Irmela Mensah-Schramm, 79, kämpft gegen Nazis: "Ich bin auf ihn zu und hab‘ ihm frech ins Gesicht gegrinst"

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Seit knapp 40 Jahren ist Irmela Mensah-Schramm in Deutschland unterwegs, um Hassbotschaften aus dem öffentlichen Raum zu entfernen – und wir können viel von ihr lernen. 

“Ich wurde geschubst. Ich wurde getreten. Ich wurde gepackt”, sagt Irmela Mensah-Schramm. Zweimal wurde die 79-Jährige auch schon angeklagt. Doch Gewalt und juristische Scherereien halten die ehemalige Heilpädagogische Lehrkraft nicht davon ab, überall in Deutschland rechtsradikale Schmierereien zu entfernen. Ihre Funde hat sie in 149 Ordnern dokumentiert; sie sind prall gefüllt mit Hassbotschaften wie “Ausländer in die Gaskammer” oder “Juden ab in den Ofen”. Diese zeigt sie in ihrer Wanderausstellung “Hass vernichtet” und in ihren Schüler-Workshops “Mit bunten Farben gegen braune Parolen”. Für ihre Arbeit hat die Berlinerin mehrere Auszeichnungen erhalten. Ein Gespräch über Widerstand und was jede von uns gegen Rechtsruck und Rassismus tun kann.

BRIGITTE: Haben Sie wirklich immer Nagellackentferner dabei, wenn Sie das Haus verlassen?

Irmela Mensah-Schramm: Ja. Vor allem, wenn ich Bus oder S-Bahn fahre, kann ich den gut gebrauchen. An den Rückenlehnen der Sitze stehen ja gerne mal Dinge wie ’88’, was ‘Heil Hitler’ bedeutet, oder auch Morddrohungen gegen Muslime. 

Sie sind seit fast 40 Jahren in Deutschland unterwegs und entfernen rechtsradikale Parolen und Hassbotschaften. Was versprechen Sie sich davon?

Diese Botschaften, die ich bekämpfe, sind mit der Absicht angebracht worden, der Öffentlichkeit eine menschenverachtende Denkweise zu vermitteln. Sie sind Drohungen gegen unerwünschte Mitmenschen und eine Dauerpropaganda für rechte Gesinnung. Und ich mache es zu meinem Dauerthema, diese Gesinnung nicht zu dulden. Da bin ich gerne intolerant.   

Rund 140.000 Schmierereien haben Sie bereits entfernt oder übermalt. Das sind durchschnittlich zehn pro Tag. Gehen Sie ganz bewusst los, um Naziparolen zu finden? 

Sagen wir es so: Ich gehe wachsam los, damit ich aktiv werden kann. Und wenn ich bedenke, dass ich allein im letzten Jahr in Rudow, einem Ortsteil von Berlin-Neukölln, 166 Nazisymbole entfernt habe, sind es wahrscheinlich längst viel mehr als 140.000.

Sie sagen, “Hass muss vernichtet werden”. Kann das funktionieren? Das Gedankengut verschwindet ja nicht durch das Entfernen menschenverachtender Botschaften.

Wenn jemand zu mir sagt, das bringt doch nichts, die Sachen nur wegzumachen, sage ich: Mit Nichtstun erreicht man gar nichts. Und was bringen eigentlich die sogenannten Toleranzfeste mit Hüpfburgen und Kuchenständen? Durch meine Aktion sind die Botschaften erstmal weg – und weg müssen sie so oder so, denn Nazisymbole sind bei uns verboten. Das ist der erste Schritt. Dann können weitere Schritte folgen.

Welche sind das?

Mit den Umstehenden zu reden. Ich werde oft von Leuten angesprochen, die mich beobachten, wenn ich die Nazipropaganda wegputze oder überspraye. Die einen sagen, es ist gut, was ich tue, die anderen, das dürfe ich nicht, weil ich damit das Recht auf freie Meinungsäußerung verletze.

Was sagen Sie diesen Leuten?

Ich sage: ‘Meinungsfreiheit hat Grenzen, sie endet, wo Hass und Menschenverachtung beginnen.’ ‘Heil Hitler!’ kann ja nicht durch freie Meinungsäußerung abgedeckt werden. Oder das, was ich letzte Woche in Oschersleben gefunden habe: ‘Hitler an die Macht!’

Gibt es Menschen, die die Polizei rufen, wenn sie Sie bei Ihrer Arbeit beobachten?

Natürlich. Und wenn die Polizei dann sagt, die Schmiererei sei bekannt, frage ich, und warum ist sie dann noch dran? Eine unter Verbot stehende Aussage? Die Polizei behauptet dann gerne, sie sei nicht zuständig. Deshalb habe ich irgendwann aufgehört, sie zu rufen. In Fürstenwalde habe ich vier oder fünfmal riesige Hakenkreuze gemeldet und Polizisten persönlich angesprochen; in Berlin-Rudow dreimal Hakenkreuze an Glascontainern, ohne dass etwas dagegen unternommen wurde. Ein Polizist sagte nur, der Nagellackentferner, den ich zum Wegputzen verwende, sei eine gefährlich ätzende Flüssigkeit. Solche Äußerungen sind so blöd, dagegen bin ich richtig allergisch. Irgendwann bin ich dazu übergegangen, die Sachen einfach selbst wegzumachen.  

Haben Sie auch Konflikte mit Nazis, den Urhebern der Schmierereien?

Vor längerer Zeit sagte in Cottbus einer zu mir, das Hakenkreuz solle dranbleiben und ich sagte: ‘Nein, das kommt ab.’ Er hat mich angeschrien, aber ich habe weitergeputzt und dann zu ihm gesagt: ‘Zu spät, jetzt isses ab!’

Wie hat er reagiert?

Er kam auf mich zu, richtig massiv, das war schon gefährlich für mich. Weil ich nicht wegrennen konnte, bin ich langsam auf ihn zu und hab’ ihm frech ins Gesicht gegrinst. Da hat er sich umgedreht und ist weggelaufen. Wenn ich das den Kindern in meinen Schul-Workshops erzähle, lachen sie sich kaputt.

Sind Sie auch schon körperlich attackiert worden?

Ich wurde geschubst. Ich wurde getreten. Ich wurde gepackt. Zuletzt in Flöha. Ich wollte einen Aufkleber abmachen, da ist ein Mann auf mich losgegangen und hat versucht, mich umzureißen. Ich habe ihn ganz laut angeschrien: ‘Leck mich am Arsch!’ Vor lauter Schreck hat er mich losgelassen und ich habe weitergemacht. Dann kam ein anderer und spuckte vor mir auf den Boden. Ich habe so getan, als ob ich es nicht merke. Ein Dritter hat sich dann mit dem Handy vor mich hingestellt und gefilmt. Dem habe ich den Mittelfinger gezeigt. 

Wie kommt es, dass Sie in solchen bedrohlichen Situationen keine Angst haben?

Ich habe Angst, aber ich zeige sie nicht! Ich renne vor den Nazis nicht weg. Die Nazis wollen, dass man Angst vor ihnen hat. Und diese Opferrolle lehne ich ab.  

Viele Menschen fürchten Rechtsradikale und wissen nicht, wie sie ihnen begegnen sollen. Was sagen Sie denen? 

Den Schülern in meinen Workshops sage ich immer sehr deutlich: Gegen Hass hilft nicht Gegenhass. Ich führe keinen Krieg gegen Nazis. Ich bekämpfe ihre Gesinnung und leiste Überzeugungsarbeit. Für mich sind Nazis auch Menschen. Und ich habe es durch meine Aktivitäten geschafft, dass welche ausgestiegen sind. 

Wie kam das?

Ausgerechnet am 8. Mai kam mir in Berlin ein Nazi entgegen, der häufig auf mich losgegangen ist und Hassparolen gegen mich gesprayt hat, wie ‘Zeckenoma – wir kriegen dich!’ Er rief: ‘Frau Schramm, ich bin nicht mehr dabei! Und dafür will ich Ihnen danken.’ Ich bin fast in Ohnmacht gefallen, und als mir die Tränen kamen, sagte er: ‘Ach, nicht doch!’ Ich habe ihn gefragt: ‘Woher kommt denn der Sinneswandel?’ Und er sagte: ‘Wir haben Ihnen viel Stress gemacht, aber Sie haben weitergemacht und sind Ihrer Sache treu geblieben. Das hat mir zu denken gegeben.’ Ich kenne noch zwei andere Naziaussteiger, für die ich Vorbild bin. 

Das ist toll! Aber was sollte man konkret tun, wenn man auf der Straße mitbekommt, dass jemand rassistisch beleidigt wird?

Da kann ich Ihnen zwei Beispiele nennen: Einmal stand eine Gruppe äthiopischer Frauen in der S-Bahn und eine Deutsche kam rein und beschimpfte sie. Glauben Sie mir: Ich bin vom hintersten Ende der S-Bahn hingerannt und habe sie aus der Bahn herausgeschrien. Ein anderes Mal stieg ich in den Bus und hörte hinten eine unheimliche Meckerei. Gut, dachte ich, jetzt gehe ich mal nach hinten und da hörte ich, wie ein Mann einen Schwarzen Jugendlichen beschimpft: ‘Du gehörst nicht hierher, geh zurück, wo du herkommst!’ Alle schwiegen. Ich habe tief Luft geholt, das gibt Kraft, und geschrien: ‘Entweder, Sie sind sofort still – oder raus!’ Das ‘raus’ habe ich so gebrüllt, dass die Fahrerin den Bus anhielt und die Tür aufgemacht hat. Beim Aussteigen hat der Mann mir den Vogel gezeigt, und ich habe ihm als Antwort meinen Mittelfinger gegeben. Ich bin dann noch zu dem Jungen und habe mit ihm gesprochen. 

Also lautet Ihr Rat Anschreien?

Auf jeden Fall laut werden. Wenn Menschen den Mut haben, zu zeigen, dass sie wachsam sind, erhöht das die Hemmschwelle der Angreifer. Wenn die keinen Widerstand spüren, haben sie leichtes Spiel.
 

Fundorte: Fast überall in Deutschland hat Mensah-Schramm schon Hassparolen entfernt. Eine spendenfinanzierte BahnCard100 bringt sie auch zu ihren Schüler-Workshops und Ausstellungen.
Fundorte: Fast überall in Deutschland hat Mensah-Schramm schon Hassparolen entfernt. Eine spendenfinanzierte BahnCard100 bringt sie auch zu ihren Schüler-Workshops und Ausstellungen.
© Hass vernichtet

Wann genau ist diese Art des Widerstands eigentlich zu Ihrem Lebensinhalt geworden?

Eigentlich habe ich mal schöne Hobbys gehabt – und als ich Ende der Achtziger nach Wannsee zog, wollte ich mir ein Boot kaufen. Aber daraus wurde nichts. Tagsüber habe ich als Heilpädagogische Lehrkraft gearbeitet, und wenn ich nach Hause kam, habe ich mich umgezogen, mein Werkzeug geholt und mir die Leiter geschnappt. Als ich nachts mal ganz oben stand, fragte mich ein Mann, was ich da mache. Ich sagte: ‘Nazi-Aufkleber ab, meine staatsbürgerliche Pflicht.’ Und er sagte, er würde mir lieber helfen, als Streife zu fahren; das war ein Polizist in Zivil. Es gibt also auch Polizisten, die mir zustimmen. Aber die sind stark in der Minderheit. 

Sie wurden schon zweimal verurteilt. Aber auch das hindert Sie nicht daran, weiterzumachen.

Das erste Mal war in Eisenach, da war die ganze Straße vollgeschmiert mit ‘NS-Zone’. Und als ich gerade ein ‘Nazi-Kiez’ in ‘Herz-Kiez’ verwandelte, hat eine Nazifrau mich fotografiert und angezeigt. Das zweite Mal war in Berlin, weil ich aus ‘Merkel muss weg’ ‘Merke! Hass muss weg’ gemacht habe. Da hat mich ein Polizist außer Dienst angezeigt und es kam zum Prozess. Die Staatsanwältin hat in ihrem Plädoyer gesagt, ich sei uneinsichtig, ohne Vorbildfunktion. Und der Generalstaatsanwalt, AfD-Mitglied in Potsdam, meinte, er müsse mir eine harte Strafe aufbrummen, um mich abzuschrecken. Aber dann hieß es plötzlich, man hätte kein Interesse mehr an einer Verurteilung, ich hätte ja nur ‘vorhandene Sachbeschädigungen’ beschädigt.

Unfassbar: Sie sollen bestraft werden, aber die Nazis kommen davon. 

Tatsächlich warte ich fast sehnsüchtig auf die nächste Strafanzeige. Langsam macht es mir Spaß, diesen Staat zu blamieren.

Video-Tipp: Im Rahmen des Projekts “Challenge the Default” spricht Irmela Mensah-Schramm über ihr Ziel, eine Welt zu schaffen, in der Respekt und Menschenwürde oberste Priorität haben. 

 

Source: Aktue