Machtmissbrauch beim Film: Regisseurin Saralisa Volm: "Wir bleiben stumm, weil das System die Täter schützt"

Aktuel

Saralisa Volm ist Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen mit Machtmissbrauch beim Film.

Die Arbeit an einem Film funktioniert idealerweise wie eine bestens vorbereitete Küchenbrigade in einem guten Restaurant. Der Chefkoch oder die Chefköchin entwickelt mit dem Team ein Menü, eine Reise, eine Geschichte. Dabei entstehen Rezepte. Sie entsprechen dem Drehbuch beim Film. Voraussetzung für das Gelingen der Unternehmung ist ein gutes Mise en Place, also die Bereitstellung aller Zutaten und Arbeitsutensilien. Am Tag des Geschehens muss dann alles ineinandergreifen. Die Soßen müssen cremig sein und das Gemüse knackig und frisch.  

Wie in der Küche die verschiedenen Stationen ihre Vorbereitungen treffen, so sind es beim Film die unterschiedlichen Gewerke. In der Küche steht am Pass der Chefkoch oder die Chefköchin und prüft die Qualität – im Schneideraum entscheidet die Regie, was das Publikum zu sehen bekommt. Am Ende stehen in beiden Fällen die Kritiker:innen, Gäste und Geldgeber:innen, die sagen, ob unsere Arbeit gut genug war und ob wir weitermachen dürfen.  

Künstler:innen aller Disziplinen, die Fans haben, welche bereit sind, für ihre Arbeit Geld auszugeben, haben Macht. Sie bringen das begehrte Publikum. Je mehr sie davon anziehen, umso größer ist der wirtschaftliche Erfolg der Produzent:innen. Also wird ihnen alles hinterhergetragen und noch schlimmer: alles verziehen. Beim Film bedeutet das, dass unerträgliche Machtmenschen trotzdem immer wieder Jobs bekommen, weil sie Prestige und Umsatz bringen. So können Fälle, die öffentlich bekannt gemacht wurden, wie der von Til Schweiger oder Kida Khodr Ramadan sich immer weiter perpetuieren. Es geht um Geld.  

Und warum sagt keiner was? Warum machen die Menschen, die Gewalt erfahren oder bezeugen nicht den Mund auf oder streiken? Beim Film arbeiten die wenigsten Menschen in Festanstellungen. Die meisten von uns sind abhängig davon, projektweise gebucht und bezahlt zu werden. Und so ist es manchmal leichter, die Klappe zu halten, statt in die Konfrontation zu gehen und als kompliziert zu gelten. Am Ende ist die Branche klein und die Angst groß, dass die guten Aufträge genug fähige Bewerber:innen haben, um „Nestbeschmutzer:innen“ auszusortieren. Die Filmberufe sind schon unsicher genug und trotzdem haben die Menschen auch hier Kinder, Mietverträge und eine Rentenversicherung, die bezahlt sein wollen. 

Als Betroffene und Zeug:innen schweigen wir also oftmals, wenn wir dumme Sprüche hören oder Übergriffen ausgesetzt sind. Wenn mächtige Männer uns zuraunen: „Ich halte ja nichts von dem Feminismus-Kram, aber wenn ich damit Geld verdienen kann, dann mach‘ ich deinen Film …“, oder „Ich stand ja schon immer auf Frauen wie dich.“ Wir lächeln weiter für die Fotograf:innen und für die, die in der Hierarchie weiter oben stehen.

Ich habe nichts gesagt, als mir ein Co-Schauspieler ungefragt zwischen die Beine griff und einen auf „Grab her by the pussy“ machte. Ich hatte ungefragt Zungen im Mund und Hände am Po. Ich habe Frauen zugehört, die von Regisseuren vergewaltigt wurden, und wusste nicht, wie ich helfen soll. Wir alle bleiben zu oft stumm, weil das System die Täter schützt.  

 

Aus diesem Grund gibt es auch ein massives Nichtwissen bei vielen Verantwortlichen, speziell bei den Produzent:innen, Sendern und Förderungen. Fälle werden schlicht nicht gemeldet. Betroffene schämen sich, haben Angst und wissen zumeist, dass eine Äußerung ihnen selbst mehr schadet als den Täter:innen. So spricht die eine Seite, die die Dunkelziffer kennt, von der Spitze des Eisbergs, die andere Seite von Übertreibung.  

Macht korrumpiert jede und jeden

Ich bin in den letzten Jahren von einer weniger beachteten Schauspielerin zur Regisseurin und Produzentin geworden. Ich will nicht wissen, wie oft ich auf diesem Weg Grenzen überschritten habe, weil ich plötzlich über Raum und Potenzial verfügte, von dem ich meine, es mir erarbeitet zu haben. Macht korrumpiert. Jeden und jede. Wer immer um seine oder ihre Meinung gefragt wird, weil die Position dies erfordert, wird irgendwann glauben, dass er oder sie das Recht hat, zu entscheiden, auch über die Grenzen anderer hinweg. Ob Küchenchef oder Regiestar, ob Restaurantbesitzerin oder Produzentin, wer mit Macht ausgestattet wird, ist auf dem besten Weg, vom eigenen Gehirn den Wertekompass entzogen zu bekommen. Da hilft es auch nicht, eine Frau zu sein. 

Was wir brauchen, ist viel mehr als das Buzzword „Diversität“ zu bedienen. Denn auch Menschen mit den unterschiedlichsten Backgrounds können über die eigene Macht stolpern und sich im Zuspruch, der ihnen zuteilwird, verheddern. Deshalb braucht es vor allem eine Beschränkung und Kontrolle von Macht. Das bedeutet, Besitzkonzentrationen, Bildungskonzentrationen und Entscheidungskonzentrationen zu verringern. Hierarchien müssen flacher werden, Entscheidungsprozesse nachvollziehbarer und die Bedürfnisse der abhängig Beschäftigten mehr in den Fokus rücken. Das gilt für alle Branchen. 

Obwohl die Gäste wegen eines Starkochs oder der Restaurantchefin ins Restaurant kommen: Sie sind nichts ohne ihr Team, das immer vollen Respekt verdient. Keine Küche läuft ohne Spüler:in und ohne die Person, die die Zwiebeln schneidet. Wir sollten nie vergessen, wessen Augen für unseren Erfolg tränen.  

Source: Aktue