Psychologie: Bewahren niedrige Erwartungen dich wirklich vor Enttäuschung?

Aktuel

“Schraub mal deine Ansprüche herunter, dann wird es auch besser!” Stimmt das? Wir prüfen, ob die Aussage Bestand hat oder hohe Ansprüche vielleicht die Regel sein sollten.

Gibt es zu hoch oder zu niedrig überhaupt, wenn es um die eigenen Erwartungen geht? Sprechen wir mit anderen Menschen, werden wir schon häufiger diesen Eindruck bekommen haben. Vielleicht ist eine Person “zu gut” für eine andere – und hätte die Messlatte “höher ansetzen” sollen. Oder jemand wollte den absoluten Traumurlaub und hatte haargenaue Vorstellungen, konnte deswegen aber fast nichts von ebendiesem genießen. Schützen uns niedrige Erwartungen davor, enttäuscht zu werden? Oder ist ein gewisser Anspruch an das, was wir erleben wollen, etwas Gutes?

… das Problem zu hoher Erwartungen

Zu hohe Erwartungen können für einen unrealistischen und ungesunden Standard sorgen: Sätze wie “Alle müssen mich mögen”, “Ich brauche viele Freund:innen, um glücklich zu sein” oder “Ich muss all das schaffen, damit es perfekt wird” – wenn Wörter wie “alle”, “viele” oder “perfekt” im Spiel sind, können wir selten die Vorstellung erfüllen und sind höchstwahrscheinlich am Ende enttäuscht. Die Ziele werden zu sehr generalisiert und geben keine konkreten Handlungsanweisungen.

Oft fällt es Menschen mit hohen Ansprüchen schwer, kleinere Erfolge zu sehen. Sie überschätzen ihre eigenen Fähigkeiten und sind am Ende frustriert. Person A hat sich vielleicht vorgenommen, Gitarre zu lernen. Person B kann es aber nach kurzer Zeit schon viel besser. Die Folge: Person A sieht selbst nicht, dass sie schon zwei oder drei Lieder mit einfachen Akkorden gelernt oder einen schwierigen Anschlag gemeistert hat, sie ist stattdessen frustriert und lässt die Gitarre liegen. Das Problem: Die schönen Momente geraten in den Hintergrund, weil sie sich zu sehr auf das große Ganze versteift hat. Das führt zu Vorwürfen und weniger Selbstvertrauen.

… das Problem zu niedriger Erwartungen

Erwartungen können uns anspornen oder dazu führen, dass wir uns nicht auf etwas einlassen, mit dem wir unglücklich wären. Setzen wir in unserem Leben an andere Menschen oder uns selbst aber nur niedrige Ansprüche, sind wir vielleicht nicht enttäuscht, dafür aber möglicherweise seltener begeistert. Menschen mit niedrigen Erwartungen haben oft das Problem, dass sie den Zugang zur Dankbarkeit verlieren und abstumpfen, weil sie wenig voraussetzen. Sie übersehen teilweise das, was genau vor ihnen liegt. Niedrige Erwartungen können sogar auf andere übertragen werden. Merken andere Menschen, dass wir ihnen eh nicht zutrauen, pünktlich aufzutauchen, sich um etwas zu kümmern oder etwas zu schaffen, kann das dazu führen, dass sie weniger motiviert sind, ihr Verhalten zu ändern.

Die Balance zwischen zu hohen oder zu niedrigen Erwartungen

Von vielen Expert:innen wird geraten, sich realistische Ziele zu setzen. Also: Nicht über das Ziel hinauszuschießen. Eine weitere Theorie besagt, dass es einen Unterschied macht, ob wir nur groß träumen oder auch die Intention haben, den Traum wahr werden zu lassen. Das sogenannte “Mental Contrasting” ist eine Methode, die dabei helfen soll. Der Gedanke dahinter: Sich negative und positive Zukunftsversionen vorzustellen und gegeneinander abzuwägen – um dann auf das, was passiert, besser vorbereitet zu sein. Ist es die positive Zukunft, die man für sich sieht, müssen entsprechende Entscheidungen getroffen werden.

Ein Beispiel: Wünscht sich eine Person viele Freund:innen, ist aber immer nur zu Hause, wird dieser Wunsch nicht eintreffen. Die Zukunft mit Freund:innen mag zu weniger Einsamkeit führen und die Person dazu bringen, aktiver zu werden. Jene ohne soziale Kontakte könnte hingegen zu einer Depression führen oder weniger Motivation. Eine bessere Entscheidung wäre also, das eigene Netzwerk auszubauen. Aber: Eben nicht sofort auf VIELE Menschen, sondern nach und nach auf Menschen, die dazu beitragen, die Lebensqualität zu erhöhen. Sich der nötigen Handlung bewusst zu werden und dem, was wir priorisieren sollten, hilft, die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen.

Wie du deine eigenen Erwartungen besser angehst

Wer sich nicht sicher ist, ob er:sie zu hohe oder zu niedrige Erwartungen hat: Hinterfrage deine Vorstellungen. Folgende Punkte können dir dabei helfen:

  1. Distanzieren: Wie würdest du auf die Erwartung reagieren, wenn ein:e Freund:in sie an sich stellen würde?
  2. Bewusstsein schaffen: Bremst dich der Anspruch an dich selbst oder stresst er dich? Dann überlege, wie hilfreich deine Gedanken sind – und wie realistisch. Möglicherweise ist es an der Zeit, sie loszulassen oder zu ändern. Helfen sie auf deinem Weg oder halten sie dich zurück? 
  3. Mitgefühl haben: Wenn du enttäuscht wurdest, nimm dir die Zeit, um deine Gefühle zu fühlen und zu reflektieren. Was hat dazu geführt, dass etwas nicht geklappt hat – und wie kannst du das in Zukunft ändern? Lerne aus möglichen Fehlern. 
  4. Dankbarkeit üben: Hohe Ansprüche an uns selbst oder andere verblenden die Sicht auf Dinge, die bereits gut laufen. Statt sich also an Fehlern festzuhalten, besser dankbar für kleine Erfolge sein.
  5. Akzeptanz lernen: Es ist normal, dass wir nicht jede Eventualität vorhersehen können und der Plan hin und wieder nicht aufgeht. Wer sich darin übt, flexibel zu sein und Veränderung zu akzeptieren, wird seltener enttäuscht.

Verwendete Quellen: psychcentral.com, theconversation.com, humanpsychology.com.au, harleytherapy.co.uk, newayscenter.com

Source: Aktue