Geht das nur mir so?: "Ich bin da altmodisch" – "Nee, du bist unsolidarisch!"

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Wir wollen ernstgenommen werden, aber bloß kein Essen beim ersten Date bezahlen. “Ich bin da eben altmodisch”, hört unsere Autorin immer wieder. Und möchte sich die Ohren zuhalten.

Ich stehe an der Bar. Die Schlange ist lang. Ein Mann ganz vorne winkt mich zu sich, ich denke, er will mir etwas sagen. Ich versteh ihn nicht, es ist laut, wir sind auf einem Festival. Weil ich nicht reagiere, wendet er sich an den Barkeeper. Auch er muss nachfragen, dann höre ich mit: “Ist die nicht niedlich? Die kriegt erstmal einen Drink von mir.” Die Niedliche – das bin wohl ich – dreht sich um und geht. Ohne Drink.

Zurück bei meiner Gruppe erläutere ich angestrengt die Situation und stoße auf Empörung: “Wieso hast du das denn nicht angenommen? Da bin ich altmodisch!” Uff. Ich mag diesen Satz wirklich nicht mehr hören. 

Ständig, wirklich ständig fällt er und ist das Totschlagargument am Ende jeder Gleichberechtigungsdebatte. Er signalisiert mir: Alles Geschmackssache, darüber lässt sich man bekanntlich nicht streiten. Wenn ich altmodisch bin, hat dich das nicht zu stören. Doch, verdammt!

Am liebsten würde ich darauf antworten: Du bist nicht altmodisch, du bist unsolidarisch. Wir befinden uns mitten auf einem feministischen Festival, sind umgeben von Awareness-Teams und du kommst mir mit 50er-Jahre-Ansichten. 

Die Inkonsequenz des eigenen Rollverständnisses

Durchatmen. Ich habe gar nichts dagegen, sich einen Drink ausgeben zu lassen, ein Essen. Oder eines der anderen Dinge anzunehmen, in deren Umfeld das Modestatement oft fällt, einen Antrag zum Beispiel. Alles fein. Wenn es denn abgesprochen, auf Augenhöhe, unabhängig von Geschlechterrollen geschieht. Und nicht, weil da ein Mann und eine Frau stehen, die beide gern “altmodisch” sind. Hältst du zu Hause auch das Essen warm, wenn dein Mann nachhause kommt und wäschst seine Hemden? Mal abgesehen davon, dass man sich bei diesem Drink-Aufmerksamkeitstausch freiwillig in ein unterbewusstes Machtgefälle begeben – der Mann als gütiger Geldgeber, die Frau als abhängige Empfängerin.

Was mich so fuchsig macht, ist die Inkonsequenz des eigenen Rollenverständnisses. Feminismus ist leicht, wenn man sich die Teile herauspickt, die einem gefallen, und die anderen zurück an die Stange hängt (“Passt mir nicht”). Die Realität ist aber: Gleichberechtigung zu leben, kann auch ungemütlich sein. Wenn man die eigenen Erwartungen hinterfragt. Wenn man merkt, dass man altmodisch denkt und dass es anstrengender ist, dagegen anzukämpfen, als sich dem hinzugeben. 

Davon abgesehen: Das Narrativ der altmodischen Frau spielt den Menschen in die Karten, die diesen ganzen “Feminismuskram” sowieso für “übertrieben” halten. Und die uns daraufhin liebend gerne vorhalten, wir würden unsere Vorteile doch genießen, also sollten wir uns über den Rest gefälligst nicht beschweren. 

Wir messen mit zweierlei Maß, wenn wir einerseits erwarten, aus unserer Geschlechterrolle Vorteile zu ziehen, wir aber gleichzeitig nicht auf diese reduziert werden wollen. 

Ist es feministisch, einen Drink anzunehmen und zu gehen, ohne die daran geknüpfte Erwartungshaltung zu erfüllen? Darüber ließe sich debattieren. Ist es feministisch, sich als altmodisch zu bezeichnen, um einen Vorteil herauszuschlagen? Nein. Für mich ist Feminismus keine individuelle, sondern eine kollektive Entscheidung.

Source: Aktue