Psychologie: Warum intelligente Menschen manchmal etwas drüber wirken

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Menschen mit einem hohen IQ können in mancher Hinsicht ein wenig speziell wirken. Ein Grund dafür ist, dass viele von ihnen mindestens eine der sogenannten fünf Intensitäten aufweisen. Was es damit auf sich hat und woran du sie erkennst.

Menschen mit einer überdurchschnittlich hohen Intelligenz unterscheiden sich manchmal auffallend von der Mehrheit ihrer Mitmenschen – und zwar nicht nur dadurch, dass sie Mathe schnell begreifen oder Kernspaltung erfinden. Zum Teil reagieren sie auf ihre Umwelt in einer Weise, die auf viele Menschen überraschend, merkwürdig und schwer nachzuvollziehen wirkt. Und das kann alle Beteiligten verunsichern.  

Der polnische Psychologe Kazimierz Dąbrowski hat bereits im 20. Jahrhundert im Rahmen seiner Forschung zu Persönlichkeit und Depression fünf sogenannte Übererregbarkeiten ausgemacht (“nadpobudliwość'”), von denen viele hochintelligente Personen typischerweise mindestens eine aufweisen, einige allerdings mehrere: emotionale, imaginative, intellektuelle, psychomotorische und sensorische. Als hochintelligent gelten in diesem Zusammenhang übrigens Menschen, die intelligenter sind als 98 Prozent der anderen Personen in ihrem Alter, also einen IQ von 130 oder höher haben.

Anstelle des etwas unglücklichen Begriffs “Übererregbarkeit” sprechen Psycholog:innen im deutschen Sprachraum häufig auch von Intensitäten oder Sensitivitäten. “Übererregbarkeit” entstand aus der Übersetzung des englischen Bezeichnung “overexcitability”, allerdings enthalten sowohl die deutsche als auch die englische Variante durch die Vorsilbe “über-” eine Wertung, die das polnische Original nicht aufweist. Wir verwenden in diesem Beitrag bevorzugt das Wort Intensität, weil es uns am wenigsten besetzt erscheint.

Diese 5 Intensitäten sind typisch für hochintelligente Personen

Übergreifend handelt es sich bei den Intensitäten um eine menschliche Eigenschaft, nämlich die, auf vergleichsweise schwache Impulse und Reize stärker anzuspringen als die meisten anderen Menschen. Was das konkret bedeutet, wird klarer, wenn wir uns Intensitäten im Einzelnen anschauen.

1. Emotionale Intensität

Emotionale Intensität zeichnet sich nach Kazimierz Dąbrowski dadurch aus, dass Betroffene oft sehr starke Gefühlsreaktionen erleben, ob Trauer, Freude, Enttäuschung, Begeisterung oder Angst. In einem Beitrag für “Psychology Today” schreibt US-Psychologin Jenny Grant Rankin, dass emotionale Intensität auf Außenstehende wie der Hang zu Überreaktion oder Dramatik wirken kann. Die fühlenden Personen selbst stellt diese Eigenschaft oft vor die Herausforderung, ihre Empfindungen zu begreifen und zu regulieren. Körperliche Begleiterscheinungen wie Bauchschmerzen oder ein erhöhter Puls bei Ärger, Angst und Co. sind bei emotionaler Intensität nicht ungewöhnlich. Nicht selten neigen Betroffene außerdem dazu, sehr an bestimmten Dingen, Orten oder Personen zu hängen, weil sie ihnen einen besonderen emotionalen Wert beimessen.

2. Imaginative Intensität

Imaginative Intensität könnten wir auch überdurchschnittlich ausgeprägte Vorstellungskraft oder Fantasie nennen. Sie äußert sich typischerweise in einem Hang zum Tagträumen, hoher Kreativität, einem Talent dafür, Geschichten zu erzählen, und lebendigen, elaborierten Träumen. Bei Aufgaben mit einem geringen Spielraum für kreative Herangehensweisen kann es Betroffenen schwerfallen, sich zu konzentrieren und zu disziplinieren. Einige imaginativ intensive Menschen erschaffen sich vorgestellte Personen, Tiere oder Welten, zu denen sie eine Bindung entwickeln. Auf das Umfeld kann imaginative Intensität unter Umständen befremdlich wirken, wie eine sinnlose Träumerei.

3. Intellektuelle Intensität

Unter intellektueller Intensität ist das zu verstehen, was viele Menschen intuitiv mit hochintelligenten Personen verbinden: ausgeprägte Neugier, differenziertes, unabhängiges Denken, hohe Beobachtungs- und Konzentrationsfähigkeit sowie eine schnelle Auffassungsgabe, wenn es etwa darum geht, wesentliche Aussagen aus einem Text herauszulesen oder Regeln und Muster aus Beispielen abzuleiten. Einige Betroffene haben zudem ein fotografisches Gedächtnis. Intellektuell intensiven Personen kann es mitunter schwerfallen, ihre Gedankengänge, Urteile und Schlussfolgerungen allgemein verständlich zu teilen oder erklären, was wiederum im Miteinander manchmal Missverständnisse und Frust begünstigt.

4. Sensorische Intensität

Sensorische Intensität meint eine erhöhte Empfindsamkeit gegenüber sinnlichen Reizen. Geräusche, Lichter, Gerüche, Geschmäcker – die Eindrücke unserer Wahrnehmung können auf Betroffene stärker wirken als auf andere Menschen. Aus diesem Grund kann es sie vor eine Herausforderung stellen, sensorische Einflüsse wie ein bestimmtes Parfüm oder ein ausgefallenes Haar im T-Shirt auszublenden. Zudem sind einige Betroffene geräusch- oder lichtempfindlich.

5. Psychomotorische Intensität

Ein ausgeprägter Bewegungsdrang, Nervosität bei längerem Stillsitzen, manchmal ein hohes Sprechtempo oder ausschweifende Gestik – all das können Merkmale psychomotorischer Intensität sein. Fehlt es Betroffenen an körperlicher Aktivität, löst das bei ihnen Stress und Unruhe aus. Selbst bei Krankheiten und Verletzungen tun viele sich schwer, sich zu schonen.

Jeder Mensch ist anders

Ob durchschnittlich intelligent oder nicht: Anders zu sein als das Umfeld, kann für alle Menschen schwierig und belastend sein – gerade wenn es dazu führt, dass ihre Mitmenschen sie ausgrenzen. Die wenigsten Menschen möchten Außenseiter sein, und ein hoher IQ kann keine Liebe, Freundschaft, Empathie und Bestätigung von anderen Personen ersetzen. Wenn Anderssein einsam macht, kann es sich nämlich so anfühlen, als sei man falsch. Es kann Selbstzweifel nähren und die Überzeugung, dass mit der eigenen Persönlichkeit etwas nicht stimmt.

Die eigenen Eigen- und Besonderheiten zu kennen und einordnen zu können, kann erheblich dabei helfen, besser auf sich und seine Mitmenschen einzugehen und zu akzeptieren, was uns voneinander trennt und unterscheidet. Deshalb kann es wichtig und wertvoll sein, über so etwas wie die fünf Intensitäten und ihr vermehrtes Vorkommen im Zusammenhang mit einer hohen Intelligenz Bescheid zu wissen: Es kann Betroffene entlasten. Es kann Selbstverständnis und gegenseitiges Verständnis fördern.

Davon abgesehen, kann es uns helfen zu verinnerlichen, dass alle Menschen anders sind: Keine Person gleicht einer anderen, auch nicht, wenn sie einen IQ von 100 hat. Anders zu sein, eine einzigartige Sichtweise zu haben, die niemand haargenau teilt, ist ein Aspekt des Menschseins. Kein Grund auszuschließen und kein Grund, sich falsch zu fühlen. Haben wir das einmal begriffen, müssen wir uns nicht länger über unsere Unterschiede den Kopf zerbrechen und können darauf eingehen und aufbauen, was wir gemeinsam haben. Denn selbst die gegensätzlichsten Menschen, werden wir dann sehen, verbindet mehr, als sie trennt.

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