Mit dem Rad um den Gardasee: Mit dem Fahrrad einmal um den Gardasee

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Unser Autor hat sich an seinen persönlichen Giro d’Italia gewagt: einmal rund um den Gardasee. Vier Tage, knapp 150 Kilometer. Eine Tour, bei der man den Lago in seiner ganzen Pracht erlebt.

Tag 1

Riva del Garda – Garda

47 km

Die “Strada Gardesana” rund um den Gardasee ist eine der spektakulärsten Strecken der Welt, ein Roadtrip um einen Sehnsuchtsort! Den ich allerdings nicht mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad machen will. Das Studium der Karten zeigt mir eine Route teils auf der Straße, teils auf Radwegen, teils über Uferpromenaden. An die 150 Kilometer lang. Und unzählige in die Felsen geschlagene Tunnel, vor denen ich tatsächlich gehörigen Respekt habe. Bin ich verrückt?

Rennrad-Fans schaffen die Tour locker an einem Tag, ich plane mit vieren, will schließlich den See genießen, rede ich mir ein. Der Genuss geht in Riva del Garda los. Linksherum fahren, hat man mir geraten, immer die Uferseite entlang. Kurz nach Torbole tut sich schon ein Schlund vor mir auf – der erste Tunnel. Ich knipse das Licht an und entdecke einige Sportkletterer, die sich an der äußeren Felswand des Lochs emporhangeln. Dann lieber doch in den beleuchteten Stollen hinein als diese Wand hoch, bei der mir schon beim Schauen schwindelig wird. Ich ziehe meinen Helm enger, dann verschlingt mich die Höhle. Lärm von hinten, der lauter wird. Ein Auto überholt. Noch eins. Noch eins. Unangenehm. Zum Glück spuckt mich der Tunnel bald wieder aus.

Mit Rad um den Gardasee: Promenade in Riva del Garda
Aussichtsreich: Die Promenade in Riva del Garda
© autofocus67

Für einige Kilometer liegt nur ein Steinmäuerchen zwischen mir und dem felsigen Abgrund, dann weichen die Felsen etwas zurück, gewähren mehr Platz. Ich wechsele zwischen Uferradweg und Straßenrand hin und her. Die große Konstante ist der See, der Lago di Garda, mit 370 Quadratkilometern der größte Italiens. Kleine Kieselsteinbuchten reihen sich an seinen Ufern, dort schimmert das Wasser karibisch klar, draußen schwarzblau. Weiter südlich ist die Burg von Malcesine zu sehen. Wie sie da im Sonnenlicht liegt, hat sie was von einem Spielzeug.

Und bald schon laufe ich durch die mittelalterlichen Gassen des Städtchens mit seinen Gebäuden, an denen Rosen ranken. Die Düfte von Knoblauch, Tomatensoße und gegrilltem Fisch liegen in der Luft. Ich esse eine Pizza, dann radle ich weiter. Stets im Blick: die einzigartige Kulisse mit ihrem Mix aus alpinem und mediterranem Flair – Bergspitzen und Olivenhaine.

Mit Rad um den Gardasee: Aussicht auf den Gardasee
Panorama: In Riva del Garda hat man See-Berg-Blick
© SusaZoom

Südlich von Torri del Benaco geht es in Richtung der Halbinsel Baia delle Sirene leicht bergauf. Kein Vergleich zu den Steigungen der Giro-d’Italia-Königsetappen rund um den See, aber eben auch nicht flach. Und nicht flach ist für mich Amateur schon: zu steil. Außerdem bläst mir der Ora entgegen, der berüchtigte starke Gardasee-Nachmittagswind. Ich trete, komme aber kaum voran. Absteigen? Nein, sagt der Stolz. Ich keuche, fluche, schwitze – da überholt mich eine Dame. Lächelnd. Grüßend. “Schönen Tag noch!” Der Motor ihres E-Bikes ist klein, kaum zu sehen. Gehört verboten, so ein Doping, denke ich und strampele mich weiter ab.

Mit Rad um den Gardasee: Die Burg von Malcesine ragt überm See empor
Imposant: Der Turm der Burg von Malcesine ragt überm See empor
© enáta Sedmáková

Tag 2

Garda – Desenzano del Garda

33 km

Am nächsten Morgen: rechts der Lago, links Campingplätze, auf denen langsam der Tag erwacht. Ein Streckenabschnitt wie eine Zeitreise. Hier, im Südosten, sieht alles noch aus, wie ich es aus meiner Kindheit kenne: alte Mercedes-C-Klassen mit Wohnwagen hintendran, geköpfte Tennisbälle auf Anhängerkupplungen, Weltmeistertrikots von 1990. Ich lenke mein Rad nach Peschiera del Garda hinein.

Mit Rad um den Gardasee: Bote auf einem Kanal in Peschiera del Garda
Zeit zum Entspannen: Peschiera del Garda
© autofocus67

Am Horizont verschwindet der See im Dunst. Die Hälfte der Strecke habe ich nun hinter mir. Die schmale Landzunge, an deren Ende Sirmione liegt, mein nächstes Ziel, ist bereits zu sehen. Doch überall prangen Schilder: Radfahren verboten! Ich müsste wieder auf die hektisch-trubelige Hauptstraße. Da lächelt mich ein Stadtpolizist an und winkt mich weiter. Langsam verstehe ich die italienische Gesetzeslage: Alles ist ein Radweg, was man mit dem Rad befahren kann. Und: Verbotsschilder können als eher unverbindlich betrachtet werden. Mediterrane Leben-und-leben-lassen-Mentalität.

Mit Rad um den Gardasee: Das Castello Sirmione
Aus einer anderen Zeit: Das Castello Sirmione
© Rene Hartmann

In Sirmione stelle ich mein Rad ab, laufe über die Brücke, durch das Stadttor und östlich des Zentrums am Ufer entlang. Über alte Steinmauern huschen Eidechsen. Plötzlich mischt sich der Geruch von faulen Eiern in die Luft, Dampf steigt in Ufernähe empor. Kochende Schwefelquellen sickern hier ins kalte Seewasser, Touristen umschleichen die brodelnde Stelle, Einheimische suhlen sich im Nass. Ich entledige mich meiner Radlerklamotten, lege mich ebenfalls hin und befolge den Tipp der Dame neben mir: immer schön mit Armen und Beinen wedeln – so werde es nie zu heiß, nie zu kalt. Ihr Vater, erzählt sie mir, habe sich sein ganzes Leben lang hier fast täglich ins Wasser gelegt. “101 ist er geworden”, sagt sie und bekreuzigt sich. So gestärkt erreiche ich schon am späten Nachmittag mein Etappenziel: Desenzano del Garda. Ich schaue beseelt auf den alten Hafen. Fischerboote schaukeln in der Abendsonne, Schwäne gleiten unter der Steinbrücke hindurch, die zum offenen See hinausführt.

Mit Rad um den Gardasee: Ein Hafen mit kleinen Booten in Desenzano del Garda
Ein Ort der Ruhe: Desenzano del Garda
© Stanislav

Tag 3

Desenzano del Garda – Gargnano

37 km

Ich rolle nach Salò runter, während sich der Himmel verfinstert. Bald zucken Blitze, Tropfen platschen auf den Asphalt. Der Wind kommt nun von hinten, was grundsätzlich angenehm ist – wäre er nur nicht stoßweise so stark, dass er mich fast vom Sattel bläst. Im Nebel vor mir taucht Gargnano auf. Am Eingang des Städtchens treffe ich auf Fabio Gandossi, der sich als letzter Zitronenbauer des Ortes erweist, einst gab es hier am Westufer Tausende Gewächshäuser. Der 48-Jährige lädt mich auf einen Limoncello ein. Bis zu acht Meter hoch wachsen seine Bäume: “Der Gardaseewind tut den Zitronen gut”, sagt er.

Mit Rad um den Gardasee: Gargnano
Idyllisch: Gargnano lädt auf Limoncello ein
© Skowron

Tag 4

Gargnano – Riva del Garda

30 km

Ich lenke mein Rad durch die Gassen von Gargnano, buttergelb leuchten die Straßenlaternen im Nebel. Endlich an der Hauptstraße angekommen, prüfe ich noch einmal meine Lichter und fahre in den ersten Tunnel des Tages. Kaum Verkehr. Gut, dass ich früh gestartet bin. Denn Tunnel folgt auf Tunnel. Hier raste auch Daniel Craig als James Bond durch – bei den Dreharbeiten wurde leider ein nigelnagelneuer Aston Martin im Gardasee versenkt, was nicht im Drehbuch stand, aber alles über die schmale, kurvige Straße sagt, auf der ich unterwegs bin. Fahre deshalb möglichst wenig geheimagentig.

Endlich dann: Limone. Hier begann einst der Tourismus am Lago, und hier soll irgendwo auch das Radweg-Teilstück “Ciclopedonale” zu finden sein, eine verwegen frei schwebende Eisenkonstruktion, hoch über dem Wasser und stolze 7,6 Millionen Euro teuer. Mit den bereits bestehenden Radwegabschnitten soll die Ciclopedonale irgendwann einmal zum vollendeten Seerundkurs werden. Nördlich von Limone habe ich es dann gefunden, das – wie ich schnell merke – Highlight der ganzen Umrundung. Ich schreie vor Begeisterung, während ich 50 Meter über dem Wasser an den Felsen vorbeizufliegen scheine.

Mit Rad um den Gardasee: Radfahrer auf dem Radweg am Gardasee
Das Radweg-Teilstück “Ciclopedonale” in Limone
© Simon Dannhauer

Leider ist der Spaß nach zwei Kilometern schon wieder vorbei. Noch mal! Nun halte ich unterwegs aber an, um die Aussicht auf mich wirken zu lassen. Jeweils in Grüppchen bewegen sich Segelboote und Surfbretter, manche mit, manche ohne Kite, übers Blau. Fähren kreuzen und ziehen kerzengerade Gischtstreifen hinter sich her. In den Felsen wird geklettert, und am Monte Baldo mäandern Gleitschirme durch die Luft. Ganz schön was los, und auch mein neuer Lieblingsweg füllt sich. Ich schlängle mich an Flanierenden und Selfie-Posern vorbei, biege am Ende der Panoramastrecke wieder auf die Straße ab. Noch drei Tunnel, zwei, einer – dann hat mich Riva del Garda wieder.

Die Reisetipps für die Gardasee-Radtour

Rumkommen

Fahrradverleih. Anbieter gibt’s rund um den See – ebenso wie Werkstätten. In Riva del Garda z. B. ist der “Garda Bike Shop” direkt an der Hauptstraße und nahe der Uferpromenade empfehlenswert. Guter Service, sehr große Auswahl an Mountainbikes, Renn- und gemütlichen Ausflugsrädern. Auch geführte Touren sind im Programm. Rennrad oder Mountainbike für 4 Tage ab 105 Euro (Viale Rovereto 3A, Riva del Garda, gardabikeshop.com).

Übernachten

Hotel Boffenigo. Von Garda führt die Straße noch ein Stück landeinwärts, auf eine kleine Anhöhe zum Dörfchen Costermano sul Garda. Mit dem Rad ein anstrengendes Etappenfinale, aber es lohnt sich: Von der Terrasse und vom Pool aus kann man zusehen, wie sich der Sonnenuntergang im See spiegelt und Garda feuerrot leuchten lässt. DZ ab 135 Euro (Via Boffenigo,6, Costermano sul Garda, Tel. 045/720 01 78, boffenigo.com).

Hotel Nazionale. Ein marmorweißer Traum im 60er-Jahre-Stil. Moderne Zimmer, die kleinen Balkone gehen zum Pool raus. Zum Zentrum von Desenzano del Garda und zur Uferpromenade sind es zu Fuß nur ein paar Minuten. DZ ab 100 Euro (Via G. Marconi, 23, Tel. 030/915 85 55, hotelnazionaledesenzano.it).

Geniessen

Paradiso Perduto. Die Terrasse liegt gleich neben der Burg von Malcesine. Mit Blick über den See lassen sich hier regionale Gerichte wie Spaghetti mit Sardellen, Pinienkernen und Rosinen genießen (Via Castello 17, Tel. 045/657 09 02).

Taverna San Vigilio. Für mich einer der schönsten Flecken am Gardasee! Der Weg führt über die Baia delle Sirene, eine schmale, von Zypressen umsäumte Landzunge, von der aus schon Napoleon, Zar Alexander II. oder auch Winston Churchill den See bewundert haben. Am äußersten Zipfel der Halbinsel in dieser Taverne am Wasser bei einem Aperitivo zu sitzen: herrlich! (Punta San Vigilio, Tel. 045/725 66 88, locanda-sanvigilio.it)

Leon d’Oro. Eine Institution in Riva del Garda, in der man unbedingt drinnen essen sollte. Klingt am Gardasee eigenartig, doch die Stube aus dem Jahr 1922 mit ihrer Holzvertäfelung, dem schönen Kachelofen und den historischen Kellerbögen ist wirklich sehenswert. Serviert wird ein Mix aus Berg- und Seeküche (Via Fiume, 28, Tel. 0464/55 23 41, ristoranteleondororiva.it).

Erleben

Il Vittoriale degli Italiani. Der 1863 geborene Dichter Gabriele D’Annunzio – in jungen Jahren Vordenker des Faschismus, später Mussolinis Widersacher – war eine Art Mischung aus italienischem Ludwig II. und Salvador Dalí. In den Hängen über Gardone Riviera hat er sich eine Traumwelt errichtet: mit Irrgärten, edler Parfümsammlung, XXL-Mausoleum aus Marmor … Leicht kitschig, aber eindrucksvoll (Via del Vittoriale 12, vittoriale.it).

Museo Alto Garda. Das Museum logiert in einer mittelalterlichen Burg am Hafen von Riva del Garda. Die Pinakothek zeigt Malereien von Landschaften rund um den See, die der Geschichte gewidmeten Räume erzählen von den verschiedenen Herrschern der Stadt ebenso wie vom Goldenen Zeitalter um 1900, als illustre Gäste wie die Schriftsteller Thomas und Heinrich Mann oder Franz Kafka am Lago Urlaub machten (Piazza C. Battisti, 3/A, museoaltogarda.it).

Telefon

Die Landesvorwahl von Italien ist 0039. Die 0 der Ortsvorwahl wird auch aus dem Ausland immer mitgewählt.

Zu wenig Zeit für die ganze Tour? Keine Lust auf so viele Kilometer? Die Umrundung lässt sich gut mit Fährfahrten abkürzen. Zum Beispiel das Boot von Torbole nach Malcesine nehmen und/oder von Gargnano nach Limone schippern. Dort den neuen spektakulären Abschnitt hin- und zurückradeln, dann wieder auf die Fähre – nach Riva

Wo soll’s denn hingehen?

Das Westufer des Gardasees war einst ein einziger, schier endloser Zitronenhain. Fabio Gandossi hat mit seinem Vater Giuseppe eines der alten, verlassenen Gewächshäuser wiederbelebt, kultiviert in seiner “Limonaia la Malora” Tausende Zitronen im Jahr und stellt Limoncello – den fruchtigen, gelben Likör – auf traditionelle Weise her (Via Libertà 2, Gargnano, limonaialamalora.it)

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue