Kontrovers diskutiert: Eltern von Trans-Kindern fordern Stopp von neuer Behandlungsleitlinie

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Eine neue Behanldungsleitlinie für Trans-Kinder stößt schon vor ihrer offiziellen Veröffentlichung auf Kritik und Widerstand, besonders eine Eltern-Initiative schlägt Alarm. Die Leitlinie fordert eine Abkehr der bisherigen Vorgehensweise und zieht die Selbsteinschätzung der Kinder in besonderem Maße zur Diagnose heran.

Die Entwicklung neuer medizinischer Behandlungsleitlinien für Minderjährige mit Geschlechtsdysphorie – also dem Wunsch, ein anderes oder alternatives Geschlecht zu sein – sorgt für eine kontroverse Debatte. “WELT” berichtete über den Widerstand von Eltern sogenannter Trans-Teens im deutschsprachigen Raum, die durch einen offenen Brief die sofortige Aussetzung dieser neuen Behandlungsleitlinie fordern. In der Kontroverse geht es hauptsächlich um die Abkehr von traditionellen psychotherapeutischen Ansätzen zugunsten einer geplanten Behandlungsleitlinie für Trans-Teens, die die frühe Gabe von Hormonen und das Vornehmen von chirurgischen Eingriffen vorsieht. Die Eltern schlagen Alarm.

Gesunde Jugendliche werden zu “lebenslangen Patient:innen”

Die Initiative “TransTeens Sorge berechtigt”, angeführt von Anna Weber und David Allison, argumentiert, dass die frühzeitige und systematische gender-affirmative Behandlung ethisch fragwürdig sei und gesunde Jugendliche zu “lebenslangen Patient:innen” mache. In einem offenen Brief an die Vorstände und Präsidien der medizinischen Fachgesellschaften wird von den Eltern “genderunsicherer oder genderdysphorischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen” die drastische medizinische und lebensverändernde Intervention als ungeeignete Erstbehandlung kritisiert. Stattdessen plädieren sie für eine Verschiebung invasiver Maßnahmen bis ins Erwachsenenalter, um eine offene Zukunft zu gewährleisten. “Welt” zitiert die Initiator:innen:

“Drastische medizinische und lebensverändernde Interventionen sollten immer die letzte Option sein und nicht die Behandlung der ersten Wahl, wie es zurzeit routinemäßig in Deutschland der Fall ist.”

Bedenken bezüglich Überdiagnosen und Suizidgefahr

Die Elterninitiative warnt außerdem vor vermehrten Überdiagnosen und falsch-positiven Fällen, insbesondere, da die rechtlichen Möglichkeiten zur Geschlechtsänderung durch das neue Selbstbestimmungsgesetz erleichtert wurden und der Ausbau neuer gender-affirmativer Beratungsstellen, Internetangebote und Kliniken für Transgender-Health stark vorangetrieben werde. Sie bemängeln auch die unverantwortliche Übertreibung von Suizidgefahr und Selbstverletzung bei “geschlechtsverwirrten” Kindern und Jugendlichen, was sie als nicht dem Stand der Forschung entsprechend ansehen.

Abkehr von der als psychische Störung angesehenen “Transsexualität”

Das Dokument ist noch nicht offiziell veröffentlicht, es wird aktuell von Fachkolleg:innen begutachtet, die dazu Rückmeldungen geben können. Die Richtlinie wäre ein Paradigmenwechsel in der Behandlung dessen, was einst als “Transsexualität” bezeichnet und als psychische Störung klassifiziert wurde. Heutzutage wird “Geschlechtsdysphorie” nicht mehr als Krankheit, sondern als Zustand angesehen. Mediziner:innen vertreten die Ansicht, dass die angemessene Behandlung weniger in der Psychotherapie liege, sondern vornehmlich in medizinischen Eingriffen bestehe, um den Betroffenen zu helfen.

Die neue Leitlinie ermöglicht eine medizinische Diagnose auf Grundlage der Selbsteinschätzung der Kinder. Die Präambel betont, dass Ärzt:innen die Wünsche der Kinder und Jugendlichen zu achten haben, die sich einem anderen als ihrem angeborenen Geschlecht zugehörig fühlen. Therapeutische Ansätze, die darauf abzielen, das Gefühl der Geschlechtszugehörigkeit in eine bestimmte Richtung zu steuern, werden als “unethisch” angesehen.

Elterninitiative kritisiert UN-Verband

Die deutsche Behandlungsleitlinie orientiert sich stark an den Empfehlungen der internationalen Transgender-Organisation WPATH (World Professional Association for Transgender Health) und der weltweiten “Endrocrine Society”. Die WPATH war zuletzt aufgrund der Veröffentlichung interner Diskussionen ihrer Mitglieder in die Kritik geraten. Diesen Diskussionen zufolge wurden Jugendliche mit Hormonen behandelt, die möglicherweise nicht die Tragweite ihrer Entscheidungen überblicken konnten. Die WPATH ist bekannt für ihre Befürwortung der Gabe von Pubertätsblockern an Minderjährige – eine Praxis, die in Ländern wie Großbritannien, Schweden und Finnland aufgrund fehlender Evidenz zunehmend abgelehnt wird. Die lebenslangen Folgen dieser Behandlungen seien nicht abschätzbar und der Nutzen zweifelhaft, meinen die Gegner:innen. Diese Länder bevorzugen nun wieder vermehrt psychosoziale Unterstützung und Psychotherapie.

Medizinische und ethische Bedenken

Die Kritik aus der Elternschaft findet Echo bei einigen führenden Mediziner:innen. Professor Florian Zepf – der Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Jena – und Tobias Banaschewski  – Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters – haben ebenfalls ihre Besorgnis über die Behandlung gesunder Minderjähriger mit Geschlechtsdysphorie ausgedrückt, Banaschewski warnt vor einem potenziellen “Medizinskandal”. Zepf war selbst Mitglied der Leitlinienkommission, verließ diese aber Ende 2022 aufgrund berufsethischer Bedenken. Die Ärzte betonen das Fehlen klarer medizinischer Evidenz für solche Behandlungen. Auch die Elterninitiative hebe in ihrem Schreiben die mangelnde Beweislage hervor, berichtet “WELT” und zitiert den offenen Brief der Initiative: 

“Es ist unethisch, die unzureichende Qualität der Beweise zu erkennen, jedoch weiterhin starke Empfehlungen für die medizinische Transition Minderjähriger auszusprechen, ohne den Nutzen und die Risiken vollständig zu verstehen.” 

Sie betonen, dass Pubertätsblocker und dauerhaft notwendige Behandlungen mit Cross-Sex-Hormonen “keine geringfügigen, sondern lebensverändernde Maßnahmen” darstellen.

Pubertätsblockade eine Pause “zum Nachdenken”?

Die Leitlinie musste in ihrem Status schon herabgestuft werden, weil sie rein auf der Zustimmung der Kommissionsmitglieder beruhe und nicht auf medizinischer Evidenz, berichtet “Welt”. Zwar werde an vielen Stellen darauf hingewiesen, dass es an Evidenz für Medikamente und Eingriffe mangele, doch die Gabe von Pubertätsblockern, gegengeschlechtlicher Hormone und die Amputation der weiblichen Brust bei Minderjährigen würden dennoch als Optionen genannt. Die Begründung der WPATH für die Gabe von Hormonen schon bei Minderjährigen, dass die Pubertätsblockade eine Pause “zum Nachdenken” verschaffe und reversibel sei, sei häufig widerlegt worden, argumentieren die Eltern. Dass nahezu alle Teenager zu Hormonen wechseln, spreche eher dafür, dass sie auf den Transitionspfad fixiert werden würden.

Aus Sicht der Elterninitiative sei es außerdem inkonsequent, Geschlechtsdysphorie nicht mehr als Krankheit zu klassifizieren, die Jugendliche aber dennoch Hormonbehandlungen zu unterziehen: 

“Unsere Kinder haben ein Recht auf eine offene Zukunft und auf körperliche Unversehrtheit. Jugendliche und junge Erwachsene brauchen mindestens die Wahlfreiheit in Form von nicht invasiven Behandlungsalternativen.”

Je nach Perspektive und ethischer Überzeugungen mag man zu diesem Thema unterschiedlicher Auffassung und Überzeugung sein. Beide Seiten finden ganz offenbar ihre Befürworter:innen, dennoch sollte hier nicht außer Acht gelassen werden, dass die Betroffenen selbst hier keine Stimme erhalten.

Verwendete Quelle: welt.de

Source: Aktue