Julia Korbik: Ist Feminismus out?

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Die feministische Bewegung ist zerstrittener denn je. Meinungsverschiedenheiten spalten die Lager. Warum es sich dennoch lohnt, Feministin zu sein, erklärt Autorin Julia Korbik in ihrem neuen Buch – und im Interview mit Brigitte. 

Julia Korbik ist Autorin mit den Schwerpunkten Feminismus, Politik und Popkultur. In ihrem neuen Buch “Schwestern. Die Macht des weiblichen Kollektivs”, das Anfang Februar im Rowohlt Verlag erschienen ist, geht es um Schwesterlichkeit als radikale politische Praxis. Feministische Solidarität und Zusammenhalt sind Werte, die Frauen im Patriarchat oftmals abgesprochen werden. Aus einem einfachen Grund: Wir alle sind mit den Klischeevorstellungen von Frauen aufgewachsen, dass sie zickig und eifersüchtig sind und sich eher gegenseitig bekämpfen, statt miteinander zu kämpfen. Im Interview mit BRIGITTE räumt Julia Korbik mit diesen Rollenbildern auf. Denn auch wenn die feministische Bewegung nicht ohne innere Kämpfe auskommt und manchmal verschiedene Meinungen kollidieren, Schwesterlichkeit existiert dennoch.

Julia Korbik im BRIGITTE-Interview

BRIGITTE: Frau Korbik, was hat Sie dazu inspiriert, Ihr Buch “Schwestern” zu schreiben?

Julia Korbik: Ich wollte schon lange ein Buch über Schwesterlichkeit im Sinne von Solidarität unter Frauen schreiben. Wirklich ausschlaggebend war dann aber ein Besuch in Buenos Aires 2019. Damals waren Abtreibungen in Argentinien noch illegal, weswegen es dort einen sehr aktiven Kampf um das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche gab. Die Argentinierinnen waren auf den Straßen – waren laut. Dieser Akt der Gemeinschaft hat mich nachhaltig beeindruckt.

Dennoch fällt die feministische Bewegung in den letzten Jahren oft durch ihre Uneinigkeiten auf – Rassismus, Antisemitismus, Transfeindlichkeit spalten die Lager. So ist beispielsweise Alice Schwarzer (frühere Vorzeige-Feministin) durch transfeindliche Kommentare in Verruf geraten. Ist Feminismus out? 

Menschen begegnen Feminismus mit einer großen Erwartungshaltung. Er soll möglichst geeint sein, am besten diese eine Sprecherin haben, die für die ganze Bewegung steht. Feminismus besteht aber aus vielen verschiedenen Feministinnen, die unterschiedliche Themenfelder beackern. Es gibt Feministinnen, die engagieren sich für Frauen in den Vorständen und mehr Frauen in Führungspositionen. Andere finden es wichtiger, gegen die vielschichtige Diskriminierung von women of color oder queeren Frauen vorzugehen. Trotz der inneren Kämpfe und Uneinigkeiten zahlt das aber auf die übergeordneten Themen des Feminismus wie Gleichberechtigung, Emanzipation, Freiheit ein.

Feminismus hat viele Gesichter und viele Stimmen. Eine Person als Sprecherin an die Spitze einer Bewegung zu stellen, funktioniert da nicht. Auch wenn sich das manche Menschen wünschen würden

In “Schwestern” propagieren Sie Schwesterlichkeit als radikale politische Praxis. Inwiefern ist diese radikal und politisch? 

Für mich ist Schwesterlichkeit deswegen politisch und radikal, weil Individuen sich zusammentun, um eine wahrgenommene Unterdrückung oder Ungerechtigkeit zu bekämpfen. Schwesterlichkeit ist die Entscheidung, die individuelle Macht in den Dienst einer kollektiven Kraft zu stellen – der feministischen Bewegung – und aktiv an solidarischen Beziehungen mitzuarbeiten. Das Verbindende ist dabei nicht das Ziel, sondern der Ausgangspunkt, auf dem gemeinsames, feministisches und solidarisches Handeln basiert.

Stutenbissigkeit, Zicke, Pick me Girl und und und. Es gibt genug Begriffe, die Frauen abwerten. Sexistische Klischees oder kämpfen Frauen wirklich eher gegeneinander als miteinander?

Ich glaube nicht, dass Frauen von Natur aus andere Frauen bekämpfen. Aber wir alle wachsen in einer misogynen Gesellschaft auf. Ich kann also noch so eine überzeugte Feministin sein, trotzdem wurden mir bestimmte Klischees und Rollenvorstellungen vorgelebt, die ich im Laufe der Jahre verinnerlicht habe und die mich prägen. Sich aktiv von diesen zu lösen, ist schwer.

Es passiert aber schon öfters, dass Frauen zum Beispiel im Jobkontext die Ellenbogen ausfahren. Wie erklären Sie dieses Verhalten?

Frauen, die es in Führungspositionen geschafft haben, mussten sich gegen Männer durchsetzen und sich höchstwahrscheinlich einer sehr männlichen Unternehmenskultur anpassen. Bist du einmal oben angekommen, willst du verständlicherweise dort bleiben. Insbesondere wenn dir zusätzlich noch suggeriert wird, dass es nur wenige Plätze für Frauen an der Spitze gibt. Dann fällt es umso schwerer, weibliche Solidarität zu zeigen und sich für andere Frauen einzusetzen – aus Angst abgelöst zu werden. Daher braucht es die berühmte kritische Masse an Frauen – die liegt bei 30 Prozent –, die weitere Frauen nachziehen und so die Unternehmenskultur grundsätzlich ändern.

Sozialisierung, Strukturen und sich selbst immer wieder zu hinterfragen, das ist Arbeit und ebenfalls Ziel des Feminismus

Was denken Sie, warum viele Frauen dennoch glauben, dass wir die Frauenquote nicht mehr brauchen?

Als ich noch studiert habe, war ich auch gegen die Frauenquote. Ich dachte mir immer, “ich werde mich schon durchsetzen, ich kann ja etwas”. Der Widerwille bei der Quote rührt meiner Meinung nach daher, dass wir alle genau diesen Leistungsgedanken, den ich damals auch hatte, verinnerlicht haben. Frauen wird eingeredet, dass, wenn sie die Quotenfrau sind, sie eigentlich nicht genügend qualifiziert sind für den Job. Aber das stimmt nicht. Quoten greifen bei gleicher Qualifikation.

#Durch Metoo und Co. (keine Frage eine wichtige Bewegung) kommt es mir manchmal so vor, als bewegen wir uns in die Richtung Männer gegen Frauen, weil die “bösen, übergriffigen” Männer in eine Schublade gesteckt werden und die armen Frauen in die Opferrolle. 

Viele denken immer noch, dass Feminismus ein Zeichen von Schwäche ist und dass #Metoo auf dieser Opferrolle aufbaut. Ich fand es toll, wie viele Frauen – und nicht nur Frauen – ihre Erfahrungen und Erlebnisse geteilt haben. Für mich war das ein Zeichen von Stärke. Es erfordert Mut, sich da vorne hinzustellen und laut zu sein. Ich habe das Gefühl, dass vielen Männern zum ersten Mal so richtig die Augen geöffnet wurden. 

Dennoch haben sich einige direkt angegriffen gefühlt, woraufhin das Hashtag #notallmen ins Leben gerufen wurde. 

#Metoo war ein Chor vieler Stimmen, der entstanden ist und der gezeigt hat, wie vielfältig Erfahrungen mit Sexismus, Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt sind und wie viel Kraft es einem geben kann, diese Erfahrungen mit anderen zu teilen. Das hat vielen Männern Angst gemacht. Es wurde schnell klar, dass diese vielen wütenden und lauten Frauen wirklich etwas verändern könnten und die Männer dann gegebenenfalls darunter leiden. Immerhin haben in Hollywood ja auch einige Männer ihre Jobs verloren.

Deswegen wurde die Messlatte für #Metoo irgendwann so hoch gehängt?

So ungefähr. Wenn du nicht persönlich von Harvey Weinstein belästigt wurdest, dann hast du kein Recht, deine Erfahrung zu teilen und dich zu #Metoo zu äußern. Das ist schade. Denn eigentlich geht es bei der Bewegung nicht darum, jemanden anzuschwärzen, sondern um Aufmerksamkeit auf ein Problem zu lenken und etwas zu verändern. Und natürlich um Solidarität.
 

Source: Aktue