Sex zu haben. Ein Paar kann eine intensive körperliche Beziehung haben, die aber nicht sexuell ist. Verbindende Nähe und Intimität beruhen auf Offenheit und sind nicht von der Sexualität abhängig. Paaren kann ja vieles fehlen: Humor, Nähe, Verständnis, gemeinsame Interessen, Geld, Arbeit, Zeit. All das ist schwierig. Aber nichts verunsichert Paare so, wie keinen Sex zu haben. Genauer: keinen Sex MEHR zu haben.

Es steckt als feste Regel in unseren Köpfen: Es ist zwar möglich, Sex miteinander zu haben, ohne ein Liebespaar zu sein oder zu werden. Aber es nicht möglich, ein Liebespaar zu werden, ohne Sex miteinander zu haben. Als spukten Hochzeit und Hochzeitsnacht immer noch fest verbunden durch unsere Gehirne. Außerdem ist Sex die schützende Abgrenzung unserer Liebesbeziehungen. Kein Sex mit anderen! Eine durchaus nachvollziehbare Grenzlinie. Weil Sex unmittelbar erlebte Intimität sein kann, unsere Bindungshormone sprudeln lässt und Babys entstehen können.

Porträt Oskar Holzberg
Oskar Holzberg berät seit mehr als 20 Jahren in seiner Hamburger Praxis Paare und bekommt immer wieder Beziehungsfragen gestellt. Sein aktuelles Buch heißt: “Neue Schlüsselsätze der Liebe”.
© Ilona Habben

Wie sicher kann eine Grenze sein, die darin besteht, alle anderen aus unserem Sexleben auszuschließen, wenn wir gar kein Sexleben haben? Sucht mein Partner wirklich keinen Sex – oder nur mit mir nicht, und ihm fehlt doch etwas? Ist Sex nicht doch ein angeborenes Bedürfnis? Machen wir uns wirklich nichts vor, wenn wir einander versichern, keinen Sex zu brauchen? Darüber muss man reden. Doch Paare, die sich diese Fragen ehrlich und übereinstimmend beantworten, können auch ohne Sex glücklich sein. In Umfragen gibt es stets zwischen 10 Prozent und 30 Prozent, Frauen wie Männer, die erklären, dass ihnen Sex nicht wichtig ist. Aber wir sind eine sexualisierte Gesellschaft. Sexyness hat einen hohen Stellenwert und ist eine wichtige Säule unseres Selbstbewusstseins. Weshalb manchmal schon der erste Schritt schwierig ist: Die Angst, sich dem Partner mit dem eigenen sexuellen Desinteresse zu offenbaren. Ein Paar, das keinen Sex hat, muss lernen, selbstbewusst für seine Sexlosigkeit einzutreten und den skeptischen Blicken der Umwelt standzuhalten. Denn es ist für ein Paar leichter, auch ohne Sex glücklich zu sein, als sich damit richtig zu fühlen.

Tabuthema: Leben ohne Sexualität

Die Film- und Werbeindustrie spielt es uns vor: Jede funktionierende Beziehung sprüht nur so vor Sexualität und Lust. Paare, die in Serien und Co. kein Sexleben haben, kämpfen automatisch mit Problemen. Eine Partnerschaft ohne Sex in einem Film? Haben wir noch nicht oft gesehen. Und vielleicht liegt genau hier das Problem. Wenn unsere Umwelt uns dauerhaft mit sexualisierter Energie begegnet, wie soll eine Beziehung ohne Sexualität enttabuisiert werden?

Dafür müssen wir dem Sex nicht seine Wichtigkeit absprechen. Vielmehr sollte die überhöhte Bedeutung, die gesellschaftlich kursiert, an die wahren menschlichen Bedürfnisse angepasst werden. Viele Menschen gehen immer noch davon aus, dass eine Ehe ohne Sex nicht “normal” ist und etwas mit ihnen nicht stimmt. Es braucht einen offenen Austausch und mehr Aufklärung in diesem Bereich, um das Thema Leben ohne Sexualität zu entstigmatisieren.

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Kann eine Beziehung ohne Sex funktionieren?

Vielmehr sollte die Frage für dich lauten, was es braucht, damit du dich in einer Partnerschaft wohlfühlst und welche Bedürfnisse befriedigt werden müssen, damit eine Beziehung funktioniert. Wir sollten den Sex nicht über alles andere in der Partnerschaft und im Leben stellen. In den ersten Jahren ist die Sexualität noch mit das Wichtigste im Leben, mit der Zeit kann sich jedoch die Lust verändern, Probleme und Phasen von Krankheit, Stress und Sorge überschatten das Sexleben und wir merken, dass uns andere Zärtlichkeiten wichtiger sind als Geschlechtsverkehr. Es gibt kein Rezept für die perfekte Beziehung und vor allem löst Sex nicht jedes Problem. Bedürfnisse verändern sich, wichtig ist nur, sie mit dem Partner oder der Partnerin zu teilen und für jeden eine Lösung zu finden.

Statt Sex können in der Beziehung folgende Dinge wichtiger für dich werden:

  • Körperliche Nähe und Zärtlichkeiten wie kuscheln, Händchen halten und Umarmungen
  • Tiefgehende Gespräche
  • Gegenseitiger Respekt

Was tun, wenn eine Person noch Sex möchte?

Paare entwickeln unterschiedliche Bedürfnisse, dazu kann es gehörten, dass der Partner oder die Partnerin weiterhin Lust verspürt, die andere Partei jedoch nicht. Wichtig ist es, den/die andere am Leben und den Bedürfnissen teilhaben zu lassen, denn die Partnerschaft kann weiterhin gut funktionieren. Es lohnt sich auch zu überlegen, warum eine Person keinen Sex mehr möchte. Hat sich in der Beziehung etwas verändert, dass sich negativ auf die Lust auswirkt? Könnte die Lust wieder erweckt werden? Manchmal hilft ein Gespräch über die sexuellen Vorlieben, um die Sexualität wieder auf die Spur zu bringen.

Stellt sich im Gespräch heraus, dass einem Partner oder einer Partnerin Sex im Leben sehr wichtig ist und die andere Person lieber ohne auskommen möchte und dabei einfach keinen Spaß mehr empfindet, kann eine Paartherapie das Problem in seinen Tiefen lösen, sodass die Partnerschaft weiterhin funktionieren kann und die Bedürfnisse jedes und jeder einzelnen befriedigt werden.

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Verwendete Quellen:apotheken-umschau.de, statista.de

Source: Aktue