Expertinnen-Interview zur Studie: "Die 'Zickenkrieg'-Geschichte ist so was von out"

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Die Soziologin Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky hat die BRIGITTE-Studie wissenschaftlich begleitet. Außerdem hat sie uns verraten, was sie am meisten überrascht hat – und wer nun handeln muss.

Klischees – Sie setzen sich in unseren Köpfen fest und beeinflussen, wie wir unsere Welt wahrnehmen. Um nicht den Bezug zur Realität zu verlieren, hilft es, immer mal wieder zu entrümpeln und sich von eingestaubten Vorstellungen zu trennen. Besonders eignen sich dafür Fakten und die Meinungen von Expert:innen. 

© Joseph Ruben / PR

Paula-Irene Villa Braslavsky, 56, ist Professorin für Soziologie und Gender-Studies an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie forscht unter anderem zu Care-Arbeit, Anti-Genderismus und zur MeToo-Debatte und ist Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. Im Interview haben wir von ihr erfahren, von welchen Vorurteilen wir uns getrost trennen können. 

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BRIGITTE: Frau Villa Braslavsky, gibt es ein Ergebnis der Studie, das Sie besonders bemerkenswert finden?

Prof. Dr. Paula-Irene Villa Braslavsky : Dass die jungen den älteren Frauen so viel Wertschätzung entgegenbringen. Und dass so viele ihnen auch dankbar sind für das, was sie erreicht haben. Für die älteren Frauen ist das so eine wichtige Botschaft! Denn viele von ihnen haben die Vorstellung: Die Jungen würdigen gar nicht, was wir alles geleistet haben. Gerade im Gespräch mit älteren Feministinnen höre ich das oft. Dabei wissen die Jungen gerade über die Frauenbewegung und ihre Protagonistinnen richtig viel, weitaus mehr, als es in früheren Generationen der Fall war.

Mehr als jede zweite junge Frau sagt über ihre eigene Generation aber auch: “Sie ist enttäuscht über die älteren Generationen.”

Stimmt. Doch dieser Satz bezieht sich nicht auf die älteren Frauen und ihre Verdienste, sondern auf die älteren Generationen generell. Und gegenüber denen, das zeigen auch andere Studien, herrscht unter den Jungen schon viel Enttäuschung angesichts des Zustands, in dem die Älteren die Welt hinterlassen, Stichwort: Klimakrise und soziale Ungerechtigkeit. 

Trotzdem sind sich auch junge und ältere Frauen bei einigen Themen überhaupt nicht einig, etwa wenn es um Feminismus oder Transrechte geht. Wie kommt das? 

Ich glaube, hier muss man beachten, in welcher Lebensphase sich die Altersgruppen befinden. Mit Mitte 50 haben Menschen in der Regel hierzulande ihren Platz im Leben gefunden, sich mit den Bedingungen arrangiert, gestalten sie vielfach maßgeblich mit. Sich aus so einer Position heraus strukturelle Fragen zu leisten, ist schwierig. Mit Mitte 20 ist man längst nicht so gesettelt, zudem ist die Gen Z wirklich sehr politisch – kein Wunder, angesichts der Krisen, mit denen sie aufwächst. Ihr Grundgefühl ist: Auf dieser Welt muss sich einiges ändern! Das gilt auch für Geschlechterfragen. 

Also doch: ganz schön unterschiedliche Perspektiven auf die Welt!

Mag sein, aber darüber ließe es sich ja gut ins Gespräch kommen: Warum wollen die einen, dass sich etwas ändert? Warum bereitet das den anderen Sorgen? Gibt es hier vielleicht auch Missverständnisse? Nehmen wir das Thema Transrechte: Ein Grund für die Skepsis mancher älterer Frau ist ja die Sorge, die Jungen würden sich nur noch darauf fokussieren und dabei Themen wie Gewalt oder Arbeit aus dem Blick verlieren. Doch fragt man nach, merkt man: So denken die Jungen nicht! 

Auch ihnen sind Themen wie faire Löhne wichtig, zeigt unsere Studie. 

Genau. Ich möchte die Generationen daher unbedingt ermutigen, aufeinander zuzugehen. Und auch die verschiedenen Regionen möchte ich dazu ermuntern: Besonders Westfrauen sollten mehr zuhö- ren bei den Erfahrungen und Expertisen, den Vorstellungen und Sorgen der Ost- frauen. Zumal bei vielen Themen ja auch große Einigkeit unter allen Befragten herrscht: Gleichstellung und die faire Auf- teilung von Erwerbs- und Sorgearbeit sind wichtig. Gegen sexuelle Belästigungen und Gewalt muss mehr getan werden. 

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Lassen Sie uns gleich bei diesem Thema bleiben: sexualisierte Gewalt. Dass so viele das Gefühl haben, die Lage habe sich hier seit den Neunzigerjahren nicht verbessert, finde ich sehr ernüchternd. Sie auch? 

Ich deute das eher als Fortschritt. Denn solche Zahlen zeigen ja: Das Bewusstsein dafür, wie sehr solche Übergriffe den Alltag von Frauen belasten und wie verbreitet sie nach wie vor sind, ist groß. Und zwar geschlechter- und generationenübergreifend. Hier hat MeToo viel bewirkt. Kaum jemand findet heute mehr: Eine Frau, die kurze Kleidung trägt, ist selbst schuld, wenn sie belästigt wird. Da bewegt sich gerade viel. Das sollten wir nutzen! 

Meinen Sie damit: Wir brauchen bessere Gesetze? Das fänden ja viele Befragte sinnvoll. 

Gesetze haben immer Grenzen, gerade bei diesem Thema, bei dem es so viele Grauzonen gibt. Wichtiger fände ich daher, dass wir mehr über diese Grauzonen dis- kutieren, zu ihnen eine Haltung finden. Und endlich auch die Männer mehr in die Pflicht nehmen. Im Sinne von: Ihr habt das Problem erkannt. Also verhaltet euch entsprechend! Schreitet ein, wenn ihr mitbekommt, dass eine Frau bedrängt wird. Und werdet selbst kein Täter. Ich würde mir daher noch mehr Aufklärungskampagnen und Diskussionen über Männlichkeitsbilder wünschen, auf Festivals, in U-Bahnen. Es kann doch nicht angehen, dass wir nur den Frauen immer wieder einbläuen, wie sie sich schützen sollen. Obwohl das eigentliche Problem das Verhalten der Männer ist. Die müssen endlich von der Erkenntnis zum Handeln kommen. 

Diese Kluft zwischen Erkenntnis und Tun scheint ein verbreitetes Muster zu sein. Aktive Väter finden laut unserer Studie auch alle toll. Trotzdem sind die Teilzeit- und Elternzeitquoten bei Vätern total niedrig. 

Stimmt. Doch auch hier finde ich die hohen Zustimmungswerte quer durch alle Generationen erst mal ermutigend. Die Norm, ein engagierter Vater zu sein und das als Teil von Männlichkeit zu begreifen, ist offenbar sehr stark.

Aber was nützt das, wenn Väter dann doch nicht beruflich kürzer treten, weil sie fürchten, ihre Karriere sei sonst zu Ende? In der Studie äußern ja viele diese Sorge.

Es gibt mittlerweile Erhebungen, die zum Beispiel zeigen, dass das Berufsprestige von Vätern, die Elternzeit nehmen, eher steigt. Insofern sind solche Sorgen nicht unbedingt gerechtfertigt. Ich glaube ohne- hin, dass hier eher Regelungen wie das Ehegattensplitting eine Rolle spielen, die es finanziell belohnen, wenn sich Ehe- paare Erwerbs- und Sorgearbeit eben nicht paritätisch aufteilen. Aber wie auch immer: Wenn der Wunsch nach aktiver Vaterschaft wirklich so groß ist, dann soll- ten sich die, die ihn äußern, auch trauen, ihn umsetzen. Mehr Mut, Väter, so in der Familie da zu sein, wie ihr es eigentlich wollt! Mehr Mut, Mütter, dies auch einzu- fordern und mitzugestalten!

Was ich in diesem Zusammenhang interessant finde: Auffallend viele halten eine staatliche Entlohnung privater Sorgearbeit für geeignet, um Gleichstellung zu fördern. Aber würde so eine Maßnahme traditionelle Rollenmodelle nicht eher stärken, weil dann vermutlich vor allem Frauen die Sorgearbeit übernehmen, während die besserverdienenden Männer vollzeiterwerbstätig bleiben?

 Mich hat das große Interesse an dieser Maßnahme auch überrascht. Ich lese da- raus aber eher den starken Wunsch beider Geschlechter, sich für die Betreuung von Kindern oder die Pflege von Angehörigen genug Zeit nehmen zu können, ohne in finanzielle Not zu geraten. Wie können wir die Gesellschaft so organisieren, dass wir diesem Bedürfnis besser gerecht werden? Die Frage treibt offenbar viele um. 

Haben Sie eine Antwort?

Da gibt es so einige Ideen, etwa das Modell der atmenden Lebensläufe: Dort stünde allen ein rechtlich und monetär abgesichertes Zeitbudget für Kinderbetreuung und Pflege zur Verfügung. In bestimmten Lebensphasen könnte man so die Erwerbstätigkeit ohne Einbußen bei Einkommen und Rente reduzieren. Sorgearbeit würde ganz anders sichtbar und bewertet. Traditionelle Rollenmodelle würde das vermutlich sogar schwächen. 

Und wie würde es finanziert? 

Über Steuern, also: durch uns alle. Ich weiß: Da winken viele schnell ab. Doch für mich ist es eine Frage der Prioritätensetzung: Wie viel ist uns die Pflege von Angehörigen und Kindern wert – und damit auch unsere eigene Versorgung, wenn wir pflegebedürftig werden? Unsere Studie legt nahe: viel. Siehe die große Zustimmung zur staatlichen Entlohnung privater Sorgearbeit, aber auch zu höheren Löhnen für Pflege- und Bildungsberufe. 

Trotzdem tut sich wenig. 

Weil die, die es direkt betrifft – Pflegekräfte, Erzieherinnen, Mütter – kaum Druck ausüben können. Würden sie streiken, würden sofort Kinder, Kranke, Alte darunter leiden. Das hemmt enorm. Umso wichtiger wäre es, dass sich der Rest der Gesellschaft solidarisch zeigt, Druck macht. Und eben auch bereit wäre, Mehrkosten gemeinsam zu tragen. 

Womit wir beim Thema Zusammenhalt wären. Da macht unsere Studie ja Hoffnung: Gerade unter Frauen ist der offenbar recht stark ausgeprägt. 

Absolut. Obwohl mich das nicht überrascht hat. Die “Zickenkrieg”-Geschichte ist einfach so was von out. Selbst in der Popkultur sind längst andere Botschaften angesagt. Nach MeToo gab es zum Beispiel auf Netflix eine ganze Welle von Serien, in denen sich Frauen konsequent gegenseitig empowern. Nach dem Motto: Wenn wir zusammenhalten, können wir alles schaffen! Das sehe ich genauso.

Source: Aktue