In der Kolumne unseres Paartherapeuten Oskar Holzberg dreht sich alles um typische Liebesweisheiten und ihren Wahrheitsgehalt, er seziert Sprichwörter, Songtexte und berühmte Zitate. Diesmal: “Alte Liebe rostet nicht” – Sprichwort.
Kurz gesagt: Was soll das bitte heißen? Meint “alt” jahrelange oder Jahre vergangene Liebe?
Und jetzt mal ausführlich: “Alte Liebe rostet nicht” ist einer jener Sätze, die wohl bei den meisten von uns auf der inneren Festplatte gespeichert sind. Einfach, weil es sie gibt. Ich muss gestehen, ich hatte dieses Sprichwort bisher irgendwo gleich neben “Unkraut vergeht nicht” abgespeichert. Und das war es dann. Ich hatte es ganz schwammig verstanden wie: Wenn die Liebe erst mal alt ist, dann ist sie unverwüstlich. Weiter hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht. Sonst hätte es mich sofort irritiert. Weil Liebe ja kein Ding ist, das wie ein alter VW-Käfer vor sich hin rottet. Doch natürlich ist es metaphorisch gemeint – was es nur noch verwirrender macht. Weil ausgerechnet eine “alte” Liebe nicht “rosten” soll.
Ist vielleicht diese Lebensweisheit selbst verrostet? Und lange vor der ersten handschriftlichen Scheidungsstatistik entstanden? Widerspricht sie doch krass dem, was wir in den letzten Jahren widerwillig akzeptiert haben: dass Liebe ein Etikettenschwindel ist. Wir versprechen einander rostfreien Edelstahl, aber kaum haben wir das Standesamt verlassen, setzt bereits der Rostfraß ein. Ein paar Monate, und der Lack ist ab. Ein paar Jahre, und die Liebenden laufen mit Rostspray und Poliertuch durch ihre Beziehungen, um wieder ein paar glanzvolle Momente miteinander zu erleben. Wir verstehen sogar, was zu den hässlichen braunen Löchern und Schichten führt: der gemeine Trick der Evolution, uns durch einen Hormon-Schuss in Beziehungen zu locken. Die unvermeidbaren Beziehungsmuster, in denen wir uns gegenseitig mächtig auf den Zeiger gehen. Unsere Glücksvorstellungen, die dann auf die zähen Kompromisse des gemeinsamen Lebens in der Dreizimmerwohnung treffen. Die Beziehungsängste, die bereits im Kinderbett in uns eingepflanzt wurden und jetzt wundersame Blüten treiben
Gelebte Liebe rostet immer
Allerdings gibt es eine alte Liebe, die korrosionsgeschützt ist. Als habe sie wie ein Oldtimer in einer schützenden Garage die Zeit überdauert: unsere alte Liebe, der wir nach Jahren in der Bahn, bei Instagram oder auf dem Klassentreffen wieder begegnen. Lieben, die sich anfühlen, als sei damals gerade gestern gewesen. Häufig sind sie unbefriedigend geendet, blieben unerfüllt, waren mehr Schwarm als Realität. Sie sind altvertraut, aufregend neu und rostfrei. Im Gegenteil, nach der Erfahrung von drei Lebensabschnittspartner:innen und zwei Psychotherapien scheinen wir endlich reif genug, dem Rost für immer Adieu zu sagen – was sich dann natürlich doch wieder als Illusion erweist. Nur die ungelebte Liebe rostet nicht. Die gelebte Liebe rostet immer und bekommt Gebrauchsspuren. Der Rost befällt die Schwachstellen.
Wenn wir die rostigen Stellen unserer Liebesbeziehungen nicht ignorieren, sondern uns um sie kümmern, dann machen wir die Liebe haltbar. Rost ist auch eine Schutzschicht, unter der es in alten Lieben, die schon Jahre auf dem Buckel haben, Anteile gibt, die niemals rosten. Die Hoch-Zeiten unserer Liebe, die unvergänglich sind. An sie können wir uns erinnern, wenn die guten Gefühle drohen, vom Rost überwuchert zu werden.
Und dann gibt es da noch die Liebe aus Verbundenheit, die über die Jahre entstanden ist. Die niemals vorgab, Edelstahl zu sein, aber in einem komplexen Prozess aus Vertrauen und gegenseitigem Respekt rostfrei geschmiedet ist. Es ist nicht die Liebe, an die wir zuerst denken. Aber sie kommt der alten Liebe, die nicht rostet, am nächsten.
© Ilona Habben
Source: Aktue