Selbstversuch: "Statt zu sabbeln, schweige ich neuerdings"

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Wir texten einander zu oder unterbrechen uns gegenseitig. Wann haben wir bloß verlernt, einfach zuzuhören, fragt sich Autorin Susanne Kaloff. Und startet einen Selbstversuch. 

Statt zu sabbeln, schweige ich neuerdings. Stille, weder Widerworte noch Zustimmung, keine Zwischentöne à la “total!”, “voll!“”oder “safe!” Nicht mal ein altmodisches Ah oder Oh. Es tut mir gut. Meine Mitmenschen verunsichert es.

“Bist du noch dran?”

“Ja.”

“Es war so still, dachte, du hast aufgelegt.”

“Nein, ich höre nur zu.”

Wenn das Gespräch in Person stattfindet, versuche ich hochkonzentriert, den Fokus zu halten, als wollte ich einen Vogel abschießen. Mein Telefon bleibt während des Treffens in der Tasche. Lautlos wie ich selbst.

Üben, üben, üben

Aber ganz gleich, ob am Handy oder live: Es braucht viel Praxis, um ohne Unterbrechung zuzuhören, ohne die Sätze des Gegenübers zu vollenden, zu korrigieren, zu interpretieren. Vielleicht, weil wir das nicht gelernt haben von unseren Eltern oder in der Schule.

Was die meisten Menschen jedoch offenbar immer besser draufhaben, ist das Senden. Als hätten sie einen technischen Defekt: Abschicken funktioniert reibungslos, aber beim Empfang hakt es irgendwie. Möglicherweise steckt auch die allgemein verminderte Aufmerksamkeitsspanne dahinter, die zur Folge hat, dass wir kaum noch Geduld aufbringen für Botschaften, die länger sind als ein gängiges Tiktok-Video (11–17 Sekunden), aber gleichzeitig das große Bedürfnis haben, uns zu entlasten via Mitteilung. Letzteres immer häufiger mithilfe von Sprachnachrichten, weil Quatschen vermeintlich weniger Energie verbraucht als eine Nachricht ins Handy zu tippen.

Sich alles von der Seele reden können ist wichtig, aber …

Das Entladen der inneren Monologe kann therapeutische Wirkung haben. Sind Freunde nicht genau dafür da? Um einem zuzuhören, wenn man sie braucht? Unbedingt. Problematisch wird es, wenn daraus kein Dialog entsteht, sondern ein Selbstgespräch.

Wie aber lernt man, den eigenen Redeanteil zu reduzieren, und was ist der Nutzen des verbalen Minimalismus? Erst mal braucht es den Vorsatz, sich für den Zeitraum des Gesprächs zurückzunehmen, es nicht zwanghaft am Laufen zu halten, indem man seinen Senf dazugibt. Denn hinter dem Drang steht häufig nicht nur ein Mitteilungsstau, sondern oft auch Angst vor unangenehmen Pausen.

Was sich recht schnell bei diesem Selbstexperiment einstellt, ist Stressabbau. Der Druck, wachsam aufzupassen, wann der eigene Einsatz kommt, um eine Weisheit zu droppen oder einen Klugscheißer-Kommentar in den Ring zu werfen, lässt nach.

Was Zuhören kann

Die Fähigkeit, tief zuzuhören trägt zur Verbesserung jeglicher Beziehungen bei. Man wird in jeder Lebensrolle empathischer: als Mutter, Partnerin, Tochter, Kunde, Chefin, Passagier, Liebhaberin.

Wir alle wollen gehört werden. Und im Grunde ist es leicht, die Person zu werden, die diesen Wunsch, dieses menschliche Grundbedürfnis stillt. Indem man zur Abwechslung einfach mal die Klappe hält, nicht unruhig rumwurschtelt, mehr Raum lässt für die Storys der anderen. Indem man anwesend ist im gegenwärtigen Augenblick, sich auf das Wesen gegenüber einlässt, ohne sofort Beispiele anzubringen aus dem eigenen Lebensrepertoire, um die Aufmerksamkeit flugs wieder auf die persönlichen Themen zu lenken. Und ohne ungefragt in einer zu frühen Gesprächs- und Reflexionsphase Lösungsansätze anzubieten.

Indem man die Selbstbeherrschung aufbringt, eine Erzählung weder kontrollieren noch manipulieren zu müssen. Nicht steuern zu müssen, was verraten, was verschwiegen, was ausgespart und was exploriert werden will. Und vor allem, indem man nicht ins Wort fällt wie ein Adler, der sich im Sinkflug auf die Beute stürzt.

“Wer hat hier das Sagen?”

Vielleicht geht es in Wahrheit selbst bei dem Dazwischenquasseln und der Fragerei nach den Details auch nur um einen einzigen egozentrischen Wunsch: Zuwendung. Reden hat auch oft etwas mit Dominanz zu tun, à la “Wer hat hier das Sagen?”.

Ein Weg, um mehr Mitgefühl – und somit ein besseres Ohr – zu entwickeln, kann Meditation sein. Ein zentrales Thema im Buddhismus besteht darin, Selbstsucht zu erkennen und zu reduzieren. Mirja Renner, praktizierende Lehrerin im Kadampa-Zentrum für Modernen Buddhismus in Hamburg, beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit Meditation. “Wer meint, dass seine inneren Prozesse nicht selbstsüchtig oder ichbezogen sind, kann sich selbst mal bewusst für ein paar Stunden zuhören: Wie viele der Gedanken enthalten die Wörter ,ich‘, ‚mein‘ oder ‚mir‘?”

In unserem Geist sind wir meist das Zentrum des Universums, genau diese Fehleinschätzung steht uns im Weg beim Zuhören. “Der daraus folgende Mangel an Wertschätzung anderer kommt auch in der Kommunikation zum Vorschein: Wir sind nicht wirklich bei der anderen Person. Wir werfen unsere Bemerkungen und Ratschläge nicht zum Wohle des Sprechers ein, sondern weil uns danach ist.” Die gute Nachricht jedoch sei: “Die Natur unseres Geistes ist klar, flexibel, friedvoll und offen.” Bevor man den Mund aufmacht, kann man auch immer mal wieder innehalten und sich selbst folgende Frage stellen: “Warum will ich das eigentlich sagen?” Möchte ich Wissenswertes vermitteln, Einblick in mein Innenleben geben, oder sehne ich mich in Wahrheit nach Beifall?

Die Sehnsucht, andere vollzutexten, um uns zu beweisen, lässt nach, je zufriedener wir mit uns selbst werden. Anfangs kann das unsere Mitmenschen irritieren. Keine Sorge, das gibt sich. Danach kehrt auf beiden Seiten Frieden ein.

Besser-Zuhören-Meditation (5-10 Minuten)

·  Aufrecht hinsetzen, Hände in den Schoß legen, Augen schließen.

· Für einige Atemzüge dem Atem folgen, im Moment ankommen.

· Dann entspannt, aber sorgfältig reflektieren: “Alle Lebewesen, genauso wie ich, möchten einfach nur glücklich sein, sich gehört fühlen usw.”

· Wenn sich aus Verständnis und Wertschätzung ein Entschluss entwickelt, z. B. “Ich werde alle durch richtiges Zuhören wertschätzen”, diesen mit Nachdruck im Herzen halten.

· Im Laufe des Tages immer wieder an den Entschluss denken.

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue