Psychologie: Darum fällt uns Loslassen wirklich so schwer

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Wir wissen ja, wie gut es uns tun kann, bestimmte Glaubenssätze, Dinge und auch Menschen loszulassen. Aber warum ist das so verdammt schwierig? Eine Spurensuche.

Loslassen ist gerade schwer angesagt. Überall lesen wir, wen und was wir alles loslassen sollen – und warum uns das so guttut. Philosophische Traditionen wie Yoga oder der Buddhismus schwören auf das Loslassen, damit wir uns spirituell weiterentwickeln. Aber, und auch das lesen und spüren wir immer wieder, es fällt uns alles andere als leicht. Warum ist das so?

Dieser Frage sind schon viele kluge Menschen nachgegangen. Unsere Schwierigkeit mit dem Loslassen hängt sicher damit zusammen, wie unsere Gesellschaft aufgebaut ist – nämlich auf dem absoluten Gegenteil von Loslassen: Wir wollen alle immer mehr haben, Geld und Materielles horten wir, Sicherheit geht über alles, und Hauptsache, wir wachsen! Dabei übersehen wir leider oft, dass inneres Wachstum dem Höher-Schneller-Weiter unserer modernen Welt diametral entgegensteht. Denn wirklich weiterentwicklen können wir uns nur, wenn wir auch mal etwas loslassen. Wo wir wieder beim Thema wären.

Der Kopf sagt Loslassen, der Bauch will festhalten

Rational wissen wir oft, dass es uns schadet, an einer alten Beziehung, einem Konflikt von früher, einem toxischen Glaubenssatz oder einer ungesunden Gewohnheit festzuhalten. Emotional ist das aber eine andere Sache. Weil häufig unbewusste Muster, vor allem aus der Kindheit, eine Rolle spielen und unseren cleveren Plan, jetzt doch endlich mal loszulassen, zunichtemachen können.

Es geht schon bei Säuglingen los, die haben nämlich den sogenannten Klammerreflex. Damit reagieren sie auf bestimmte Umweltreflexe und spreizen dabei alle viere und die einzelnen Finger ziemlich ruckartig von sich, um dann schnell alles wieder vor der Brust zusammenzuziehen. Diesen Reflex haben auch andere Säugetiere, etwa Affen oder Koalas. Er dient wohl dazu, sich in gefährlichen Situationen instinktiv an der Mutter festzuklammern. Nach einigen Monaten verlieren Babys diesen Reflex zwar, aber er zeigt: Das Festhalten ist evolutionsbiologisch fest in uns verankert.

Unsere kindlichen Bindungserfahrungen prägen uns

Auch die weitere Kindheit bestimmt stark, wie gut wir später als Erwachsene loslassen können. Besonders frühe Bindungserfahrungen spielen dabei eine große Rolle. Babys und Kleinkinder wollen die Welt erkunden, dieser Drang ist ein natürliches Bedürfnis. Gleichzeitig wollen sie aber auch die Sicherheit spüren, die ihre Eltern und ihr Umfeld ihnen geben. Hier den Spagat zu schaffen zwischen “Ich lasse dich gehen und deine eigenen Erfahrungen machen” und “Du bist hier sicher, wir sind immer für dich da” ist für Eltern alles andere als leicht.

Wenn das in der Kindheit nicht gelingt, kann das einen großen Einfluss auf unser Bindungsverhalten im späteren Leben haben. Das passiert natürlich oft unbemerkt, denn bewusst erinnern können wir uns an solche Situationen, in denen unseren Eltern das Verhältnis zwischen Freiheit und Sicherheit nicht ganz geglückt ist, meist nicht. Die daraus resultierende Unsicherheit ist ein wichtiger Faktor, wenn wir es nicht schaffen loszulassen. Denn wer als Kind schon unsichere Bindungen erfahren hat, dem fällt es im späteren Leben oft umso schwerer, gesunde Bindungen zu entwickeln – und damit letztlich auch, uns aus ungesunden zu lösen.

Loslassen kann man lernen – auch als Erwachsene

Das heißt aber nicht, dass wir als Erwachsene nichts mehr daran ändern können, wenn wir in der Kindheit unschöne Prägungen in Sachen Bindung erfahren haben. Im Laufe unseres Lebens können wir mit neuen Erfahrungen an unserem Bindungsstil arbeiten und so mehr Selbstsicherheit zu entwickeln, auch eine Therapie oder ein Coaching kann helfen. Diese fünf Schritte können dich ganz konkret dabei unterstützen, das Loslassen zu üben:

Loslassen in 5 Schritten: So geht’s

  1. Wenn wir Probleme damit haben, Menschen, Dinge oder Situationen gehen zu lassen, hat das meistens einen Grund. Deshalb ist es wichtig, diesen Grund erst mal anzunehmen und zu akzeptieren – völlig wertfrei.
  2. Schau dir als Nächstes rational an, wovor du Angst hast. Was ist das Schlimmste, das passieren kann, wenn du diesen Menschen oder diese unangenehme Situation ziehen lässt? Im besten Fall wirst du merken, dass der Worst Case eigentlich gar nicht so schlimm ist.
  3. Überlege dir dann, was du alles gewinnst, wenn du dich loslässt. Zeit? Freiheit? Seelenfrieden? Schreib es auf! Das hilft, dir das Ganze noch mal genau vor Augen zu führen, und unterstützt dich außerdem, das Ganze für die nächste Situation zu üben.
  4. Triff dann bewusst die Entscheidung, die Beziehung oder Situation gehen zu lassen. Wenn dir deine Angst in Form von negativen Gedanken dazwischenquatschen möchte, sag dir einfach: Stopp, ich habe die Entscheidung getroffen und handele jetzt auch danach.
  5. Wiederhole das immer wieder, wenn du merkst, dass du doch noch an etwas festhältst, das eigentlich keinen Platz mehr in deinem Leben hat.

Loslassen ist ein Prozess, der oft ein Leben lang andauert. Und natürlich gibt es Dinge oder Menschen, bei denen es uns schwerer fällt als bei anderen. Eine jahrzehntelange Beziehung ist schließlich nicht dasselbe wie ein Paar Schuhe. Sei in diesen Situationen nicht zu hart zu dir und übe dich in Selbstakzeptanz. Denn sonst packst du am Ende nur eine weitere Sache in deinen ohnehin schon überquellenden Rucksack aus Dingen, die du eigentlich loslassen willst.

Verwendete Quelle: spektrum.de

Source: Aktue