Ganz entspannt radeln wir auf E-Bikes in den Frühling – und entdecken abseits vom Tourismus den ländlichen Osten der Insel.
Hamburg im April, 6 Grad, Regenschauer. Der Frühling hat eine Identitätskrise. Lange schon. Aber wenn er hier nicht zu sich selbst findet, finde ich ihn eben da, wo er sich schon gleich nach Weihnachten sehr selbstsicher zeigt: auf Mallorca. Natürlich nicht, um die bleiche Haut an den Strand zu ballern, nein, zum Radfahren. Durch blühende Landschaften, Sonne auf dem Kopf, Sonne im Herzen, durchatmen – der Junge muss an die Luft. Der Osten der Insel ist dafür wie geschaffen. Wenig Tourismus, wenig Verkehr, hügelige Landschaften, oft mit Blick aufs Meer. Kleine Dörfer, verbunden durch noch kleinere Straßen – und einiges zu entdecken.
Das Hotel in Canyamel liegt 50 Meter vom Strand entfernt, ich freue mich schon aufs Baden. Es ist auf Radtouristen spezialisiert. Auf die dünnen Drahtigen mit Hightech-Rennmaschinen und engen bunten Radtrikots, auf die nicht so dünnen Best-Ager mit Hightech-Rennmaschinen und (zu) engen bunten Radtrikots. Und auf die E-Biker wie den Fotografen Arthur und mich in irgendwelchen Freizeitklamotten, manchmal den falschen.
© Arthur Selbach
Links der Wein, rechts die Lämmer, oben die erste Sehenswürdigkeit
Mein Leihfahrrad wird angeliefert. Es ist so gut wie neu, keine 800 Kilometer gefahren, sagt das Display. Schön ist es nicht. So ein wuchtiges Unisex-Ding, aber mit allem Drum und Dran. Ich bin auch nicht zum Posen hergekommen, und da, wo ich hinwill, sieht mich eh keiner. Also keiner, den ich kenne. Noch eine kleine Einweisung: Hier, am Lenker-Display, kann man wählen, “Eco”, “Tour” oder “Sport”, je nachdem, wie viel Unterstützung man beim In-die-Pedale-Treten vom E-Motor bekommen will. Bei “Eco” ist die Reichweite 140 Kilometer. Langt. Denn mal los!
Die Gasse hinter der Fahrradgarage führt direkt auf die Landstraße und dann eine nicht sehr steile, aber laaange Steigung hinauf. Schon auf “Eco” gleitet die Landschaft easy vorbei. Warmer Fahrtwind bei 21 km/h, aber eben auch 23 Grad Celsius. Links wächst Wein, rechts toben Lämmer, oben auf dem Hügel die erste Sehenswürdigkeit: der Torre de Canyamel, ein quadratischer Trutzturm aus dem 13. Jahrhundert. Von oben könnte man bis aufs Meer schauen, ob da vielleicht Seeräuber kommen. Oder die Mauren. Oder der König von Aragón mit seinem Heer… Im anliegenden Museum wird die ganze Geschichte der Eroberungen und Zurückeroberungen Mallorcas erklärt. Später vielleicht. Arthur macht sicherheitshalber ein Foto.
Wir radeln nach Norden. Next Stop: Capdepera. Der Ort liegt auf schwindelerregenden 111 Metern über dem Meer. In den Vorgärten der Natursteinhäuser reifen die Orangen. Das machen die hier fast das ganze Jahr über. Man sollte immer eine Saftpresse dabeihaben. Aber gegen den Durst nach der Bergetappe und mit etwas Appetit machen wir an einem hübschen Platz mit Bäumen und Bars drum rum halt.
“Una caña y un bocadillo con queso y jamón para mí, por favor”, sagt man hier, so schnell man kann. Das kleine Bier vom Fass ist eiskalt und schmeckt fantastisch. “Estrella Galicia” heißt es, Stern Galiziens. Das Baguette mit Käse und Schinken (und Tomaten, Zwiebeln, Jalapeños…) ist heiß y mui delicioso. Auf einer Bank an der Hauswand sitzen vier alte Männer, sie nicken wissend. Über die Cala Mesquida und ganz schnell an Cala Ratjada vorbei, kommen wir oberhalb der Küste zurück nach Canyamel – ein herrlicher Tag. Das Meer hat 19 Grad. Wie auf Sylt. Im August!
Auf ins Grüne
Die nächste Tour führt uns durch das Mittelalterstädtchen Artà – hier darf man ungestraft das Wort pittoresk verwenden. Ein Touristenmagnet mit Fußgängerzone, Cafés, Märkten und Souvenirshops. Arthur macht sicherheitshalber ein Foto.
Weiter geht es nach Süden und durch ein kaum besiedeltes Tal, das überwiegend landwirtschaftlich genutzt wird. Oder einfach nur lässig verwildert daliegt und vor sich hin blüht. Die einspurige Straße windet sich durch Wäldchen, Wiesen, Äcker und Weiden. Natürlich plätschert da auch ein Bächlein durch. Muss ja. 2018 wurde aus diesem und zwei weiteren ein gewaltiger Sturzbach, der alles mit sich riss und den nächsten Ort, Sant Llorenç, komplett mit überflutete. 13 Menschen starben. Aus Angst vor weiteren Unwettern – wegen des Klimawandels, vielleicht noch heftigeren – hat man neue Abläufe gebaut. Und lässt die Natur in Ruhe. Sie hat sich erholt.
Sant Llorenç auch. Und wir erholen uns ebenfalls. In der “Bar VB” bei kühlen Cañas und Fritto Mallorquin, einer rustikalen Pfanne mit Kartoffeln, Paprika, Zwiebeln und Lammleber. Muss man mögen. Ich liebe es. Und nach dem Essen kommt der beste Abschnitt unserer heutigen Tour: die Via Verde.
© Arthur Selbach
Und natürlich plätschert da auch ein Bächlein durch
Die ehemalige Eisenbahntrasse von Manacor nach Artà wurde extra als Allee für Radler angelegt – eine feste Sandpiste durch üppiges Grün, ab und zu blitzt das Meer, es geht durch Tunnel, vorbei an Bauernhöfen, prächtigen Fincas, Weingärten, es gibt zwei, drei Stationen, an denen man Einfahrt an Gleis 1 erhält, um in der Bahnhofskneipe einzukehren. Endstation ist wieder Artà, tatsächlich Hauptbahnhof.
Und morgen? Es gibt unzählige Möglichkeiten für attraktive Touren, nicht nur hier im Osten, dafür werden inzwischen komplette Pakete angeboten, individuell oder geführt in Gruppen (siehe Tipps). Der Mallorquiner Jaume Tort hat für Touren von 45 bis 150 Kilometern eine Fahrradwanderkarte zusammengestellt, wasserfest, falls es doch mal regnet.
Uns erwischt es dann auch. Zwischen Porreres und Felanitx. Im Umkreis von fünf Kilometern nichts zum Unterstellen. Schließlich finden wir doch noch Unterschlupf: in Mallorcas größter und modernster Olivenfarm. Wo wir endlich mal was besichtigen. Und probieren. Wie gut die Öle aus Son Mesquidassa schmecken, konnte Arthur leider nicht fotografieren. Das müssen Sie uns glauben.
Danach schnell nach Hause, den Akku auf “Sport”. Zurück in Canyamel bin ich noch immer klamm und friere. Notiz fürs nächste Mal: Regenkleidung! Aber das gute Meer, es fühlt sich, ach, so warm an. Ich komme jedenfalls wieder. Hamburger Frühling, du kannst mich mal!
Jans Tipps für Mallorca
Hinkommen & Rumkommen
Mallorcas Flughafen ist ein wichtiges Drehkreuz, das Angebot für Flüge aus Deutschland ist immer noch groß, die Preise schwanken je nach Saison und Wochentag. Vergleichen und frühes Buchen lohnen sich. Mit Eurowings oder Ryanair geht es hin und zurück ab ca. 300 Euro. Flugzeit aus Deutschland ist zwischen zwei und drei Stunden.
Wer von einer zentralen Basis aus Touren mit dem Fahrrad oder E-Bike machen möchte, kann den Flughafen- Shuttle vieler Hotels nutzen und sich ein Leihfahrrad liefern lassen (siehe Fahrräder mieten).
Mit dem Mietwagen erreichst du in maximal zwei Stunden jeden Ort der Insel, es gibt spektakuläre Landschaften zu sehen. Alle großen und viele lokale Vermieter haben Stationen am Flughafen. Hier lohnt sich ein Blick in Vergleichsportale wie Check24 (mietwagen.check24.de).
Der öffentliche Nahverkehr zwischen den Orten ist gut und günstig, für Mallorquiner sogar umsonst! Mit komfortablen Bussen kommt man für 4,50 Euro einmal quer über die ganze Insel (tib.org).
Fahrräder mieten
Spring Cycling Mallorca. Rennmaschine, Tourenrad, MTB oder E-Bike – Adrian und sein Team haben alles, liefern zu jedem Ort der Insel, holen wieder ab und helfen, wenn es Probleme gibt. Die Räder sind technisch top, die E-Bikes komfortabel und auch für Neulinge einfach zu bedienen. Tourenrad ab 15 Euro/Tag, E-Bike ab 35 Euro/Tag, mehrtägige Miete günstiger. (Carrer de Teodor Canet 51, Alcudia, Tel. 0637 59 52 23, springcycling.com).
Rundum sorglos
Wikinger Reisen. Die Spezialisten für Aktivurlaub organisieren Fahrradreisen in der Gruppe, aber auch individuell in verschiedene Regionen Mallorcas. Zur achttägigen Gruppenreise in Mallorcas Osten mit Flug, Transfer nach Canyamel und Hotel mit Halbpension gehören auch die E-Bike-Miete und fünf geführte Touren. Ab 1575 Euro (wikinger-reisen.de).
Übernachten
Canyamel Park. Die schöne Hotelanlage (oben) liegt park-ähnlich im kleinen Ferienort Canyamel. Für Fahrräder gibt es eine eigene, gut gesicherte Garage mit ausreichend Steckdosen zum Laden der E-Bikes für den nächsten Tag. Zum Sandstrand sind es zu Fuß nur wenige Minuten, die Bucht ist weit und von felsigen Hügeln umsäumt. Das vor Kurzem renovierte Hotel mit sympathischem Retro- Charme bietet helle Doppelzimmer und Suiten mit Balkon oder Terrasse, Spa-Bereich, Buffet-Restaurant, einen großen Außen- und einen Rooftop-Pool. DZ/F ab 140 Euro (Via Melesigeni, Canyamel, Tel. 0971 84 10 11, canyamelpark.com).
Boutique Hotel Sa Galera. Nahe des Örtchens Cas Concos, mitten auf dem Land liegt dieses kleine Hotel im Finca-Stil mit 16 individuell gestalteten Zimmern. Das Haus befindet sich seit 1850 in Familienbesitz, und so persönlich geht es dort auch zu. Donnerstags bis sonntags gibt es abends ein feines mallorquinisches Dinner aus der hauseigenen Küche. Von der nahe gelegenen Landstraße aus lassen sich viele der verträumten kleinen Buchten und die pittoresken Fischerorte der Ostküste mit dem Fahrrad erreichen. DZ/F ab 130 Euro (Crta. Santanyí Cas Concos Km 6,3, Tel. 0971 84 10 11, hotelsagalera.com).
Genießen
Nou Segle 12. Tapas-Bar an der wunderschönen Plaça de l’Orient. Man sitzt unter alten Bäumen und trinkt una Caña, ein kleines Bier vom Fass. Oder zwei. Dann ein paar Tapas, Vorspeisen zum Teilen für alle und für mich den gegrillten Tintenfisch, bitte! (Plaça de L’Orient 1, Cap-depera, Tel. 0971 201 276, nousegle12.com).
Estragon. Gelegen an einem Kreisel mit schattigen Außenplätzen ist es vor allem drinnen ein Kracher: mit offener Küche, spektakulärer Bar und Kunst an hohen Wänden. Gekocht wird anspruchsvoll und lokal. Dazu gibt es die tollsten Weine von der Insel, da-runter ein paar echte Perlen sogenannter Naturweine, die ursprünglich, aber ungewöhnlich schmecken. (Plaça de Peralada, Tel. 0601 99 69 30, restaurant-estragon.com).
Bar Playa. Direkt am Strand, zehn Meter vom Wasser weg ist die Bar eine Institution – und deshalb, dann aber wirklich, nur in der Nebensaison zu empfehlen. Vom Grill kommen frische Meeresfrüchte, der Weißwein ist eiskalt, die Sonne lacht (Av. del PInar 2a, Son Severa, Tel. 0971 81 65 76).
Menu del dià. Tagesmenü in vielen Cafés, Kneipen und Marinas mit Blick aufs Meer. Preiswerte mallorquinische Hausmannskost, immer drei Gänge, inklusive Wasser und Wein ca. 15 Euro! (Geheimtipp: Cantina Club Nautic Sa Rapita, Av. de Miramar, Tel. 0971 64 04 47)
Entdecken
Cuevas de Artà. Höhlensystem am Cap Vermell, in dem 1229 maurische Soldaten Schutz vorm König von Aragón suchten. Der Eingang ist noch rußgeschwärzt. Mit Führung, 16 Euro, Kinder 8 Euro (cuevasdearta.com).
Son Mesquidassa. 150 000 Olivenbäume, modernste Technik, feinste Produkte. Führungen und Öl-Tasting auf Anfrage (Tel. 0971 06 49 35, sonmequidassa.com/de).
Mehr Infos findest du hier illesbalears.travel/de/mallorca
Unbedingt Mitnehmen
Sonnencreme LSF 50, leichte Regensachen, Fahrradkarte (mallorcabike.info)
Hätte ich das gewusst
Mallorca hat 300 Sonnentage im Jahr. Der Autor hatte Sunblocker, aber nur zwei lange Hosen. Die weiße trug er an einem der 65 anderen Tage.
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