Machtmissbrauch im Job: "Als Mutter denken Sie eh nur an Ihr Kind und schaffen nichts“

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Antreten im Bikini, Verweigerung vertraglich vereinbarter Teilzeit, demütigende Fragen: BRIGITTE-Leserin Conny*, 50, über ihre Erfahrungen mit Machtstrukturen in der Medizin.

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Ich habe im Job auf vielen Ebenen Machtmissbrauch erlebt. Es begann, als ich mich in den 1990er Jahren für eine Ausbildung zur Physiotherapeutin bewarb, um die Zeit bis zu meinem Medizinstudium zu überbrücken. Im Rahmen der Bewerbung war es „normal“, im Bikini vor dem Schulleiter, einem Chefarzt, „aufzumarschieren“.  Zweiteiler, Badeanzug nicht erlaubt. Alle Mädchen hintereinander in einer Reihe. Gefühlt Massenabfertigung. Wir wurden ohne wirkliche Begrüßung von ihm angefasst und begutachtet. Er untersuchte unter anderem, ob unsere Wirbelsäule gerade sind.

 

Bei mir wurde er laut und unfreundlich und beschwerte sich, mein Bikini habe zu viel Stoff, er sehe nichts. Er stand hinter mir und fummelte hektisch an meinem Oberteil herum, versuchte, es nach oben zu ziehen, ohne mich direkt anzusprechen, als wäre ich ein Objekt. Dabei schimpfte er, so gehe das nicht, das dauere zu lange. Eine Mitarbeiterin signalisierte mir dann, ich müsse mich oben herum ausziehen, aber schnell. In dieser Situation erstarrte ich innerlich und konnte mich nicht wehren. Am liebsten wäre ich versunken oder hätte laut „Finger weg!“ geschrien. Ging nicht. Also tat ich, was mir gesagt wurde. Es war entwürdigend wie eine Fleischbeschau. Als Arzt kann man Menschen auch in einem geschützten Rahmen empathisch und respektvoll untersuchen, aber das war hier nicht der Fall. Es war die erniedrigendste Erfahrung meines Lebens.

Wieder draußen habe ich mich geschüttelt vor Ekel vor dem Chefarzt. Ich wusste, dass sein Verhalten nicht okay war. Er hatte allerdings so viel Macht, dass niemand sein Vorgehen wirklich hinterfragte. Es galt als „normal“ und „nicht so schlimm“, auch wenn das an anderen Schulen nicht üblich war.  Trotz Zusage habe ich mich gegen diese Schule entschieden, dort wollte ich nicht sein.

Diese beschämende und demütigende Erfahrung hatte aber auch etwas Positives. Sie trug dazu bei, dass ich als erwachsene Frau null Toleranz gegenüber Übergriffigkeiten habe. Wenn sich eine Berührung nicht gut anfühlt, mache ich den Mund auf, sage „Stopp“ und setze klare Grenzen.

Als später dann doch noch die Zusage zum Medizinstudium kam, ging ich diesen Weg. Aber auch da begegnete mir Machtmissbrauch durch leitende Ärzte. Dieses Mal auf andere Art und Weise. In den 2000er Jahren war ich Ärztin im Praktikum, also noch in der Weiterbildung nach dem Studium. Nach einer Familienpause hatte ich eine 50-Prozent-Stelle in einer Arztpraxis angenommen. Nach circa einer Woche fiel eine Kollegin dauerhaft aus, was wohl vorher schon absehbar gewesen war. Ich wurde zum Gespräch mit den Chefs gebeten, die mir das Messer auf die Brust setzten. Ihre Botschaft: Entweder Sie arbeiten ab nächster Woche Vollzeit (und unterschreiben die entsprechende Vertragsänderung), oder das war‘s. Ich war ja noch in der Probezeit. Zwischen den Zeilen schwang mit: Als junge Mutter haben Sie woanders eh keine Chance, Sie können froh sein, wenn Sie hier arbeiten dürfen. Da ich keine Alternative hatte, sagte ich zu, allerdings mit einem Gefühl der Ohnmacht. Sehr viel später kam heraus, dass die Chefs generell gegen Teilzeit für Ärztinnen waren.

Im Job erlebte ich dann, wie es ist, von Chefs abhängig zu sein. Es war keine einfache Zeit. Ich hatte keinen Handlungsspielraum in Sachen Arbeitszeit, machte sehr viele unbezahlte Überstunden und ging über meine Kräfte. Ich hörte Kommentare wie „Als Mutter denken Sie in der Arbeit ja eh nur an Ihr Kind und schaffen nichts.“ Auf Nachfrage musste ich erklären, warum ich nicht erst nach der Facharztausbildung ein Kind bekommen habe und erntete erstaunte Reaktionen, wenn ich voller Überzeugung sagte: „Ich würde es genauso wieder machen, jung Mutter werden.“ 

Klar hätte ich auf all diese Erfahrungen gut verzichten können. Aber sie haben mich auch wachsam für Machtstrukturen werden lassen. Später habe ich mich ohne Facharztausbildung neu orientiert. Dabei habe ich auf eine flexiblere Zeiteinteilung, die Möglichkeit, Teilzeit arbeiten zu können und einen respektvollen Umgang mit arbeitenden Müttern seitens der Chefebene geachtet. Auch das würde ich genauso wieder tun.

*Der Name ist der Redaktion bekannt

Das sagt Prof. Dr. Fatma Çelik

Fatma Çelik
Prof. Dr. Fatma Çelik ist Diplom-Psychologin, Forschende zu Psychologie und (sexueller) Gewalt über die Lebensspanne und Lehrende an der Hochschule Düsseldorf.
© Thomas Neitsch

Prof. Dr. Fatma Çelik ist Psychologin und forscht unter anderem zu Gewalt über die Lebensspanne. Sie hilft uns, die Erfahrungen einzuordnen – um Machtstrukturen sichtbar zu machen. Hier richtet sie ein Vorwort an die Leser:innen.

Wo greifen hier Machtstrukturen

Prof. Dr. Fatma Çelik: Die Aufnahmesituation wird von der Betroffenen als sehr entwürdigender und hilfloser Moment beschrieben. Hier greifen gegebenenfalls Machtstrukturen im Kontext eines tatsächlichen oder angenommenen Expertisegefälles und auch Altersunterschieds. Gerade im Kontakt mit Fachpersonal, z.B. mit Ärzt:innen, weisen wir diesen, natürlich auch zu Recht, Expertise auf ihrem Fachgebiet zu. Diese Expertise auf einem Fachgebiet muss aber nicht unbedingt in allen Bereichen, hier zum Beispiel im zwischenmenschlichen Kontakt gegeben sein. Die Bewerber:innen und der sind Chefarzt waren im genannten Beispiel nicht auf Augenhöhe – hier greifen Machtstrukturen. Die Gruppensituation, der daraus resultierende Gruppendruck „die anderen haben ja auch mitgemacht“ erschweren es, sich non-konform zu verhalten und sich zu widersetzen. 

Im zweiten Teil des Erfahrungsberichts werden strukturelle Benachteiligungen im Kontext von Elternschaft, denen vor allem Mütter stärker unterliegen, dargelegt. Die Vereinbarkeit von Beruf und Elternschaft ist für Mütter immer noch mit stärkeren Barrieren behaftet. Ein Kernpunkt dabei ist, wie sich an dem Fall anschaulich zeigt, dass den Frauen selbst dabei die Schuld für diese Schwierigkeit gegeben wird, statt strukturelle Benachteiligungen in den Fokus zu rücken. Daraus entstehen dann wie von der Betroffenen benannte Bedrohungsszenarios „Kündigung“ oder eben implizite Schuldzuweisungen hinsichtlich der „frühen Mutterschaft“. Machtstrukturen greifen hier durch das berufliche Abhängigkeitsverhältnis und hierarchische Machtgefälle in hierarchisch organisierten Strukturen, aber auch durch implizite Erwartungen.

Wie kann die Betroffene mit der Erfahrung umgehen? 

Die Betroffene schreibt selbst, dass diese Erfahrungen sie wachsamer gegenüber Machtstrukturen gemacht haben. Dieses Erfahrungswissen ist es, was letztendlich Veränderungsprozesse initiiert. Dazu muss geprüft werden, wie systematisch solche Benachteiligungsstrukturen Personen mit Careverpflichtung von höheren Posten in hierarschisch organisierten Strukturen abhalten. Solche individuellen Geschichten, wie Sie sie mit uns teilen, liebe Leserin, machen es schließlich auch für andere Leser:innen greifbarer, was Benachteiligung in diesem spezifischen Kontext bedeutet. Im besten Falle erreichen diese Erlebnisberichte Arbeitgeber:innen, die anders auf ihre Arbeitnehmer:innen mit Kindern blicken.

Was müsste sich in unserer Gesellschaft verändern, damit so etwas nicht mehr passiert?

Hier möchte ich die Betroffene selbst sprechen lassen:

“Dabei habe ich auf eine flexiblere Zeiteinteilung, die Möglichkeit, Teilzeit arbeiten zu können und einen respektvollen Umgang mit arbeitenden Müttern seitens der Chefebene geachtet.“ Den Absatz zu “Müttern” würde ich, auch wenn diese Gruppe besonders von Benachteiligung betroffen ist, auf alle Personen mit Care-Verpflichtung erweitern. 

Was den ersten Teil der Schilderungen betrifft: Angehende Ärzt:innen müssen sich im Studium in kurzer Zeit sehr viel Fachwissen aneignen und tragen eine große Verantwortung. Psychologisches Wissen ist teilweise bereits in den Curricula eingebunden und ein wichtiger Bestandteil. In der Kommunikation mit Patient:innen kann es helfen, den Raum für auch kritische Nachfragen zu öffnen um somit mehr Sicherheit zu vermitteln.

 

 

Source: Aktue