Katja Lewina: "Gerade weil mein Kind gestorben ist, fühle ich mich verpflichtet, ein gutes Leben zu haben"

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Katja Lewina schreibt normalerweise über Sex, Beziehungen und alles, was damit zusammenhängt. Kürzlich erschien ihr neues Buch und auch darin geht es in gewisser Weise darum, sich nackt zu machen – bis zum Innersten.

“Was ist schon für immer”, heißt das kleine, orangefarbene Büchlein, in dem Katja Lewina ihre Geschichte erzählt. Es handelt vom Sterben und dem Tod. Ihrem eigenen, denn die Autorin ist unheilbar herzkrank und dem Tod ihres Sohnes, der ihr möglicherweise das Leben rettete. Aber es ist keines zum Verzweifeln. Vielmehr birgt es einen großen Gewinn für das Leben, wenn man den Mut hat, sich mit den Tod anzufreunden. Wie das gelingen kann, macht Katja Lewina mit bewundernswerter Offenheit, ganz unpathetisch und ohne “Lebe deinen Tag, als wäre es dein Letzter“- Plattitüden vor. Im Interview sprechen wir über das Leben mit der Sterblichkeit, die Trauer, das Hadern und das Weitermachen.

BRIGITTE: “Sterben, das tun doch immer nur die anderen. Die Alten, die Kranken”, steht auf dem Klappentext deines Buchs. Dass das nicht zutrifft, hast du selbst erfahren. Vor zwei Jahre wurde eine Herzerkrankung bei dir diagnostiziert. 

Katja Leiwina: Genau, aber eigentlich fängt die Geschichte nicht mit meiner Herzerkrankung an, sondern mit dem Tod meines siebenjährigen Sohnes. Edgar war gesund, er hat nie etwas gehabt und ist von einem Moment auf den anderen zusammengeklappt. Höchstwahrscheinlich war es ein plötzlicher Herztod. Ganz genau konnte man das im Nachhinein nicht mehr feststellen. Ich hatte schon vor seinem Tod Herzbeschwerden, aber die wurden nicht ernst genommen. Ich war schließlich jung und sportlich, da denkt niemand ans Herz. Aber nach seinem Tod wurde die Symptomatik immer schlimmer und nur, weil mein Sohn wahrscheinlich daran gestorben ist, wurde dann genauer geguckt. So bin schließlich zu meiner Diagnose gekommen: ARVC – arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie.

Wie äußert sich die Erkrankung?

ARVC ist eine erblich bedingte Herzmuskelerkrankung, bei der sich das Muskelgewebe verändert und dann schlägt das Herz nicht mehr richtig. Das äußert sich teilweise in starken Herzrhythmusstörungen. Und dann kann man eben auch am plötzlichen Herztod sterben.

Hat sich dein Blick auf das Leben verändert?

Das klingt ein bisschen plump, aber die Lebensgestaltung kriegt mit einem Mal eine ganz, ganz andere Bedeutung. Mein Leben hat sich von Grund auf verändert, weil plötzlich das ganze System zusammengestürzt ist. Aber das bedeutet jetzt im Umkehrschluss auch wahnsinnig viel lernen, wahnsinnig viel neu machen, wahnsinnig viel ausprobieren, immer wieder nachspüren mit sehr unkomfortablen Ergebnissen. Aber es ist auch so viel besser geworden. Einfach, weil ich weiß, wie ich meine Zeit verbringen möchte und wie nicht mehr. Natürlich wissen wir alle, dass wir irgendwann sterben, aber wir denken, wir haben noch 1000 Jahre Zeit, um alles zu machen, und das stimmt vielleicht einfach gar nicht.

Autorin Katja Lewina
“Wir denken, wir haben noch 1000 Jahre Zeit, um alles zu machen, und das stimmt vielleicht einfach gar nicht.”
© Julija Goyd

Mit der eigenen Sterblichkeit konfrontiert zu werden, ist das eine, ein Kind zu verlieren, etwas anderes. Wie wird man nicht verrückt und verbittert über solche Schicksalsschläge?

Das kann leicht passieren und ich weiß nicht so genau, was alles dazu beigetragen hat, dass es mir inzwischen trotzdem ziemlich gut geht. Möglich, dass es auch anders gewesen wäre, wenn er mein einziges Kind gewesen wäre. Aber so sind da natürlich auch noch Menschen, um die man sich kümmern muss; Sowas hilft auch in Extremsituationen. Mein Mann hat mich sehr mitgezogen. Kurz nach Edgars Tod hat er gesagt, dass er sich vom Schicksal nicht sein Leben vermiesen lassen will. An diesem Satz habe ich mich festgehalten. Auch wenn es schlimm ist und mein Körper oft nicht so funktioniert, wie ich das möchte: Gerade weil mein Kind gestorben ist, fühle ich mich verpflichtet ein gutes Leben zu haben. Erstens, weil es super gemein ist, was das Schicksal veranstaltet hat, und ich es mir allein deshalb schon extra gut gehen lasse. Zweitens wegen meinem Sohn. Mein Kind hat nichts mehr, hat keine Zukunft mehr vor sich, kann nichts mehr erleben. Und dann machen wir das eben. Aber bitte mit Karacho.

Ich kenne die Angst davor, dass Gefühle nicht mehr weggehen, wenn wir sie einmal zulassen. Aber meiner Erfahrung nach ist das ein Trugschluss.

Eine bewundernswerte Haltung.

Du kannst dich entscheiden: jammerst und lamentierst du darüber, wie ungerecht das Schicksal zu dir gewesen ist. Oder du sagst du: War scheiße. Ich behaupte, es ist eine Entscheidung, ob du in diesem Leiden verharrst oder ob du sagst, “okay, ich suche mir jetzt einen Weg da raus”.

Haderst du nie damit, dass dir all das widerfahren ist?

Natürlich. Ich hadere so doll. Aber jedes Mal, wenn so was kommt, dann weiß ich, wenn ich mich jetzt voll da reingebe, wenn ich jetzt das mit mit jeder Faser meines Körpers spüre und mich dem total ausliefere, dann geht das auch wieder weg. Wenn wir unseren Gefühlen nicht ausreichend Platz geben, kommen sie immer wieder und lassen uns nicht in Ruhe. Ich kenne die Angst davor, dass Gefühle nicht mehr weggehen, wenn wir sie einmal zulassen. Aber meiner Erfahrung nach ist das ein Trugschluss.

Theoretisch weiß jede:r, dass man jeden Tag vom Auto überfahren werden kann. Praktisch beschäftigen wir uns erst mit dem Tod, wenn wir es wirklich müssen. Vielleicht braucht es diese Grenzerfahrung, damit es überhaupt realisierbar ist?

Dann wird man in jedem Fall dazu gezwungen, sich diese Gedanken zu machen. Ich würde trotzdem jedem Menschen empfehlen, sich mit diesen Themen zu beschäftigen. Ich bin mir sicher, dass es mir auch vieles leichter gemacht hätte, wenn ich die Idee wirklich zugelassen hätte, dass das, was ich habe, nicht unbedingt selbstverständlich ist – meine Gesundheit, meine Kinder, Menschen um mich herum, die mich lieben. Dass das jederzeit alles zu Ende sein kann.

Also glaubst du, dass man sich darauf vorbereiten kann?

Ich denke, die wirkliche Wucht kann man sowieso nicht antizipieren, wie einen die Trauer erwischt zum Beispiel. Oft reagieren wir auch anders, als wir uns das vorgestellt haben. Aber um das ganz Unangenehme, dieses Schreckliche dem Tod zu nehmen, müssen wir uns mit ihm auseinandersetzen. Je weniger man es wegschließt, desto mehr kann man das integrieren.

Du hast noch zwei weitere Kinder. Wie kann man solche Schicksalsschläge auffangen, ohne dass die Angst nun das Leben regiert?

Das war meine größte Sorge. Aber ich finde, wir sind da ganz gut rausgekommen, weil wir einen sehr offenen Umgang sowohl mit Edgars Tod als auch mit meiner Erkrankung haben. Ich wollte sie von vornhinein mitnehmen und die beiden wissen, dass sie alles fragen können. Es gibt keine Tabuthemen. Niemand muss Gefühle zurückhalten. Ich glaube, das war auch eine Lektion aus Edgars Tod. Der hat uns alle so kalt erwischt, weil wir keine Möglichkeit hatten, uns darauf vorzubereiten.

Was hat euch deiner Erfahrung nach im Umgang mit der Trauer geholfen?

Bei uns ist es die totale Annahme. Es ist passiert, und jetzt gehen wir damit um, gehen weiter. Es gibt Edgars Zimmer in der Form nicht mehr – warum hätten wir es leerstehen lassen sollen? Aber seine Sachen tauchen in der ganzen Wohnung immer wieder auf, die sind ganz selbstverständlich zwischen unseren. Wir wollen uns ganz alltäglich erinnern, hier wird er nicht totgeschwiegen, hier ist er präsent, weil er immer noch eine ganz selbstverständliche Rolle in unserem Leben spielt.

Auch wenn mein Körper oft nicht so funktioniert, wie ich das möchte, liegt in diesem Leben immer noch eine Menge für mich bereit.

Verändert sich die Trauer mit der Zeit?

Es wird leichter. Man integriert sie in das Leben und ins Denken. Ich bin sehr froh, aus diesem Schockzustand rausgekommen zu sein. Der war eigentlich noch schlimmer als die Trauer. Die Trauer kommt in Wellen. Eine Zeit lang ist es gut und dann gibt es wieder Zeiten, in denen mehr geweint und gehadert wird. Ich versuche dem einfach Raum zu geben, wenn es kommt und darauf zu vertrauen, dass es dann auch wieder ruhiger wird.

Gibt es etwas, wo du sagen würdest, das kann ich aus dieser besonderen Situation für mich ziehen?

Vielleicht, dass es sich nicht lohnt, seine Zeit damit zu verplempern, sich über Unnötiges aufzuregen, sich an den Problemen anderer und selbstkreierten Dramen abzuarbeiten. Und das Bewusstsein dafür, dass wir vieles nicht beeinflussen können, aber es eben noch viele Dinge gibt, die wir selber in der Hand haben. Ich habe mich lange Zeit dem Leben gegenüber machtlos gefühlt, nachdem das alles passiert ist. Und ich habe das Gefühl, so langsam komme ich wieder in meine Macht zurück. Auch wenn mein Körper oft nicht so funktioniert, wie ich das möchte, liegt in diesem Leben immer noch eine Menge für mich bereit.
 

Cover

Über das Buch: Sterben – das tun doch immer die anderen. Die Alten vielleicht, die Kranken. Aber was, wenn der Tod näher ist als gedacht? Und unser Leben unwägbarer als wir annehmen? Seit zwei Jahren weiß Katja Lewina von ihrer Herzerkrankung und dass sie ihr jederzeit das Leben kosten kann. Die Diagnose bekam sie kurz nach dem plötzlichen Tod ihres siebenjährigen Sohnes. Mit einem Mal wurde die Möglichkeit zu sterben Teil ihres Alltags.
In “Was ist schon für immer” beschäftigt sich Katja Lewina mit dem Thema Sterblichkeit und Verlust. Ausgehend von ihrer eigenen Situation, erkundet sie eine Erfahrung, die uns am Ende alle betrifft. Was macht unsere Endlichkeit mit der Liebe? Wie erklärt man das den Kindern? Was wollen wir hinterlassen? Was holen wir aus unserem Leben raus – sollen wir der Gesundheit zuliebe ruhig machen und damit eine Menge verpassen oder ganz im Gegenteil aufs Gas treten? Wie reagieren Menschen auf Krankheit und Tod? Gibt es richtige und falsche Worte? Was gehört geklärt und was vergessen? Diesen Fragen stellt sich Katja Lewina in elf Essays ohne die üblichen Carpe-diem-Plattitüden, dafür mit extra viel No-Bullshit-Sauce. Und dem unliebsamen Reminder: Sterben geht uns alle an.

Katja Lewina wurde 1984 in Moskau geboren, studierte Slawistik sowie Literatur- und Religionswissenschaften. Heute ist sie freie Autorin für namhafte Medien und Bestsellerautorin. “Was ist schon für immer” erschien im Dumont Verlag und kostet 20 Euro.

Source: Aktue