Gender Health Gap : Männer bevorzugt

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Frauen werden anders krank als Männer – und anders wieder gesund. Unser Gesundheitssystem berücksichtigt das aber immer noch zu wenig. Warum der Gender Health Gap Frauen gefährlich werden kann, erfährst du hier.

Die Medizin war lange Zeit eine reine Männerdomäne und ist es in vielen Bereichen noch immer. Was die Geschlechterverteilung im Studienfach Humanmedizin angeht, stimmt das aber schon seit vielen Jahren nicht mehr. Hier wächst der Anteil der Frauen stetig an, heute sind gut zwei Drittel der Studierenden weiblich. Doch erst im Jahr 2022 überstieg die Frauenquote bei allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten erstmals die 50 Prozent-Schwelle. Warum das für uns Frauen eine gute Nachricht ist? Das erfährst du hier.

Gender Health Gap – was ist das?

Ein Beispiel: Frauen bekommen insgesamt seltener einen Herzinfarkt als Männer. Aber sie sterben wesentlich häufiger daran. Wie kann das sein? Zum großen Teil liegt das daran, dass er sich bei ihnen mit anderen Symptomen ankündigt. Weil die aber häufig nicht ernst genommen und falsch interpretiert werden, bleibt eine angemessene Behandlung aus. Eine tödliche Gefahr!

Mehr als die Hälfte der Hausärzt:innen in Deutschland, das ergab kürzlich eine Online-Befragung, ist sich nicht sicher, schon einmal eine falsche Diagnose gestellt zu haben, weil geschlechtsspezifische Unterschiede möglicherweise nicht berücksichtigt wurden – es könnte also durchaus sein.

Das Fehlen einer geschlechtsspezifischen Forschung und Gesundheitsversorgung wird auch als Gender Health Gap bezeichnet (Gap, engl. = Lücke). Menschen, die aus dem Raster “männlich, weiß und cisgender” fallen, haben hier einen Nachteil.

Das hat vor allem zwei Gründe:

1. Männerdominierte Ausbildung: Die Lernmaterialien angehender Ärzt:innen richten sich im Prinzip ausschließlich an der männlichen Anatomie aus. Und nur in einer einzigen deutschen Universität, der Charité in Berlin, steht die Gendermedizin überhaupt auf dem Pflichtlehrplan.

2. Männerdominierte Wirkungsstudien: Neue Medikamente wurden in den vergangenen 50 Jahren hauptsächlich an männlichen Versuchsgruppen getestet, dabei wirken sie im weiblichen Körper zum Teil anders. Selbst bei Tierversuchen lässt sich das beobachten: Der Großteil der Labormäuse, die in Studien eingesetzt werden, sind männlich. Und zwar sogar dann, wenn es um Krankheiten geht, an denen vor allem Frauen leiden. 

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Neue Medikamente wurden lange ausschließlich an Männern getestet

Dabei gibt es zwischen Männern und Frauen biologisch und anatomisch viele Unterschiede, die dafür sorgen, dass sich Krankheiten auch anders auswirken können. Verschiedene Hormonhaushalte, Unterschiede in der Muskel-, Fett- und Knochenmasse, im Stoffwechsel sowie in der Arbeit des Herz-Kreislauf-Systems müssten bei der Entwicklung neuer Arzneimittel eigentlich bedacht werden, wie Gendermediziner:innen argumentieren.

Bis in die 1960er Jahre geschah das auch, Medizin wurde damals an Männern und Frauen getestet. Dann kam der Contergan-Skandal (Kinder kamen mit Fehlbildungen an Armen und Beinen zur Welt oder starben kurz nach der Geburt, nachdem ihre Mütter in der Schwangerschaft das neue Mittel gegen Übelkeit eingekommen hatten) und Frauen wurden vorsorglich aus den Studien ausgeschlossen.

Seit 2004 gibt ein Gesetz in Europa und den USA nun vor, dass für die Zulassung eines Wirkstoffes zuvor in klinischen Studien geschlechtsspezifische Unterschiede untersucht worden sein müssen. Wird ein Medikament nur mit Personen eines Geschlechtes getestet, bekommt es auch nur dafür die Zulassung. 2022 wurde die EU-Verordnung noch einmal verschärft: Seitdem müssen klinische Studien mit einer repräsentativen Geschlechter- und Altersversorgung durchgeführt werden. Aber das gilt eben nur für neu entwickelte Medikamente, nicht für die unzähligen, die sich bereits auf dem Markt befinden.

Frauen sind anders – Männer auch

Die Geschlechtschromosomen XX von weiblichen Zellen und XY von männlichen tragen zur Hormonausstattung bei. Bei Frauen überwiegt deutlich das Östrogen, während bei Männern das Testosteron den Ton angibt. Darüber hinaus arbeitet der Organismus bei Männern und Frauen nicht immer gleich. Die wichtigsten Unterschiede:

Immunsystem

Frauen haben ein abwehrstärkeres Immunsystem als Männer. Das ist aus evolutionsbiologischer Sicht sinnvoll, weil eine Schwangere sich selbst und das in ihr heranwachsende Baby schützen muss. Der Nachteil: Weil die Abwehrkräfte so stark sind, schießen sie mitunter über das Ziel hinaus. Daher treten Autoimmunerkrankungen häufiger bei Frauen auf. Und: Stress schwächt erwiesenermaßen das weibliche Immunsystem stärker als das männliche.

Körperfett

Unabhängig vom jeweiligen Gewicht haben weibliche Körper einen etwas größeren Fettgewebeanteil als männliche (27 Prozent zu 15 Prozent). In gesundem Maße ist das kein Problem, weil sich mögliches Übergewicht vor allem an Oberschenkeln, Hüfte und Po unter der Haut ansammelt. Die Fettdepots von Männern liegen typischerweise am Bauch und zwar zwischen den Organen. Das ist gesundheitsgefährdender, weil sich dieses Bauchfett am Stoffwechsel beteiligt und Entzündungen fördert.

Muskulatur

Männern fällt es wegen ihres höheren Testosteronspiegels leichter, Muskulatur aufzubauen. Ein muskelbepackter Körper wird auch gesellschaftlich als männlich angesehen, deshalb trainieren Männer meist auch intensiver am Muskelaufbau. “Nachgewiesen ist nämlich, dass Frauen durch Krafttraining genauso viel Muskelmasse aufbauen können wie Männer”, bestätigt die Pionierin der geschlechtersensiblen Medizin in Deutschland, Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, in ihrem Buch “Die XX-Medizin” (Scorpio). Sie tun es nur nicht so intensiv wie Männer. Das wird spätestens in den Wechseljahren problematisch, weil dann der altersbedingte Muskelabbau schneller abläuft als bei Männern. Das hat Einfluss auf die Fettverbrennung und die Knochengesundheit.

Lunge

Rauchen ist für Frauen gesundheitsgefährlicher, das heißt, ihr Lungenkrebsrisiko liegt bei gleichem Zigarettenkonsum höher als bei Männern.

Schmerzempfinden

Schmerz ist subjektiv. Aber Testosteron macht schmerzunempfindlicher, Östrogen steigert dagegen das Schmerzempfinden (vor der Geburt steigt der Progesteronspiegel einer Schwangeren um das Hundertfache an, um Geburtsschmerzen zu lindern). Außerdem fällt auf, dass Frauen doppelt so häufig unter Migräne leiden als Männer, dafür tritt bei ihnen fünfmal häufiger Clusterkopfschmerz auf.

Leber und Darm

Frauen verdauen langsamer und auch ihre Leber braucht länger, um zu entgiften. Nahrung, Medikamente und Giftstoffe, wie zum Beispiel Alkohol, bleiben somit länger im Organismus und schädliche Stoffe haben mehr Zeit, die Darmschleimwand oder Leberzellen anzugreifen. Eine Tablette kommt zum Beispiel doppelt so schnell im Darm eines Mannes an, als der Weg von Speiseröhre über den Magen in den Darm einer Frau braucht.

Es ist nicht egal, ob eine Frau oder ein Mann ein bestimmtes Medikament nimmt

Wirkstoffe eines Arzneimittels werden aus dem Darm oder dem Blut in die Leber geschleust. Wie sie dort umgebaut und/oder verarbeitet werden, hängt stark vom Geschlecht ab. Außerdem produzieren Frauen insgesamt weniger Magensäure als Männer. Auch das hat Folgen für die Verarbeitung von Medikamenten – darauf weist Prof. Dr. Burkhard Sievers hin, Facharzt für Innere Medizin und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin (“So heilt man heute”, ZS Verlag).

Sexualhormone können die Wirkung von Arzneimitteln entweder verlangsamen oder beschleunigen. Nehmen Frauen die Pille oder andere Hormonpräparate ein, kann das eine andere Dosierung erforderlich machen. So wirken Beruhigungsmittel, Antibiotika oder auch Mittel zur Blutverdünnung bei hohem Östrogenspiegel kürzer oder schwächer. Bei Antidepressiva, Asthma-Mitteln und manchen Kortison-Präparaten dauert es dagegen länger, bis der Wirkstoff abgebaut ist.

Weil Frauen einen höheren Körperfettanteil haben, können sie fettlösliche Substanzen besser speichern. Das kann zu Überdosierungen führen. Bei bestimmten Medikamenten, zum Beispiel manchen Blutdrucksenkern, Narkose- und Beruhigungsmitteln, sorgen gewisse Enzyme, die in der weiblichen Leber in fast doppelt so großer Menge hergestellt werden, dafür, dass sie bei Frauen schlechter wirken und somit höher dosiert werden müssten. 

All dies sind Argumente dafür, dass die geschlechtersensible Diagnose und Therapie nicht nur sinnvoll, sondern zwingend notwendig sind. Das machen folgende Beispiele deutlich:

So wirken sich die medizinischen Nachteile auf Frauen aus

Herzinfarkt

Die Herzgesundheit ist ein gutes Beispiel für den Gender Health Gap. Ein Herzinfarkt äußert sich bei Frauen häufig anders als bei Männern – deswegen wird er auch als Eva-Infarkt bezeichnet. Männer leiden vor allem an Engegefühl und Schmerzen im Brustbereich, Luftnot, ausstrahlendem Schmerz in den linken Arm, Kaltschweißigkeit, Übelkeit. Doch bei Frauen sind zudem auch diese Infarktsymptome typisch:

  • Starkes Unwohlsein
  • Schmerzen im Oberbauch, Nacken, Kiefer
  • Schmerzen rechtseitig am Brustkorb oder Arm
  • Benommenheit, Schwindel
  • Schwitzen
  • Plötzliche Erschöpfung, Müdigkeit

Wenn Frauen diese Symptome schildern und selbst, wenn Frauen sie an den typisch männlichen Anzeichen leiden, werden sie seltener auf einen Herzinfarkt zurückgeführt, sondern eher auf hormonelle Ursachen wie Wechseljahre oder psychische Probleme. Diese Fehlannahme kann im schlimmsten Fall tödlich sein: Bei einer 65-jährigen Frau vergehen durchschnittlich 4,5 Stunden, bis sie mit einem anerkannten Herzinfarkt in die Notaufnahme kommt. Und: Ob die Patientin überlebt, hängt sogar mit davon ab, von wem sie behandelt wird. Eine US-Studie belegt, dass Frauen wesentlich häufiger einen Herzinfarkt überleben, wenn sie von einer Ärztin behandelt werden (dazu später mehr).

Selbst bei der Nachsorge eines Herzinfarktes sind Frauen im Nachteil. Damit es nicht zu einem neuen Infarkt kommt, wird häufig die sogenannte ABC-Therapie (Aspirin, Betablocker, Cholesterinsenker) angewandt. Aber auch diese wirken bei Frauen weniger effektiv als bei Männern. Während Aspirin beispielsweise gesunde Männer vor einem Herzinfarkt schützen kann, wirken sie bei Frauen kaum. Betablocker verursachen bei Frauen wesentlich stärkere Nebenwirkungen als bei Männern und Cholesterinsenker werden fast ausschließlich an Männern getestet, obwohl Frauen im höheren Alter sie meist nötiger haben als Männer. Wie effektiv die ABC-Therapie gerade bei Frauen tatsächlich ist, ist nicht ausreichend belegt – was viele Ärzt:innen aber nicht davon abhält, sie zu verschreiben.

Krebserkrankungen

Viele Tumore werden erst spät erkannt – dazu zählen auch Gehirntumore. Bei Frauen dauert die Diagnose aber meist noch länger als bei Männern, wie beispielsweise eine Studie der Brain Tumor Charity aus Großbritannien bereits im Jahr 2016 belegte. Dabei wurden 927 Tumorpatient:innen befragt, wie viel Zeit zwischen ihrem ersten Termin beim Arzt und der Diagnose verstrichen war und wie häufig sie generell den Arzt aufgesucht hatten. Das Ergebnis: Frauen warteten bei sechs von elf Krebsarten länger auf ihre Diagnose als Männer und mussten dafür auch häufiger den Arzt aufsuchen. Dabei hatten sie nicht länger damit gewartet, einen Termin auszumachen, als die männlichen Patienten.

Die Ursache liegt offenbar eher an den unbewussten Vorurteilen des medizinischen Personals. Demnach bekamen Frauen anfangs häufiger zu hören, dass sich ihre Symptome eher auf Stress oder eine mögliche Depression zurückführen lassen könnten.

Beruhigungs- und Schlafmittelabhängigkeit

Vorurteile wie diese wirken sich offenbar auch auf die hohe Medikamentenabhängigkeit bei Frauen aus: Gut 70 Prozent von fast zwei Millionen medikamentenabhängigen Menschen in Deutschland sind weiblich. Ärzt:innen verschreiben Frauen demnach zwei- bis dreimal so häufig Beruhigungs- sowie Schlafmittel oder auch Antidepressiva wie Männern. Doch die Mittel werden nicht rechtzeitig wieder abgesetzt, was schließlich zur Abhängigkeit führt. Zu diesen Verschreibungen kommt es häufig nach Schicksalsschlägen wie beispielsweise einem Trauerfall.

Für viel Aufsehen sorgte der Fall des Schlafmittels Zolpidem in den USA: Es wurde über lange Zeit bei beiden Geschlechtern mit zehn Milligramm dosiert. Was niemand wusste: Das Medikament wirkt bei Frauen anders als bei Männern – sie bauen den Wirkstoff nämlich langsamer ab. Das sorgte dafür, dass Zolpidem bei Frauen nach der Einnahme am Abend oft am nächsten Tag noch wirkte und für verschiedene Unfälle sorgte. Wissenschaftler:innen beobachteten beispielsweise, dass Frauen unter dem Einfluss von Zolpidem häufiger vormittags Autounfälle verursachten. Aufgrund der vielen Vorfälle wurde das Medikament für eine Weile vom Markt genommen. Mittlerweile ist es wieder zugelassen – in halbierter Dosierung für Frauen.

ADHS

Wenn es um ADHS geht, haben viele Menschen als erstes den herumzappelnden Jungen im Unterricht im Kopf. Und tatsächlich gilt die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung als eine der häufigsten psychiatrischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Aber: Die Krankheit wird allein in Deutschland etwa viermal häufiger bei Jungen als bei Mädchen diagnostiziert. Dies liegt an geschlechtsspezifischen Rollenbildern, Erwartungen und Vorurteilen.

Tatsächlich können sich Jungen mit ADHS oft häufiger schlecht konzentrieren und zappeln gerne herum, bei Mädchen äußert sich die Krankheit allerdings anders. Die betroffenen Kinder sind eher unruhig, emotional instabil und neigen zu Vergesslichkeit. Deshalb wird bei ihnen ADHS wesentlich seltener erkannt als bei Jungen. Und das kann erhebliche Auswirkungen auf ihr Leben haben: Bleibt ADHS unbehandelt, können langfristig beispielsweise Probleme in der Familie oder in der Schule auftreten. Negative Reaktionen und Schuldgefühle führen dann häufig zu einem verminderten Selbstwertgefühl. Im späteren Leben zeigt sich das bei Frauen mit ADHS häufig an einer überkritischen Selbstwahrnehmung.

Es macht einen Unterschied, ob eine Patientin von einem Arzt oder einer Ärztin behandelt wird

Auf beiden Seiten, bei Mediziner:innen und Patien:innen, lässt sich der Einfluss von Rollenbildern, Erwartungen und Rollenbildern nicht ausschließen. Wenn männliche Ärzte davon ausgehen, dass Frauen ihre Beschwerden wortreicher und somit zeitaufwändiger beschreiben, werden sie in der heutigen Zeitnot der Praxen den Redefluss möglicherweise unterbrechen und wichtige Hinweise bleiben ungesagt. Bei Fragen oder Hinweisen zu einem gesunden Lebensstil fühlen sich Frauen von einem männlichen Arzt eher schlecht beraten, weil sie Schuldzuweisungen heraushören. Wie Prof. Dr. Burkhard Sievers in seinem Buch anführt, werden Tipps von einer Ärztin von ihnen dreimal häufiger umgesetzt.

Prof Dr. Vera Regitz-Zagrosek verweist auf eine europaweite Untersuchung, nach der Frauen bei einer neu aufgetretenen koronaren Herzerkrankung im Schnitt weniger diagnostische Maßnahmen erfahren und weniger medikamentöse Behandlung bekommen als Männer. Dabei wendeten männliche Ärzte bei Frauen seltener die leitliniengerechte Therapie an als bei Männern. Vor allem bei jüngeren Frauen werden weniger oft moderne, wirksame Herzmedikamente eingesetzt als bei Männern. Studien zufolge werden weibliche Patientinnen von männlichen Ärzten am schlechtesten behandelt.

Das trifft nicht nur bei Herz-Kreislauferkrankungen, sondern auch im Fall von Diabetes und Rheuma zu. Frauen leiden häufiger an Rheuma und geben auch eine stärkere Krankheitslast an als männliche Patienten. Und doch erhalten sie die Rheuma-Diagnose deutlich später, wie eine aktuelle Übersichtstudie zeigt. Daten aus Kanada zeigen außerdem, dass männliche Hausärzte, zwar unabhängig vom Geschlecht der Patient:innen, aber insgesamt später eine rheumatologische Überweisung veranlassten als ihre Kolleginnen. Hier muss sich in der Zukunft also noch einiges ändern!

Was die medizinische Versorgung von Frauen verbessern würde

Gendermediziner:innen, wie Prof. Dr. Regitz-Zagrosek und Prof. Dr. Sievers, fordern daher eine stärkere Anpassung der heutigen medizinischen Forschung und Therapie an die geschlechtsspezifischen Unterschiede. Zu den Forderungen der Expert:innen zählen vor allem folgende Punkte:

  • Mehr Studienprobandinnen: Der Anteil an Frauen in Studien sollte erhöht werden, da die Ergebnisse von männlichen Probanden nicht immer vollständig auf Frauen übertragbar sind. Um geschlechtsspezifische Auswertungen vornehmen zu können, müsste der Frauenanteil in einer Studie mindestens so hoch sein, wie der prozentuale Anteil der Frauen bei der jeweiligen Erkrankung. 
  • Dosierungsanpassung: Wie bereits erklärt, bauen Frauen und Männer aufgrund unterschiedlicher Enzyme und Hormone sowie der Dauer der Darmpassage Wirkstoffe aus Medikamenten unterschiedlich schnell ab. Auf Beipackzetteln findet man dazu bisher aber selten Angaben – das sollte geändert werden.
  • Verpflichtende Geschlechtsmedizin in der Ausbildung: In den meisten deutschen Universitäten wird das Thema Geschlechtermedizin bisher nur punktuell oder gar nicht behandelt. Lediglich an der Berliner Charité gibt es ein Institut für Geschlechterforschung. Hier gibt es also deutlichen Aufholbedarf.
  • Frauen im Fokus: Frauen haben spezifische körpereigene Stoffe, die sie gegen bestimmte Krankheiten entwickeln. Diese Stoffe könnten auch Männern bei der Behandlung nutzen, werden bisher in der Forschung aber nicht genug berücksichtigt.

Wir brauchen eine gendersensible Medizin 

Es liegt auf der Hand, dass Frauen nicht einfach nur kleinere und leichtere Männer sind. Immer mehr Mediziner:innen öffnen sich für die Gendermedizin. Und auch in der Politik ist das Thema angekommen. Im Koalitionsvertrag der derzeitigen Regierung steht jedenfalls, dass geschlechtsbezogene Unterschiede in der Versorgung bei Gesundheitsförderung und Prävention und in der Forschung “berücksichtigt und Gendermedizin zu einem Teil des Medizinstudiums sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Gesundheitsberufe gemacht werden soll”. 

Gendersensible Medizin geht in beide Richtungen. Denn auch Männer können an typisch weiblichen Erkrankungen leiden, wie Osteoporose, Brustkrebs oder Depressionen. Zum Teil zeigt sich auch bei ihnen ein anderes Krankheitsbild (bei Depression etwa Wut, Aggression und Reizbarkeit), oder es werden gewisse Krankheiten zur Diagnose gar nicht in Betracht gezogen. Das mögen manche für ausgleichende Gerechtigkeit halten, doch in Wirklichkeit ist jede unzureichende Behandlung aus diesen Gründen unnötig. Auch wenn Frauen weitaus häufiger benachteiligt sind.

Ganz zu schweigen von Menschen, die sich nur teilweise oder gar nicht mit dem ihnen zugewiesenen Geschlecht identifizieren können, wie trans und nicht-binäre Personen. Auf diese Patient:innengruppe ist unser Gesundheitssystem noch viel weniger eingestellt. Auch dies ist eine Aufgabe für die Zukunft.

Quellen:

Source: Aktue