Kognitionswissenschaftler erklärt: Warum wir als Menschen nach Sinn suchen

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Was ist der Sinn des Lebens? Und der Sinn des Sterbens? Welchen Sinn hat meine Arbeit? Kaum einem Menschen sind solche Fragen unbekannt. Warum wollen wir stets in allem einen Sinn erkennen? Der schwedische Kognitionsforscher Peter Gärdenfors hat eine Antwort.

Dass Fragen nach Sinn und Bedeutung nicht nur in der Philosophie relevant sind, legen unterschiedliche psychologische Studien nahe. So ergab etwa eine 2014 veröffentlichte Untersuchung eines kanadischen Forschungsteams mit rund 7.000 US-amerikanischen Erwachsenen, dass jene mit einem stark ausgeprägten Sinngefühl signifikant gesünder und länger lebten als Personen mit geringerem Sinnempfinden. Forschende der Florida State University konnten in Experimenten zeigen, dass sich die Teilnehmenden leichter und stärker gestresst fühlen, wenn sie ihr Leben nicht als bedeutungsvoll wahrnahmen. Und in einer Studie mit Arthritis-Patient:innen, die sich einer Knie-Operation unterziehen mussten, stellte sich heraus, dass ein ausgeprägtes Sinngefühl zu einer aktiveren Regeneration und besseren Heilung beitrug. 

Sinn erleichtert den Alltag – doch die Suche danach kostet Energie

Darüber hinaus wissen die meisten Menschen aus eigener Erfahrung, dass Sinn im Alltag eine Rolle spielen kann: Es fällt uns leichter, uns zu einer Tätigkeit zu motivieren, wenn wir sie als sinnvoll erachten. Wir können besser mit Schicksalsschlägen umgehen, sofern wir ihnen irgendeinen Sinn zuschreiben können. Wir fühlen uns wohler und glücklicher, wenn wir erleben, dass das, was wir tun, eine Bedeutung und Auswirkung auf die Welt oder andere Menschen hat. Der Philosoph Ernst Cassirer prägte bereits Anfang des 20. Jahrhunderts den Begriff “animal symbolicum”, um den Menschen zu charakterisieren: das Tier, das stets deutet. 

Was aber bringt es uns als Menschen, ein Bedürfnis nach Bedeutung zu verspüren? Schließlich würde es uns einiges an mentaler Energie sparen, wenn wir sinnlos vor uns hin leben und Dinge akzeptieren könnten, wie sie sind – ohne sie deuten zu müssen. Der Kognitionswissenschaftler Peter Gärdenfors von der schwedischen Universität Lund vertritt die Ansicht, dass unser Sinnstreben unmittelbar mit unserer Gewohnheit zusammenhänge, die Zukunft zu gestalten.

Ohne übergeordneten Sinn wäre langfristiges Planen fragwürdig

“Unsere einzigartige Position als bedeutungssuchende Wesen ergibt sich aus der Tatsache, dass wir das einzige Tier sind, das sich auf die entfernte Zukunft einstellen kann und nicht nur auf unsere gegenwärtigen Bedürfnisse”, schreibt Peter Gärdenfors in einem Beitrag für “Psychology Today”. “Dafür brauchen wir ein Langzeitziel, das uns dazu motiviert, über Konsequenzen in der Zukunft nachzudenken und nicht nur für den Moment zu leben.”

Der eigenen Existenz einen übergeordneten Sinn zu unterstellen beziehungsweise einen Sinn in ihr zu erkennen sei laut dem Wissenschaftler notwendig, um langfristige Ziele und langfristiges Planen für uns selbst zu rechtfertigen: Gingen wir nämlich davon aus, dass es generell egal wäre, ob es uns gibt oder nicht, wären der gegenwärtige Moment oder die nächsten paar Stunden und Tage stets wichtiger als ein zukünftiger Zeitpunkt, von dem wir nicht einmal sicher wissen können, dass wir ihn überhaupt erleben. Uns müsse etwas daran gelegen sein, über die Zukunft nachzudenken. Und das wäre es nur, wenn wir davon überzeugt seien, es sei sinnvoll, dass wir existierten – jetzt und in Zukunft. 

Zukunftsplanung wiederum gehört zu den schwer infrage zu stellenden Erfolgsgeheimnissen der Spezies Mensch ist: Vorzusorgen erhöht unsere Überlebenschancen. In der Gegenwart wird Energie frei, wenn wir gewisse Dinge in der Vergangenheit bereits vorbereitet haben. An eine langfristige Zukunft zu denken, hat uns vieles von dem ermöglicht, was die menschliche Entwicklung aus und besonders macht. Ist dies untrennbar mit Sinnsuche verknüpft, wie etwa Peter Gärdenfors sagt, gilt das für sie genauso. 

Stärkt unser Sinnbedürfnis unser Sozialgefüge?

Ein weiterer Vorteil, den unser Bedürfnis nach Sinn für uns haben könnte, ist vielleicht der, dass es uns oftmals in vielfältiger Weise miteinander verbindet. So wenden sich zum Beispiel einige Menschen in ihrem Streben nach Bedeutung dem Glauben zu – wodurch sie Teil einer Gemeinschaft werden. Viele Personen sehen und erleben Sinn, wenn sie mit anderen interagieren, wenn sie beispielsweise anderen Menschen helfen, sich um jemanden kümmern, eine Rolle für andere spielen. So könnte Sinnsuche beziehungsweise unser Sinnbedürfnis vielleicht unser Sozialgefüge stärken und einen Anteil daran haben, dass wir vornehmlich miteinander kooperieren, anstatt uns gegenseitig zu bekämpfen und zu schwächen.

Egal, was die größten Vorteile unseres allgemeinen Sinnstrebens sein mögen, als Individuen profitieren wir erwiesenermaßen, wenn wir unserem Leben eine Bedeutung zuschreiben können. Von daher ist es in unserem eigenen Interesse, unser Sinnbedürfnis ernst zu nehmen. 

Source: Aktue