Laut Wissenschaft: Das unterscheidet deinen Charakter von deiner Persönlichkeit

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Charakter, Persönlichkeit – für viele Menschen genau das Gleiche. In der Psychologie haben die Begriffe allerdings unterschiedliche Bedeutungen. Welche das sind, liest du hier. 

Achtung, steile These: Wir müssen nicht Psychologie studiert haben, um die Begriffe “Charakter” und “Persönlichkeit” richtig und sinnvoll zu verwenden. Wenn zum Beispiel Brigitte hinter meinem Rücken schlecht über mich redet, würde ich sagen: “Das zeugt von einem schwachen Charakter.” Ist Brigitte wiederum durchsetzungsfähig und resilient, gestünde ich ihr zu: “Die Frau hat eine starke Persönlichkeit.” Würde mich dann allerdings jemand fragen, was ist denn der Unterschied zwischen Charakter und Persönlichkeit, wäre meine Antwort: “Ähm. Das eine ist Griechisch, das andere Latein?”

Die Psychologie nimmt es etwas genauer: Hier haben beide Begriffe eigene Definitionen und beschreiben unterschiedliche Dimensionen der menschlichen Identität.

Die Persönlichkeit in der Psychologie

“Persönlichkeit” ist in der modernen Psychologie ein zentraler und sehr gebräuchlicher Begriff.

So gibt es etwa im diagnostischen Feld der psychischen Störungen die Gruppe der “Persönlichkeitsstörungen”, zu der beispielsweise Narzissmus und Borderline gehören. Zahlreiche Modelle sollen dabei helfen, die menschliche Persönlichkeit zu beschreiben, das wohl bekannteste darunter ist das Big-Five-Modell: Es beruht auf der Annahme, dass sich jede Persönlichkeit anhand von fünf Merkmalen (zum Beispiel “extrovertiert”) beschreiben lässt, die mehr oder weniger stark bei einem Menschen ausgeprägt sein können. Außerdem versuchen Forschende immer wieder, Menschen aufgrund ihrer Persönlichkeit in Typen einzuordnen: Das Myer-Briggs-Cluster ist hier ein berühmtes Beispiel.

Per Definition ist die Persönlichkeit “die Gesamtheit aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Menschen” (Dorsch Lexikon der Psychologie). Sie prägt unser Verhalten, bestimmt zum Beispiel, ob wir risikofreudig, aggressiv oder neurotisch sind. Sie macht sich in unseren Bedürfnissen bemerkbar: Brauchen wir Zeit für uns, um Energie zu sammeln (introvertiert) oder lieben wir Gesellschaft (extrovertiert)? Je nach Situation kann die Ausprägung unserer Persönlichkeit variieren, doch unsere grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale sind tendenziell stabil.

Beispiele für Persönlichkeitsmerkmale sind unter anderem:

  • Sorgfalt
  • Selbstständigkeit
  • Geselligkeit
  • Extraversion
  • Intelligenz
  • Begeisterungsfähigkeit

Wie genau unsere Persönlichkeit entsteht und wie sie sich entwickelt, ist, wie vieles in der Psychologie, noch nicht endgültig geklärt. Die Gene spielen nach aktuellem Wissensstand eine große Rolle, zudem haben Erziehung und frühkindliche Prägung offenbar einen hohen Anteil. Inwieweit unsere Lebenserfahrungen unsere Persönlichkeit beeinflussen oder ob unsere Persönlichkeit letztlich unsere Lebenserfahrungen (und wie wir sie verarbeiten) in hohem Maße bedingt, ist aktuell eine der Fragen, zu denen die Meinungen zum Teil sehr auseinandergehen können.

Der Charakter in der Psychologie

Der Begriff “Charakter” findet in der heutigen Psychologie weniger Verwendung als “Persönlichkeit” und ist nicht in allen Kreisen und Forschungsgebieten gebräuchlich – in einigen gilt er gar als veraltet. Allerdings erscheinen immer wieder Studien, die darauf hindeuten, dass der Charakter-Begriff die Psychologie bereichern und weiterbringen kann: Zum Beispiel hat ein Forschungsteam aus Texas 2024 im “Journal of Personality Assessment” eine Untersuchung publiziert, der zufolge bestimmte Charaktereigenschaften Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnten. Charaktereigenschaften, die typischerweise nicht als Persönlichkeitsmerkmale berücksichtigt werden. Aufgrund solcher Entwicklungen ist denkbar, dass sich der Charakter-Begriff in Zukunft (wieder) stärker etabliert.

Einen der aktuelleren Ansätze, den Charakter als Dimension der Psychologie anzunehmen, veröffentlichte ein US-amerikanisches Forschungsteam 2017 im “Journal of Positive Psychology”. Die Forschenden stellen darin den “CIVIC” als Modell vor, um den Charakter eines Menschen zu beschreiben – im Grunde also das Äquivalent zu den “Big Five”. Civic steht für “Comprehensive Inventory of Virtuous Instantiations of Character”, “Inventar von Charaktertugenden”. Als Charakter definieren die Autor:innen die Gesamtheit der Tugenden eines Menschen: seine Moral.

Charaktermerkmale und Elemente des CIVIC sind zum Beispiel:

  • Aufrichtigkeit
  • geistiges Engagement
  • Standhaftigkeit
  • Empathie
  • Selbstkontrolle
  • Transzendenz

Was wir für richtig und falsch halten, wie ernst wir diese Einordnung bei unseren Entscheidungen nehmen, welche Werte uns wichtig sind und welche weniger – all das ist im psychologischen Verständnis Teil unseres Charakters. Unser Charakter hängt zwar mit unserer Persönlichkeit zusammen und teilweise können Persönlichkeitsmerkmale und Charaktereigenschaften dieselben Ursachen haben. Doch während unsere Persönlichkeit viele unbewusste und zufällige Elemente enthält (wie unsere Bedürfnisse), konzentriert sich der Charakterbegriff mehr auf unsere bewussten Denkvorgänge. Er enthält die Urteile, die wir fällen, die Einordnungen, die wir vornehmen, die Werte, an denen wir uns orientieren.

Müssen wirklich zwei Begriffe sein oder reicht einer?

Wenn wir im Alltag zwei Begriffe nutzen, die wir zwar ähnlich, aber nicht genau gleich verwenden, deutet das darauf hin, dass wir beide Begriffe brauchen. Sonst würde einer von beiden wahrscheinlich mit der Zeit verschwinden oder eine völlig andere Bedeutung annehmen. Was Charakter und Persönlichkeit angeht: Die menschliche Psyche ist äußerst komplex und vielschichtig. Was Menschen denken, tun, fühlen, wollen, können, ist in vielen Fällen kaum zu erklären oder zu verstehen. Charakter und Persönlichkeit voneinander zu unterscheiden, mag womöglich der wahren Natur eines Menschen nicht gerecht werden, weil alles in ihm so sehr miteinander verwoben ist, dass eine Abgrenzung unkorrekt ist. Doch um Dinge zu sehen und zu verstehen, kann es helfen, Ordnung zu schaffen und zu vereinfachen. Vielleicht kann die Psychologie in dieser Hinsicht beide Begriffe gebrauchen. Und sonst wenden wir uns eben der Literaturwissenschaft zu: Was macht eine Romanfigur eigentlich zum Hauptcharakter?

Source: Aktue