"Immer machst du…" : Was ein Beziehungstherapeut rät, wenn Streit von Gefühlen dominiert wird

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Das Leben ist oft ganz schön kompliziert. Zum Glück müssen wir da nicht allein durch. Diesmal: Beziehungstherapeut Oskar Holzberg über intensive Gefühle.

Heftbox Brigitte Standard

Darum geht’s: Sie kommt in die Küche, blickt sich um und sagt: “Du könntest auch mal die Spülmaschine ausräumen!” Er stellt seine Kaffeetasse ab und sagt: “Komm, das mache ich doch ständig!” –”Na, wann denn?”, fragt sie ärgerlich. “Vorgestern Abend zum Beispiel!” Er ist jetzt auch verärgert. Sie seufzt und geht. Und die Stimmung bleibt für einen ganzen Tag schlecht.

Vergeudete Lebenszeit. Das ewige “Du hast – nein, hab ich nicht!”, das “Du machst nie – mach ich doch!”-Spiel. Wenn wir so einen Streit erleben, kommt er uns sinnlos, ja bescheuert vor. Aussage steht gegen Aussage. Wirklichkeit gegen Wirklichkeit. Als ginge es um Sieg oder Niederlage. Als ständen sich plötzlich Feinde gegenüber. Und das ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl, es ist auch ein sicheres Zeichen, dass gerade beziehungsmäßig etwas falsch läuft. Dieser Zoff kann endlos weitergehen. Im günstigsten Fall! Denn meistens bricht das Paar den fruchtlosen Streit ab und geht zur Tagesordnung über. Die unaufgelösten Dauerfehden addieren sich und zerrütten allmählich die Beziehung. Beide fühlen sich unverstanden, abgelehnt, nicht ernst genommen und mehr und mehr ungeliebt.

Runterkommen. Weiterreden. 

Fühlen?! Gefühle?! In solchen Konflikten haben wir so intensive Gefühle, dass wir völlig übersehen, dass es um die Gefühle geht, die wir beide haben. Dummerweise verhindern die Gefühle selbst, dass wir auf sie eingehen und mit ihnen umgehen. Denn wenn wir emotional sehr erregt sind, dann fällt es uns schwer, einsichtig zu sein, Distanz zum Geschehen und zu den gegenseitigen Vorwürfen zu finden. Uns fällt die Steuerung unserer Gefühle schwer, wenn in uns starke Emotionen getriggert sind. Also müssen wir uns zuallererst beruhigen. Einige Male tief ausatmen. Den Boden spüren. Unseren Rücken spüren. Zu uns kommen. Oder eine Pause machen und dann erst weitersprechen. Weitersprechen ist wichtig. Aber, und darauf kommt es an, nicht mehr über die Spülmaschine, die Socken oder wer zu viel Geld ausgibt, sondern über die Gefühle. Und dabei geht es nicht immer gleich um Traurigkeit, Wut und Angst, sondern, wie in diesem Beispiel, um Enttäuschung, Hilflosigkeit oder Unzufriedenheit. Gefühle, die wir versuchen können, zu benennen. Jedes benannte Gefühl hilft. Es erspart unserem Gehirn Arbeit.

Auf der Sachebene werden wir selten Lösungen finden. Wir können ewig darum streiten, wie es richtiger ist. Da werden wir möglicherweise nie miteinander einverstanden sein. Doch wenn wir unsere Gefühle miteinander teilen, dann besteht die Chance, dass eine Brücke entsteht. Wir werden berührt, wir fühlen uns ein, wir entwickeln Verständnis füreinander. Und wenn irgendetwas uns motivieren kann, unser Verhalten zu verändern, dann das.

Wenn sich jemand mit Beziehungen auskennt, dann er: Diplom-Psychologe Oskar Holzberg arbeitet als niedergelassener Psychotherapeut seit über 30 Jahren mit Paaren und schreibt darüber.

Source: Aktue