Psychologie: Was es über dich aussagt, wenn du immer für andere da bist – sie aber nie für dich

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Unsere Autorin hat sich lange Zeit wie der Kummerkasten ihrer Freund:innen gefühlt. Sie selbst weinte an keiner Schulter. Das lag aber nicht an den bösen Anderen. 

Sich um andere zu kümmern, das ist etwas ganz Feines. Das lernen – vornehmlich weiblich gelesene – Menschen schon ganz früh. Und kümmern sich um Puppen, Tiere, Urzeitkrebse. Es ist also kaum verwunderlich, dass auch ich die Kummerkastenfunktion lange Zeit als Teil meiner DNA ansah. Ich bin halt die, die für andere da ist. 

Ich glaube, das geht vielen Menschen so. Ich höre oft von Freundinnen, die miteinander durch schwere Zeiten gehen, sich weinend in den Armen liegen, wenn sie etwas oder jemanden verloren haben und sich felsenfest versprechen: du kannst mich immer anrufen, egal zu welcher Uhrzeit. Ich habe diesen Satz auch schon oft gesagt. Und gehört. Gemacht habe ich es aber nie.

Denn dieses “füreinander da sein” war für mich lange Zeit eine Einbahnstraße. Das wurde mir bewusst, als es mir selbst nicht gut ging. Und ich merkte, dass ich keine Energie mehr hatte, mich um andere zu kümmern. Weil weder ich noch andere sich um mich gekümmert hatten. 

Wer feststellt, dass er:sie in so einer Einbahnstraßen-Dynamik feststeckt, kommt da schwer wieder raus. Einfach den Rückwärtsgang einlegen – verboten. Wenden – noch auffälliger. Also einfach weiterfahren und wie ein waschechter Autofahrer vor sich hin pöbeln? 

Das wäre wohl die einfachste Reaktion und die naheliegendste Antwort darauf, wieso du immer für andere da bist, sie aber nicht für dich. Die anderen sind schuld. Böse Freund:innen. Egozentrisch.

Kann sein. Glaube ich aber nicht. Schließlich sitzt man selbst am Steuer und ist an der Routenführung sämtlicher Beziehungswege zumindest beteiligt. Oder hat man sie vielleicht sogar ganz an sich gerissen? Weil man dann den Weg kennt, er vorhersehbar und sicher wirkt? Und weil es manchmal einfacher ist, sich mit den Problemen anderer als den eigenen zu beschäftigen? 

Wenn andere nie für dich da sind, kann es dann nicht auch sein, dass du es nicht zulässt? Es wäre anmaßend, die Gründe dafür in einem solchen Text erörtern zu wollen. Doch mir fallen viele nachvollziehbare Ursachen ein, sei es, Angst vor Kontrollverlust, die eigene Schwamm-drüber-Mentalität oder schlichtweg, weil man immer gelernt hat, zu funktionieren. Die Starke zu sein. Jede:r von uns sucht sich seine Rolle, es tut gut, sie von Zeit zu Zeit zu hinterfragen.

Lässt du andere überhaupt für dich da sein?

Es klingt makaber, aber weinende Freund:innen hatten manchmal eine fast magische Anziehung auf mich. Ich habe weder eine masochistiche Ader, noch reite ich gerne als Retterin auf dem Schimmel herbei. Aber sie waren so offen. So echt. So unkontrolliert, faszinierend verletzlich, dass ich sie gleich doppelt lieb hatte. Ich spürte eine tiefe Sehnsucht – nicht nur, für sie da zu sein, sondern sie zu sein. Mich zu trauen, mich zu öffnen. Die Kontrolle abzugeben. Verletzlich zu sein. Und es anderen zu zeigen. 

Wenn wir uns einander verletzlich zeigen, erzeugt das eine Nähe, die mit keiner anderen vergleichbar ist. Mit dieser Sehnsucht wurde mir aber bewusst: ich hab mich jahrelang selbst dieser Nähe entzogen. Während andere ihren Teil des Weges auf mich zugegangen sind, mir eine alternative Route aufgezeigt, sogar das Straßenschild umgetreten haben, bin ich weiter stur geradeaus gefahren.

Nachdem ich diese Sehnsucht einmal gespürt hatte, verließ sie mich nicht mehr. Vor einiger Zeit hatte ich ein sogenanntes Schlüsselerlebnis oder eine “core memory” wie es auf TikTok gerade heißt. Ich war verabredet. Im Laufe des Tages fühlte ich mich nicht gut, wusste nicht, wieso, hatte keine Problemlösung parat, war maulig und müde. Mein Autopilot sagte mir sofort: nachhause fahren! Was in meinem Fall hieße – absagen. Ich tat es nicht. Ich fuhr zu meiner Freundin, ohne Navi, ganz allein. Ich setzte mich auf ihr Sofa, bekam eine Decke und dazu noch eine warme Mahlzeit. Ich befand mich auf unbekanntem Gebiet, ich fuhr abseits der Straße, gab mich ganz dem Plan meiner Freundin hin, die sich wiederum als wunderbare Routenführerin entpuppte. Das war mir nicht neu, schließlich hatte ich schon beobachtet, wie sie andere durch Täler begleitete. Aber mir war neu, wie gut sich das anfühlte, wenn ich im Tal saß! 

Ich würde diesem Erlebnis eine fünf-Sterne-Rezension schreiben und empfehle es jedem weiter. Ich fühle mich, als hätte ich ein neues, mutiges Hobby entdeckt, hey, ihr, ich fahre jetzt Offroad, fragt mich, wie es mir geht, es ist vielleicht etwas ruckelig, aber steigt ruhig ein, wir kommen schon ans Ziel. 

Seitdem fällt es mir viel leichter, Abzweigungen am Wegrand wahrzunehmen. Die schon immer da waren. Ich habe sie nur nie genommen. Was ich mit meinen ganzen Verkehrsmetaphern sagen will: wenn du das Gefühl hast, immer nur für andere da zu sein, liegt es nicht zwingend an ihnen. Denn deine Freund:innen sind vielleicht genauso wunderbare Routenführer:innen wie meine – du lässt sie nur nie ans Steuer. 

 

Source: Aktue