Sarah Bora: "Macht heißt Verantwortung – auch in der Partnerschaft"

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2021 beschließt Sarah Bora, ihre Erfahrungen mit häuslicher Gewalt mit der Welt zu teilen – ein mutiger Schritt. Sie erzählt uns, in welcher Form ihr Machtmissbrauch begegnet ist und was sich in unserer Gesellschaft grundlegend ändern muss, um ausbeuterischen Machtstrukturen entgegenzuwirken.

BRIGITTE: Du engagierst dich schon lange gegen Gewalt gegen Frauen. Du bist Sängerin und hast mit deinem Song 2021 öffentlich gemacht, dass du selbst Opfer von häuslicher Gewalt geworden bist.  Möchtest du uns erzählen, was dir genau passiert ist?

Sarah Bora: Ich habe meinen damaligen Freund relativ früh kennengelernt, er war meine Jugendliebe. Wir waren fast zehn Jahre zusammen und ja, fast acht Jahre davon war ich in einer gewalttätigen Beziehung. Also wirklich psychische und physische Gewalt. Physische Gewalt habe ich zum ersten Mal mit 15 erlebt. Mit meiner persönlichen Geschichte versuche ich, viele Menschen zu erreichen, denn gerade Frauen fühlen sich eher angesprochen von jemandem, dem das Gleiche passiert ist wie einem selbst.

War das ein schleichender Prozess oder kam der Übergriff überraschend?

Auf psychischer Ebene hat es sich immer mehr zugespitzt, und es hat immer relativ harmlos angefangen. Kontrolle und Eifersucht. Ich musste zum Beispiel immer Selfies schicken, wo ich bin, mein Kilometerstand wurde kontrolliert, mein Handy auch. Irgendwann hatte ich auch keinen richtigen Zugang mehr zu meinem Bankkonto und musste alles offenlegen. Es wurde einfach alles kontrolliert. 

Die körperliche Gewalt war noch unberechenbarer, weil er in seinen Augen immer Gründe für seine Wutausbrüche hatte, die ich nicht vorhersehen konnte. Ob es eine Vase war, die am falschen Platz stand, oder eine Party, auf der ich mich seiner Meinung nach nicht gut benommen habe, es gab immer Momente, die für ihn nicht tragbar waren und die Situation eskalieren ließen. Dann wurde ich gewaltsam festgehalten oder geschlagen. Das hat sich zu einer Art System entwickelt.

Und die Umgebung hat diese Gewalt nicht bemerkt?

Am Anfang nicht wirklich. Ich durfte sowieso nur lange Kleidung tragen. Das heißt, ich hatte auch relativ viel Spielraum, diese Verletzungen zu verstecken. Das hört sich jetzt total blöd an, weil dann oft die Frage kommt: “Warum bist du dann nicht einfach gegangen?”, aber so eine Beziehung fängt immer mit Liebe an.

Ich habe relativ schnell gemerkt, je finanziell unabhängiger ich bin, desto mehr Möglichkeiten habe ich.

Wie kann das zusammengehen, Gewalt und Liebe?

Diese Leute betreiben so eine Art Love Bombing. Die überschütten dich total mit Liebe, auch anders, als du das vielleicht aus anderen Beziehungen kennst. So dass man wirklich das Gefühl hat: Ich habe den perfekten Menschen gefunden. Jetzt im Nachhinein habe ich auch gemerkt, dass ich immer mehr von meinen Freunden und meiner Familie isoliert wurde. Das merkt man im ersten Moment nicht, weil man vielleicht denkt, man wird beschützt. “Deine Freunde sind schlecht. Deine Familie tut dir nicht gut. Ich liebe dich so sehr und will nur, dass es dir gut geht”, das sind alles Sätze, die mich so manipuliert haben, dass ich sie irgendwann geglaubt habe. Am Ende der Beziehung ging es nur noch ums Funktionieren, ums Überleben.

Glaubst du, dass deinem Partner zu diesem Zeitpunkt bewusst war, dass er seine Macht aktiv ausnutzt?

Auf jeden Fall. Das fing ja schon in der Ausgangssituation an, wo ich aus meinem Elternhaus ausgezogen bin, bei ihm eingezogen bin und er quasi die Kontrolle über mich übernommen hat. Auch nachdem ich bei körperlichen Übergriffen zu ihm zurückgekommen bin. Das hat ihm total gezeigt, dass ich gefügig bin. Dann wusste er: Er hat Macht über mich.

Macht heißt auch Verantwortung. In allen Bereichen, auch in der Partnerschaft. Und wenn du zum Beispiel weißt, dass deine Partnerin vielleicht aufgrund ihrer Arbeit finanziell nicht auf Augenhöhe ist und du genau diesen Teil ausnutzt und sagst: “Ohne mich bist du nichts”, dann sprechen wir ganz klar von Machtmissbrauch. Und das ist eben in vielen Beziehungen der finanzielle Aspekt, weil die Frau viel Care-Arbeit macht oder sich um die Kinder kümmert. Das passiert automatisch.

Und der Moment des Machtmissbrauches war dir in diesem Moment aber nicht bewusst?

Überhaupt nicht. Du bist wirklich in einer Art Blase. Ich habe gar nicht gemerkt, was mit mir los ist. Erst als es so schlimm wurde, dass ich auch Angst hatte, habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Ich habe natürlich innerlich gespürt, dass das nicht in Ordnung ist, aber ich konnte das gar nicht so explizit differenzieren, ob das nicht vielleicht bei allen anderen auch so ist.

Wie hast du es geschafft, aus dieser von Machtmissbrauch geprägten Situation rauszukommen?

Ich habe relativ schnell gemerkt, je finanziell unabhängiger ich bin, desto mehr Möglichkeiten habe ich. Ich wusste, dass Status sehr wichtig für ihn ist. Also habe ich versucht, ihn auszutricksen und habe gesagt, wenn ich mehr Geld nach Hause bringe, können wir uns natürlich auch mehr leisten. Deswegen war es für mich so wichtig zu arbeiten und die Ausbildung zu machen und dann mit dem Studium anzufangen. Und das war auch meine Rettung. Die Bildung hat mich da rausgeholt. Ich konnte mein Spektrum und meinen Horizont erweitern. Ich hatte mehr Kontakt zu anderen Leuten und eine Freundin, die mir da sehr nahe stand, hat dann natürlich früher oder später gemerkt, wie sehr ich auch an der Uni kontrolliert wurde. Ich musste immer sagen, was ich mache, durfte nie mit anderen zusammen sein und wenn, dann nur mit Mädchen. Meine Freundin war dann irgendwann so weit, dass sie gesagt hat: Sarah, das ist nicht mehr normal. Ich habe das natürlich heruntergespielt. Aber je mehr sie es mitbekommen hat und je öfter sie es mir gesagt hat, desto mehr ist mir natürlich bewusst geworden, dass da etwas nicht stimmt.

Du bist mittlerweile verheiratet und in einer glücklichen Beziehung. Seit letztem Jahr sogar Mutter. Wie hast du es aus der Situation rausgeschafft?

Ich hatte wirklich das Glück, im Gegensatz zu vielen anderen Frauen, zu meinen Eltern gehen zu können. Ich habe weiter studiert, das hatte für mich Priorität. Natürlich musste ich danach eine Therapie machen, weil ich vieles neu lernen musste. Auch wenn es blöd klingt, aber ich musste lernen, kein schlechtes Gewissen mehr zu haben, wenn ich zum Beispiel alleine einkaufen gehe. Ich hatte ja drei Jahre Stalking hinter mir. Das heißt, als ich mich getrennt habe, hat er vier Wochen später mit der Stalkinggeschichte angefangen. Das war noch mal eine ganz andere Angst als in der Beziehung, weil er auch so eine Aggressivität mir gegenüber entwickelt hat. Der Schlüsselmoment war vier Tage vor unserem Gerichtstermin, wo ich sowieso schon sehr vorsichtig gefahren. Als ich aus dem Auto stieg, hat er mich erwischt und versucht, mich ins Auto zu zerren. Ich hatte Todesangst. Zum Glück konnte ich mich aus der Situation befreien. Nach der Gerichtsverhandlung habe ich nichts mehr von ihm gehört, bis zu meinem Hochzeitstag, als er mir eine SMS schickte, in der stand: Ich hoffe, du bist jetzt glücklich. 

Was würdest du anderen Frauen raten, die in derselben Situation sind?

Frauen, die in so einer Situation sind, rate ich immer ganz klar: Schreibt alles auf, wenn ihr könnt. Heimlich ins Handy, heimlich ins Tagebuch. Das ist einmal eine Dokumentation für spätere Momente, auch mit der Polizei und auch mit den Ämtern. Man kann sich anonym beim Weißen Ring oder bei der Telefonseelsorge erkundigen. Auch einen Plan B zu haben, eine gepackte Tasche, ist immer eine gute Option.

Gleichzeitig muss man einfach den Blick der Gesellschaft mehr öffnen. Wenn ich die Nachbarin alle drei Tage mit Sonnenbrille, Kapuze und vielleicht sogar einem Veilchen sehe, dann sollte ich den Mut haben, sie anzusprechen, und zwar in einem Moment, in dem es nicht gefährlich ist. Das ist entscheidend, denn wenn die Frau weiß, dass sie eine Option hat, wird sie diese wahrscheinlich auch wählen. Aber wenn sie es nicht weiß und sich allein und isoliert fühlt, woher soll sie diese Kraft nehmen? Woher weiß sie, dass der Nachbar oder die Nachbarin hinter ihr steht? Ich meine, wir kennen das alle, dass weggeschaut wird. Ich glaube, es ist auch wichtig, zu sagen, dass nicht nur die Frauen aus dieser Situation herauskommen müssen, sondern dass auch die Gesellschaft dazu beitragen muss, dass Frau den Mut hat, zu gehen und dann auch Hilfe bekommt, wenn sie Hilfe braucht.

Ich finde Female Empowerment superwichtig, aber es muss an den richtigen Stellen ansetzen. Natürlich kann man sich hinstellen und versuchen, den Weg zu zeigen, aber dafür brauchen wir ein funktionelles System und das geht nur über die Gesellschaft und die Politik.

Source: Aktue