Psychologie: 3 Irrtümer über deine Persönlichkeit, die du getrost vergessen kannst

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Die menschliche Persönlichkeit ist für Psycholog:innen vor allem eines: rätselhaft. Kein Wunder, dass über ein so komplexes und selbst für Expert:innen schwer zu durchdringendes Phänomen einige Irrtümer und Missverständnisse kursieren.

Menschen sind unterschiedlich, und das in vielfacher Hinsicht. Wir fühlen unterschiedlich, denken unterschiedlich, sehen offensichtlich unterschiedlich aus, haben unterschiedliche Ziele, Meinungen, Werte, Prioritäten und und und und und. Was uns ausmacht, sagen wir, unsere Individualität oder Persönlichkeit, ist so komplex, vielschichtig und rätselhaft, dass Expert:innen wie Psycholog:innen, Neurolog:innen, Philosoph:innen und Co. sicherlich noch lange forschen und grübeln können, ehe sie das Thema als abgeschlossen einstufen würden. Bei einem derart komplizierten Phänomen wie dem menschlichen Charakter ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass vieles, was wir darüber zu wissen glauben, nicht hundertprozentig zutreffend ist. So auch folgende Annahmen, die in vielen Köpfen präsent zu sein scheinen, uns aber letztendlich nur in die Irre führen würden – wenn wir ihnen glaubten.

3 Irrtümer über deine Persönlichkeit, die dich unnötig aufhalten

Du bist, wie du bist

Wissenschaftler:innen sind sich weitestgehend einig darin, dass unsere Persönlichkeit zumindest teilweise genetisch veranlagt ist. So fanden Genforscher:innen zum Beispiel Sequenzen in unserer DNA, die tendenziell mit einem eher introvertierten Charakter zu korrelieren scheinen, ebenso lassen sich offenbar im Erbgut gewisse Hinweise darauf erkennen, wie impulsiv oder aggressiv ein bestimmter Mensch sein könnte. Ein Stück weit scheint also der Zufall darüber zu entscheiden, was für ein Typ Mensch wir ungefähr sind. Allerdings ist die Rolle, die unsere genetischen Voraussetzungen im Gesamtbild spielen, relativ klein, denn unsere Persönlichkeit entwickelt und verändert sich im Laufe unseres Lebens – mitunter sogar stark. 

So ändere sich statistisch gesehen bei jedem:r dritten Erwachsenen mindestens eines der fünf Persönlichkeitsmerkmale, die Psycholog:innen zur Beschreibung des Charakters verwenden, der Big Five, in einem Zeitraum von sechs Jahren um eine ganze Stufe, schreibt der Psychologe René Mottus in “Psychology Today”. Wer also zum Beispiel mit 30 ziemlich verplant ist, oft zu spät kommt und vier von sechs Terminen verpeilt, kann mit 40 durchaus organisiert, relativ pünktlich und zuverlässig locker fünf von sechs Termine einhalten können. Wer mit 35 viel Zeit für sich braucht und ungern unter Menschen ist, mag mit 45 deutlich geselliger sein.

Nun vollziehen sich diese Veränderungen einerseits von selbst, ohne dass wir sie bewusst steuern, etwa durch die Erfahrungen, die wir sammeln, und durch die kulturellen, sozialen und anderen Umwelteinflüsse, denen wir ausgesetzt sind. Andererseits sind wir aber auch in der Lage, unsere Persönlichkeitsentwicklung gezielt zu lenken und zu beeinflussen.

Bis zu einem gewissen Grad können wir uns nämlich überlegen und selbst entscheiden, wie wir sein wollen. Dank unseres außergewöhnlichen, hoch entwickelten und sehr komplexen Gehirns besitzen wir die Fähigkeit, uns selbst zu beobachten und über uns nachzudenken. Wir können hinterfragen, wie wir die Welt wahrnehmen, interpretieren und bewerten, wir können wählen, wie wir Erfahrungen einordnen und verarbeiten, wir können lenken, welchen Einflüssen wir uns aussetzen. Es kann zwar wahnsinnig schwer sein, die eigenen Denk- und Verhaltensmuster zu verändern, doch grundsätzlich haben wir diese Möglichkeit.

Aber selbst wenn wir davon nicht Gebrauch machen und es dem Leben und dem Lauf der Zeit überlassen, wie sich unsere Persönlichkeit entwickelt: Auf irgendeine Weise wird sie sich mit der allergrößten Wahrscheinlichkeit verändern. Und nicht einmal der:die genialste Genforscher:in könnte vorhersagen, auf welche. 

In Extremsituationen zeigst du dein wahres Gesicht

Es ist kein Geheimnis, dass sich viele Menschen anders verhalten, wenn sie mit außerordentlichen, extremen Umständen konfrontiert sind. Wenn man ihnen beispielsweise eine Pistole an die Stirn hält, dürften einige Leute weitaus ichbezogener sein, als wenn sie bei Kerzenlicht in der Badewanne liegen und die Mondscheinsonate hören. Ebenso ließ sich 2020 ja etwa auch beobachten, dass sich bei einer drohenden Pandemie bei manchen Menschen das Einkaufsverhalten ändert. Ob nun aber der Kern der Persönlichkeit, das sogenannte wahre Gesicht, eher bei einer Begegnung mit einer Pistolenmündung zutage tritt als beim Klang von Beethoven, ist einzig und allein eine Frage der Interpretation. Und der Definition von Persönlichkeit und wahrem Ich.

Wer unterstellt, dass ausgerechnet in einer Extremsituation der echte Charakter zum Vorschein kommt, sagt damit im Grunde, dass unser Persönlichkeitskern in unseren Instinkten und Emotionen liegt. Denn meistens übernehmen die unter solchen Umständen das Steuer, während sich unser sogenannter Verstand einen Aussetzer genehmigt. Aber gehört nicht das, was wir sind und sein können, wenn unser Bewusstsein funktioniert, ebenso zu unserer Persönlichkeit, wie das, was wir sind, wenn es pausiert? Sagt es nicht sogar sehr viel über uns aus, wie wir auf unsere Gefühle und Instinkte reagieren, wenn wir die Gelegenheit haben, sie zu überdenken und abzuwägen? Eine außergewöhnliche Situation zu Rate zu ziehen, um den Charakter eines Menschen zu beurteilen, erscheint jedenfalls fragwürdig. Zumal sich derselbe Mensch schon in der zweiten außergewöhnlichen Situation, in die er gerät, völlig anders verhalten könnte.

Deine Taten sagen mehr als deine Worte

Meistens neigen wir dazu, wenn wir einen Menschen beurteilen, dessen Taten mehr Gewicht beizumessen als seinen Worten. Das ist nur allzu verständlich, schließlich haben Taten oft schwerwiegendere Auswirkungen als Worte, erfordern tendenziell mehr Energie und Commitment und so erscheinen sie schlicht und ergreifend wichtiger. Doch unsere Persönlichkeit zeigt sich nun einmal in dem, was wir tun und sagen. Und nicht nur darin, unsere Gedanken, Gefühle, Träume, Wünsche und Vorsätze, all das sind Ausdrücke unserer Persönlichkeit. Wir sind nicht nur, was wir tun, sondern auch, was wir wollen und was wir gerne tun würden. So macht es beispielsweise einen Unterschied im Hinblick auf den Charakter, ob ein Mensch einer anderen Person wehtut, obwohl er es überhaupt nicht wollte, und es hinterher bereut oder ob ein Mensch gar nicht darüber nachdenkt, wenn er anderen Personen wehtut. Um es auf den Punkt zu bringen: Zwei unterschiedliche Menschen können sich identisch verhalten, doch dabei völlig verschiedene Persönlichkeiten haben. Natürlich hat es eine Aussagekraft für den Charakter, wenn zwischen Worten und Verhalten stets eine große Diskrepanz besteht. Aber wir sind nicht (nur), was wir tun oder was wir sehen. Sondern sehr, sehr viel mehr.

Verwendete Quellen: spektrum.de, psychologytoday.com

Source: Aktue