Nordvietnam: Kimchi & Karaoke: Urlaub mit Familienanschluss

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“Kann ich mitkommen?”, fragte Heide Fuhljahn, als ihre gute Freundin Yen eine Reise nach Vietnam plante. Wann hat man denn schon mal die Chance auf Hanoi mit Familienanschluss!?

Mit der rechten Hand umklammere ich meine Handtasche, mit der linken kralle ich mich an Yens kühlen Unterarm. Mir steht der Schweiß auf der Stirn. Nicht wegen der 27 Grad, sondern weil ich Angst habe! Yen guckt mich mahnend an. “Egal, was passiert, nicht anhalten!”, sagt sie. Und geht los, direkt auf die sechsspurige Straße. Ein silberner SUV braust 30 Zentimeter vor uns vorbei. Im Nu sind wir umzingelt von Autos, Motorrollern; Hupen regeln den Wahnsinn, in der Lautstärke eines Rockkonzerts. “Weiter!”, ruft Yen. Auf einer Verkehrsinsel stoppen wir kurz. Eine Vietnamesin in Adiletten und Maske steht vor einem Roller, der gleichzeitig eine Miniatur-Küche ist: Klebreis und Brot. Wer will hier – mitten auf dieser Chaosstraße – essen!? Es ist nur eines der Rätsel, vor die Vietnam mich stellt.

Yen und ich lernten uns in der Umkleide unseres Sportvereins kennen. Sie ist 31, Architektin mit Doktor in IT und verheiratet; ich bin 48, Autorin und Single. Aber wir merkten bald, dass uns mehr verbindet als Kampfsport. Wir lieben Sachbücher und schätzen hervorragendes Essen. Als sie mich zu Sommerrollen einlud, erfuhr ich, dass sie ihre Verwandtschaft in Südostasien gern wieder besuchen wollte. Als begeisterte Reisende fragte ich spontan: “Kann ich mitkommen?” Ich war noch nie in Vietnam und es auf diese Weise kennenzulernen, schien mir extrem reizvoll.

Nun sind wir da. Der Plan: erst unzählige Cousinen in Hanoi treffen, der Acht-Millionen-Hauptstadt, dann noch Tanten und Onkel in Bac Giang (sprich: Bac Sang), 60 Kilometer weiter östlich, in Richtung der weltberühmten Halong-Bucht. Mein letzter Aufenthalt in Asien liegt 35 Jahre zurück, ein Stopover in Singapur. Ich gehöre nicht zu den Unerschrockenen, die mit Rucksack im Bus durch den Dschungel schaukeln. Yen hat auf meine Bitte Expat-Hotels für mich gebucht, in denen die Zugereisten aus dem Westen logieren, sie selbst wird bei ihren Verwandten wohnen. Aber wie wir über eine Straße kommen? Diese Frage habe ich mir vorher nicht gestellt.

In einem Café an einer Kreuzung zwischen 100 geparkten Rollern sitzen? Echt Vietnam!

Hanoi ist eine Mischung aus geordnetem Westflair (an den Orten, wo sich viele Tourist:innen aufhalten) und wildem, undurchdringlichem Asien (in Seitenstraßen und abgelegeneren Vierteln). Mein Wissen, wie man sich eine Stadt erschließt, gilt für Europa, nicht für hier. Als der erste Lunch ansteht, frage ich am Empfang nach einem Taxi. Yen hat sich derweil die richtige App runtergeladen, hier läuft alles über Apps. Im “Cha Ca Thang Long” plaudern wir bei leckerem Fisch mit Yens Cousin und seiner Frau. Sie suchen die beste Ausbildung für ihre Kinder, wir berichten vom deutschen Schulsystem.

Hanoi: traditionelle Fischsuppe
Die typische Fischsuppe in Vietnam heißt “Canh Chua Ca” und ist süßsauer.
© Marc Beckmann

Zurück auf der Straße sprechen sie eine Frau an, die auf dem Boden hockt und etwas Hellgrünes aus Körben verkauft. Streetfood, buchstäblich. Ich probiere höflich – und gerate in Ekstase. Es ist frischer, unreifer Reis, den es nur im Oktober und nur im Norden gibt. Zu viert gehen wir zwischen zischenden Motorrollern durch eine schmale Straße. Und halten mitten auf dem Bürgersteig an. Wir brauchen vietnamesische SIM-Karten. Der Handyladen ist ein winziger Tisch, dekoriert mit einer Topfpflanze; daneben ein Schild, dahinter eine alte Frau. Unsere neuen Karten zieht sie aus einer Plastiktüte.

Hanoi: Kabelbaum
Stromversorgung auf Vietnamesisch.
© Marc Beckmann

Abends treffen Yen und ich weitere Cousinen, mit Männern und Kindern in einem weiteren Restaurant; sie hat mir vorher einen Stammbaum aufgezeichnet, damit ich ein wenig den Überblick behalte. Gelingt so halb. Aber zumindest können alle halbwegs Englisch, und wir befragen einander nach Jobs, Hobbys, Lebensplänen, Beziehungen. Ich bin restlos entzückt vom Essen, sie von meiner Freude daran.

Der Schlüssel für Hanoi? Die Hinterhöfe

In den folgenden Tagen ruckelt es oft mit den europäischen Gewohnheiten. Ich hatte mir vorgenommen, am Ufer des kleinen Sees zu flanieren. Aber: keine Spazierwege. Kurz mal Geld abheben? Jeder Bankomat hat ein eigenes System. Mal eben in einem netten Café treffen? Gern! An einer riesigen Kreuzung, zwischen 100 geparkten Rollern. Ein bisschen im Park abhängen? Zu heiß, zu viel Sonne. Also besuchen wir den Literaturtempel, das Ho-Chi-Minh-Mausoleum und schöne Museen. Ich lerne tatsächlich den Pool und die Terrasse meines Hotels sehr zu schätzen – auch wenn das natürlich nicht wahnsinnig authentisch ist.

Doch schließlich finde ich den Schlüssel zur mir so fremden Stadt: Gassen, die sich hinter den Häusern zu einem Netz aus Hinterhöfen verbinden! Sie schlängeln sich weit verzweigt zwischen den Hauptstraßen. Anfangs fielen mir die schmalen Eingänge kaum auf.

Hanoi: Gassen
Einladende Gässchen schlängeln sich durch die Altstadt von Hanoi.
© Marc Beckmann

Ruhig ist es hier, wir promenieren auf glatten Wegen. Die Wände sind mit bunten Blüten und Bildern bemalt. Locals möchten Selfies mit mir, der Weißen, die sie für eine Amerikanerin halten. Bäume mit gelben Sternfrüchten spenden Schatten. Pfahldicke Kabelstränge verbinden die Häuser, dazu Blumen und üppige Ranken. An manchen hängen Lampions oder Girlanden. Wir finden süße Läden. Aber die besten kennt natürlich Yens Familie. Wir fragen nach hochwertigem weißem und grünem Tee – eine Cousine kennt jemanden von einer Summer School, flugs wird ein privater Termin vereinbart.

Hanoi: Drachen
Drachen gehören zu den zwölf Tierkreiszeichen des vietnamesischen Mondkalenders und schmücken heilige Gebäude – wie hier die Pagode bei Bac Giang.
© Marc Beckmann

Liebe geht bekanntlich durch den Magen

Ach, und wie kommen wir von Hanoi nach Bac Giang? Die Familie organisiert einen Fahrer. Yens Tanten und Onkel wohnen, wie könnte es anders sein: in einem Hinterhof, dessen Eingang ich nie entdeckt hätte. Als wir dort ankommen, schlägt eine ältere Dame am Boden auf einen Fisch ein und ruft den Umstehenden etwas zu. Ich bitte Yen zu übersetzen. “Sie diskutieren”, sagt sie. Ein Onkel meint: “Du musst den Bauch aufschlitzen.” Eine Tante: “Nein, du musst ihn totklopfen!”

Hanoi: Essen
Yens Familie in Bac Giang hat für die Gäste aufgetischt.
© Marc Beckmann

Sie waren extra für ihre Ehrengäste angeln: Fisch, Krebse, Muscheln. 30 Menschen bereiteten sich wochenlang auf uns vor, obwohl sie nur 14 Tage Urlaub im Jahr haben. Aber es ist typisch, lerne ich, dass sich alle in alles einmischen, ihre Meinung unverblümt aussprechen und ausdauernd debattieren. Als wir am nächsten Morgen aufbrechen und Yen die Treppe herunterkommt, fragt sofort jemand: “Was sind das für Sandalen? Sind die etwa aus China?”

In Bac Giang leben gut 200 000 Menschen, die Stadt ist für Asien-Anfängerinnen wie mich ideal. Der Verkehr ruhiger, die Bürgersteige ebenmäßiger, mittags Siesta. Die Jüngeren, die Englisch sprechen, hängen an einem Platz mit Wasserspiel mit uns ab und zeigen uns abends einen weitläufigen Park. Wir schlendern über einen Markt und fahren zu einer Pagode in den sanft-grünen Hügeln.

Hanoi: Karaokebar
Unsere Autorin (M.) beim “Volkssport” Karaoke mit Yens Verwandten.
© Marc Beckmann

Der Höhepunkt aber ist die knatschbunte Karaoke-Bar. Bei Bier und Obst schmettern wir “Eternal Flame”. Ansonsten? Essen wir. Ich bin mit Haute Cuisine groß geworden. Doch hier liebe ich sogar gedämpftes Gemüse und Tofu. In Deutschland sagt man, dass jemand ein gutes Herz hat. In Vietnam heißt es: Jemand hat einen guten Bauch. Yen, ihre Familie und ich planen schon die nächste Reise.

Heides Reisetipps für Nordvietnam

Hinkommen

Vietnam Airlines fliegt ohne Zwischenstopp von Frankfurt nach Ho-Chi-Minh-Stadt oder Hanoi (Frequenz je nach Saison, Preis ab 750 Euro) und bietet sehr guten Service. Die Agentur “Indochina Travel Services” stellt individuelle Reisen zusammen – auch mit deutschsprachigen Guides (itsvietnam.com).

Hotels

The Five Residences. Das neue Appartementhaus mit 20 Stockwerken liegt im Botschaftsviertel. Großzügige, helle, saubere Zimmer, tolles Panorama über die Stadt! Mit Indoor-Pool und Mini-Sitzecken draußen. DZ/F ab 118 Euro (345 Doi Can, Lieu Giai, Tel. 24 33 11 75 55, thefiveresidences.com).

Five Star Westlake. Hotel und Appartements mit modernen, schlichten Räumen. An den Pool (drinnen) schließt sich draußen eine schicke Terrasse an – mit fantastischem Blick bis zum See. DZ ab 67 Euro (164b Duong Hoang Hoa Tham, Tay Ho, Tel. 866 52 34 46, 5star-westlake.com).

Hanoi Boutique Hotel & Spa. Im Trubel der Altstadt, zwischen abgewetzten Schachtelhäusern und Läden von Kommerz bis Kitsch. Einfache Zimmer im Kolonialstil aus dunklem Holz. DZ/F ab 35 Euro (7 Ngo Gach, Hang Buom, Tel. 24 39 33 22 88, hanoiboutiquehotel.vn).

The Ravatel Inn. Pragmatisch-behaglich, an der Zufahrtsstraße nach Bac Giang – und direkt am großen Park mit Trainingsparcours und Badesee gelegen. DZ/F ab 30 Euro (01, Duong Hung Vuong 1, Phuong Le Loi, Tel. 948 68 29 68, ravatelinn.vn).

Sojo Hotel. Poppig in Weiß, Türkis und Lila, mit Küche, Bar, Lounge und Gym für alle. Zentrale Lage. DZ/F ab 30 Euro (Bac Giang, 08 Nguyen Van Cu St, Tran Phu Ward, Tel. 20 43 83 83 33, sojohotels.com).

Restaurants

Quan An Ngon. Villa plus Innenhof mit Lampions. Beim Essen lohnt sich ein Mix: z. B. Garnelen- und Fleischröllchen (ca. 2,60 Euro; 18 Phan Boi Chau, Cua Nam, Hoan Kiem, Tel. 903 24 69 63, mehr Infos auf Facebook).

Bep Quan. Wie in Vietnam üblich, bestellt man unterschiedliche Gerichte für alle zusammen. Mein Favorit: Salat mit Krabben und Rindfleisch für ca. 6 Euro. (So 30, Pho Nui Truc, Phuong Giang Vo, Quan Ba Dình, Thanh pho, Tel. 19 00 63 69 32, bepquan.vn).

Hanoi: Pho Restaurant
Schlicht, aber köstlich: Im “Pho Ngon 37 Dao Tan” ist vom gebratenen Wasserspinat bis zur knusprigen Crêpe mit Kräutern und Gemüse alles empfehlenswert (Lotte Center, TTTM, 54 P. Lieu Giai, Cong Vi, Ba Dinh, 3. Etage).
© Marc Beckmann

Pho Thin. Die traditionelle Pho aus der offenen Küche, eine kräftige Brühe mit Einlagen wie Reisnudeln, Huhn, Lauchzwiebeln und Dill essen wir zwischen Einheimischen und gekachelten Wänden voller alter Fotos (13 Lo Duc, Hai Ba, Tel. 438 21 27 09).

Erleben

Vietnamese Women’s Museum. 54 Ethnien leben in Vietnam, und der Geschichte ihrer Frauen widmet sich dieses anspruchsvoll gestaltete Museum. Ticket 1,50 Euro, einen sehr guten Shop gibt es auch (36 P. Ly Thuong Kiet, Hang Bai, Hoan Kiem, Tel. 424 38 25 99 36, baotangphunu.org.vn/en/about).

Hanoi: Literaturtempel
Nicht der Religion, der Bildung geweiht: 1070 vom dritten Kaiser der Ly-Dynastie erbaut, war der Literaturtempel in der Altstadt Hanois die erste Akademie des Landes und ist bei heute Vietnams Heiligtum (58 Quoc Tu Giam, Tel. 845 29 17, vanmieu.gov.vn/vi/).
© Marc Beckmann

Ho-Chi-Minh-Mausoleum. Gigantisch und eindrucksvoll: das Bauwerk, der Platz davor sowie der einbalsamierte Leichnam des früheren Präsidenten. Durch die geführten Touren lernt man viel über Geschichte und Politik, was im Bling-Bling der Stadt oft untergeht. Eintritt frei (Hung Vuong, Dien Bien).

Manzi Exhibition Space. Eine Galerie mit hintersinniger, zeitgenössischer Kunst. Unbedingt Zeit mitbringen und sich die Motive erklären lassen (2 Ng. Hang Bun, Nguyen Trung Truc, Ba Dình, manziart.space).

Hanoi: Kunst
Besonderes Stücke in der “Galerie Manzi”.
© Marc Beckmann

Einkaufen

DooDoo Accessoires. Das Lädchen bietet individuelle Mitbringsel wie Ohrringe (z. B. kleine silberne Kreolen für ca. 2,50 Euro) und Schals (12 Ng. 128 D. Thuy Khue Tay Ho , Tel. 768 68 55 66, auf Facebook und Instagram).

Hanoi: Tee
Wie das duftet! Thai und seinem Partner Trung gehören einige alte, unbehandelte Teesträucher und eine kleine Fabrik, in der erlesener Tee hergestellt wird. In ihrem Laden verkaufen sie ihn in Weiß, Grün und Schwarz (Termine über Facebook: Tu Van Tea).
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Moon. Die große Schwester ist studierte Pianistin, hat ein Jahr in Berlin gelebt und verkauft mit ihrer kleinen Schwester, der Designerin, extravagante Mode, Kunst, Interieur und Bücher (2 Ngo 34 Van Bao, Lieu Giai, Ba Dinh, Tel. 983 23 16 68).

Hanoi: Thuy Linh
Thuy Linh betreibt in Hanoi den Concept Store “Moon”.
© Marc Beckmann

Telefon

Die Vorwahl für Vietnam lautet 00 84

Zuweilen unterstützen uns Agenturen, Hotels oder Veranstalter bei den Recherchen. Unsere Reportagen und Informationen sind dadurch in keiner Weise beeinflusst.

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue