Kolumne: Psychologin klärt auf, wie wir Kritik üben – ohne zu verletzen

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Das Leben ist oft ganz schön kompliziert. Zum Glück müssen wir da nicht allein durch. Diesmal: Psychologin Franca Cerutti über liebevoll Kritik üben.

Heftbox Brigitte Standard

Darum geht’s: Meine Freundin schüttet mir oft ihr Herz aus, über ihren stressigen Job, den Struggle im Familienleben … Ich höre ihr zu. Aber je mehr ich höre, desto klarer wird mir: Sie ist oft selbst Teil des Problems und verhält sich nicht immer fair. Doch wie sage ich ihr das, ohne ihre Gefühle zu verletzen? Oder sollte ich lieber schweigen?

Das Ziel im Blick behalten

Einerseits gehört es zu einer Freundschaft dazu, auch mal konstruktive Kritik zu üben, besonders wenn man sieht, dass ein Lieblingsmensch sich in einer Weise verhält, die ihm oder anderen schadet. Andererseits möchten wir die Beziehung nicht belasten. Wie können wir kritisieren, ohne zu verletzen? Zunächst sollten wir uns eines klarmachen: Wir wollen niemanden angreifen, sondern wir wollen, dass eine Freundin weniger (selbstverursachten) Stress hat. Auf diese innere Haltung kommt es an.

Ein wichtiger Aspekt liebevoller Kritik ist es, die Gefühle unseres Gegenübers zu validieren, aber nicht notwendigerweise die Handlungen. Validierung bedeutet, die Emotionen und Erfahrungen des anderen anzuerkennen und ihnen Raum zu geben. Es bedeutet jedoch nicht, dass wir alle Taten gutheißen oder unterstützen müssen. Ich kann also durchaus Mitgefühl und Verständnis für die Emotionen meiner Freundin zeigen, ohne das Verhalten, das aus diesen Emotionen resultiert (zum Beispiel unüberlegte Reaktionen oder Wutausbrüche), zu rechtfertigen. Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu treffen, weil ich so unterstützen kann, ohne ungesundes oder schädliches Verhalten zu fördern.

Subjektive Eindrücke statt pauschaler Aussagen

Wenn ich Kritik äußere, indem ich sage: “Du bist immer so reizbar” oder “Du bist zu empfindlich”, greife ich die Identität der anderen Person an. Damit sind verletzte Gefühle vorprogrammiert, meine Freundin wird in die Defensive gehen. Stattdessen kann ich mich darauf konzentrieren, meinen persönlichen Eindruck einer konkreten Situation zu schildern (Stichwort “Ich-Botschaften”), und Worte wie “immer” oder “ständig” vermeiden. Meine Kritik sollte möglichst spezifisch sein. So kann meine Freundin ihr Verhalten reflektieren, ohne sich als Person angegriffen zu fühlen.

Freundschaften basieren auf Vertrauen und gegenseitigem Wohlwollen. Das bedeutet aber nicht, dass wir uneingeschränkt Zuspruch und Rückendeckung geben müssen, wenn jemand offensichtlich zur eigenen Misere beiträgt. “Ein Freund ist jemand, der alles über dich weiß und dich trotzdem liebt”, hat der Philosoph Elbert Hubbard gesagt. Manchmal finden wir unsere Freundinnen unmöglich, und manchmal müssen wir sie vor sich selbst schützen und unbequem werden – aber wir lieben sie! Und solange das spürbar bleibt, ist alles gut.

Franca Cerutti ist Psychotherapeutin und podcastet unter dem Label “Psychologie to go!”. Dieses Motto nimmt sie wörtlich – bald geht sie mit Mann und Sohn auf Weltreise.

Source: Aktue