"Normaler ehelicher Sadismus": Warum stichele ich – und wie kann ich das ändern?

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Manchmal sind wir zu allen anderen netter als zu unserem Partner. Dabei lieben wir ihn doch eigentlich. Was es mit den alltäglichen Aggressionen in der Beziehung auf sich hat – und wie wir uns davon befreien.

“You bring out the best in me”, singen Vanessa Bell-Armstron und viele andere Stars über ihre neuen Lieben, und das stimmt zu Anfang einer Beziehung ja auch. Wir sind zugewandt, wertschätzend, kümmern uns, sind nachsichtig, bringen den Kaffee ans Bett, hören wohlwollend zu, loben, unterstützen, freuen uns. Doch ist die Verliebtheitsphase einmal vorbei, tritt das vielbesungene “Beste in uns” manchmal in den Hintergrund und das Schlechte bekommt seinen Auftritt: Wir spötteln und sticheln und manchmal verletzen wir in voller Absicht.

Warum tun wir das? Warum sind wir ausgerechnet zur wichtigsten Person in unserem Leben garstig, während wir wildfremden Menschen mit Höflichkeit und Respekt begegnen? Und wie kommen wir da wieder raus? Denn klar ist: Es schadet unserer Beziehung jedes Mal, wenn unsere boshafte Seite die Oberhand gewinnt. 

Neckereien können ein Zeichen für Intimität sein

Am freundlichen Ende des Spektrums stehen harmlose Neckereien, die ihren Ursprung nicht in Wut oder Frust haben, sondern in Nähe, Vertrautheit und dem Gefühl einer sicheren Bindung. Paartherapeutin Ilka Hoffmann-Bisinger sagte bei “Geo”, dass liebevolle Sticheleien in der Beziehung ein Zeichen von Vertrautheit und Intimität seien könnten. “Das kann man nicht mit jedem, und das will man auch nicht mit jedem.” In der Beziehung fühle man sich sicher und wohl genug, um sich auch mal “reiben” zu können, wie sie es nennt. Bestenfalls erwächst daraus ein konstruktiver Dialog darüber, was vielleicht besser laufen könnte in der Partnerschaft. Nicht ohne Grund heißt es im Volksmund: Was sich liebt, das neckt sich.

Jeder Mensch hat eine bösartige Seite, sagt der Experte 

Nicht immer jedoch sind Frotzeleien Ausdruck von Sicherheit und Nähe. Etwa dann nicht, wenn man sich über den Partner lustig macht, ihm wehtut, verlässlich in alten Wunden bohrt oder ihn vor anderen beschämt. Gerade in einer festen Beziehung kann es vorkommen, dass wir dem anderen absichtlich Schmerz zufügen. Solche Feindseligkeiten bezeichnet der renommierte US-amerikanische Paar- und Sexualtherapeut David Schnarch als “normalen ehelichen Sadismus”. Dass er Grausamkeiten in der Liebesbeziehung als normal bezeichnet, zeigt, wie gängig sie sind.

Davor verschließen wir jedoch gern die Augen – schließlich möchten wir das Selbstbild eines liebenswerten Menschen aufrechterhalten. Doch Menschen, die sich weigerten, sich ihre negativen Gefühle gegenüber dem Partner einzugestehen, seien besonders schwierig, schreibt Schnarch bei “Psychology Today”: 

“Das Problem ist nicht der Drang, gemein zu sein, denn den hat jeder irgendwann. Probleme entstehen, wenn man ihn leugnet, weil man dann eher dazu neigt, ihn auszuleben. Es ist für alle besser, wenn man akzeptiert, dass man eine bösartige Seite hat.” 

Denn nur, wer sich seine Wut eingesteht, kann auch lernen, feindselige Impulse zu kontrollieren.

Wenn Probleme nicht benannt werden, gedeiht die Boshaftigkeit

Doch woher kommt der Impuls, den Lieblingsmenschen zu verletzen? Das, was Schnarch “normalen ehelichen Sadismus” nennt, resultiert häufig daraus, dass wir nicht den Mut haben, auszusprechen, was uns am anderen stört, verletzt oder enttäuscht. Wir wagen es nicht, uns zu zeigen und offen die Dinge zu benennen, die uns auf die Palme bringen. Zu groß ist die Angst, in den Konflikt zu gehen und damit womöglich die Beziehung zu gefährden. Deshalb schweigen wir lieber, passen uns an, verzichten auf Dinge, weil der Partner sie nicht gutheißt. Statt offen auszusprechen, dass es uns kränkt, wenn er den lang geplanten Theaterabend vergisst, machen wir ihm Vorwürfe, weil er die falsche Schokolade gekauft hat und NATÜRLICH SCHON WIEDER seine Socken rumliegen lässt. Der Groll sucht sich ein anderes Ventil – in Form von Bosheiten und Seitenhieben.

Wenn die Feindseligkeiten in der Beziehung überhandnehmen, sollte man etwas dagegen unternehmen. Ist man selbst das Opfer, empfiehlt Hoffmann-Bisinger, das stichelnde Gegenüber auf sein Verhalten anzusprechen, indem man fragt: “Was möchtest du mir damit sagen? Gibt es etwas, was dir gerade an mir nicht passt?” Ertappt man sich selbst dabei, wie man den anderen verächtlich macht, hilft es, innezuhalten und zu überlegen: Was möchte ich eigentlich damit sagen? Kann ich mein Anliegen oder meine Enttäuschung auch konstruktiv formulieren? Nur wer sich bewusst macht, was hinter dem eigenen schädlichen Verhalten steckt, kann es auch ändern. Und im allerbesten Fall irgendwann wieder sagen oder dem Liebsten entgegenschmettern: “You bring out the best in me!”

Source: Aktue