Sexuelle Belästigung: Wie sich diese Frauen zur Wehr gesetzt haben

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Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist für viele Menschen trauriger Alltag. Diese drei Frauen erzählen, wie sie sich gewehrt haben.

Wir haben die Leser:innen nach ihren Erfahrungen zum Thema sexueller Belästigung am Arbeitsplatz gefragt – und wie sie sich dagegen gewehrt haben. Hier stellen wir drei Frauen und ihre Geschichte vor, auf dass sie anderen Menschen, die sich ohnmächtig und ausgeliefert fühlen, Mut machen. Ihr seid nicht allein.

“Diplom-Kauffrau! Was ist denn das für ein neumodischer Quatsch?!”

“Meinen Abschluss machte ich in BWL als Diplom-Kauffrau 1984 in Berlin. Nachdem ich bereits seit zwei Jahren im Technologiezentrum des BMFT (Bundesministerium für Forschung und Technologie) als Werkstudentin gearbeitet hatte, war es für mich klar, in dieser aufstrebenden Branche weiterzumachen. Meine Wahl fiel auf einen großen Technologie-Konzern und dort auf den technischen Vertrieb des damals noch recht neuen PCs. 

Ich saß im letzten Gespräch mit meinem zukünftigen Vorgesetzten, der sich über meinen Abschluss mokierte: ‘Diplom-Kauffrau! Was ist denn das für ein neumodischer Quatsch?!’ Ich antwortete ihm, dass mich sechs Jahre Studium nicht zu einem Mann gemacht hätten. Das gefiel dem Macho. Mein Wunsch in den Vertrieb zu gehen, empfand er jedoch als höchst sonderbar: ‘Sie haben hier nur Kollegen. Das ist eine Männerdomäne. Die Kunden erwarten einen Mann, mit dem sie Verträge aushandeln.’ Er wies mit einer Geste auf das Großraumbüro ’19 Männer, was glauben Sie wie Sie aussehen, wenn die mit Ihnen fertig sind?’ Ich ließ mir den Schneid nicht abkaufen und entgegnete:

‘Was meinen Sie, wie die aussehen, wenn ich mit denen fertig bin?’

Abschließend ging es ums Gehalt, ich pokerte hoch, am Ende hieß es, nein, eine Frau, noch dazu eine so junge und in dieser Branche … Ich glaubte, verloren zu haben und fragte restlos entnervt: ‘OK, habe ich verstanden. Das Einzige, was ich noch immer nicht verstanden habe, ist, wozu genau man in diesem Job einen Penis benötigt. Können Sie mir das noch einmal kurz erläutern?’ Ich war sachlich und freundlich geblieben, obwohl alles in mir kochte und fluchte. Und dann sah er mich an und sagte: ‘Zeigen Sie mir jetzt Ihre cojones [Anm. f. Red.: spanisch für “Eier”]? Verdammt, wir probieren es mit Ihnen, Sie Großmaul! Sie haben den Job!’

“Na, wohin geht’s?”, fragte er mich erwartungsvoll

Ein halbes Jahr später kam der Abend, an dem ich mit einem Kunden essen gehen musste, bei dem ich damals die modernste PC-basierte Telefonanlage an eine große Bank verkaufte. Ein Millionenauftrag. Der Vertrag war noch zur Prüfung bei den Juristen des Kunden, ich konnte die Situation also gewinnen oder den Vertrag verlieren. Mein Chef meinte noch, dass Geld keine Rolle spielen würde und ich den Kunden bei Laune halten solle. Das Essen war nett, aber anstrengend, seine Avancen wurden mit der Zeit immer unverblümter. Irgendwann gab ich nach: Ich orderte ein Taxi, ich bezahlte, drückte dem Taxifahrer einen Zettel mit einer Adresse in die Hand und wir fuhren los. 

‘Na, wohin geht’s?’, fragte der Kunde erwartungsvoll. ‘Überraschung’, antwortete ich. Der Taxifahrer fuhr uns damals zum schönsten und teuersten Bordell der Stadt. Ich verabschiedete mich höflich und wünschte ihm einen schönen Abend. Die Enttäuschung war ihm ins Gesicht geschrieben. Ich gab ihm noch mit:

‘Wissen Sie, ich kann meinen Job ziemlich gut. Im Bett bin ich eine Niete, total langweilig. Die Damen hier, die können ihren Job und werden Ihnen einen unvergesslichen Abend bereiten. Die Rechnung geht auf mich.’

Gut, das Geschäft konnte ich dann wohl abhaken und meine Spesenrechnung wohl gleich mit. Auf dem Heimweg war mir heiß und schlecht, ich fühlte mich sehr unwohl. Irgendwie musste ich diese ‘Schlappe’ meinem Vertriebsleiter erklären. Am nächsten Morgen stand mein Kunde etwas übernächtigt, aber gut gelaunt im Büro. Unterm Arm hielt er den unterschriebenen Vertrag. Er sah mich verlegen an und sagte: ‘Ich muss mich in aller Form bei Ihnen entschuldigen. Ich war nicht fair zu Ihnen. Und ich bewundere Sie! Hier Ihr Vertrag und auf eine lange und gute Zusammenarbeit!’ Er ist mir nie wieder zu nahe getreten, unsere folgende, langjährige Zusammenarbeit war von Respekt und Freundlichkeit geprägt. 

“Es hat mich hart, wohlhabend und überheblich gemacht.”

Das sind nur zwei von vielen Episoden, die ich in meinen aktiven Vertriebsjahren zwischen 1984 und 1995 erlebt habe. Meistens ging es gut, einmal ging es beinahe schief. Ab und zu habe ich tatsächlich ein Geschäft verloren, nicht oft. Im Großen und Ganzen bin ich mit Männern immer gut ausgekommen, sie haben mich auch fast immer respektiert. Inzwischen bin ich aus dem Trophäenalter raus, das macht vieles deutlich entspannter. Klein bin ich immer noch und ich habe immer noch ‘Haare auf den Zähnen’. 

Es hat mich hart, wohlhabend und überheblich gemacht. Erst die zweite Heirat und drei Kinder konnten viele Verletzungen heilen, die der Vertrieb mir zugefügt hat. Selbstbestimmung ist mein Lebensthema geblieben. Ich entscheide, was, wann und mit wem etwas mit mir und meinem Körper passiert. Ich glaube, diese bedingungslose, radikale Abgrenzung hat mich mein Leben lang beschützt.”

“Ich würde mich immer wieder genau so verhalten und die Schwachen schützen”

“In meinen fast vierzig Berufsjahren habe ich bereits mehrfach mit dieser Art von Belästigung zu tun gehabt, trotzdem ist diese Geschichte, die vor ca. 20 Jahren stattfand, erwähnenswert. Vor einiger Zeit habe ich als kaufmännische Angestellte eines männlichen Geschäftsführers über den Feierabend hinaus mit ihm Gehaltsabrechnungen bearbeitet. Dabei legte er seine Hand auf mein Bein. Ich sah ihn an und sagte sehr bestimmt: ‘… und das kann ich überhaupt nicht leiden!’ Er entfernte wortlos seine Hand und wir beendeten die Arbeit. Geschichte zu Ende? Natürlich nicht.

“Weil es die Wahrheit ist!”

Kurz darauf ging ich in meinen Urlaub, fühlte mich aber verantwortlich gegenüber meiner damals 18-jährigen Auszubildenden und weihte sie kurz und sachlich ein, bot ihr auch an, mich in meinem Urlaub anzurufen, sollte etwas passieren. Nach zwei Wochen kam ich zurück und wurde als erstes in das Büro meines Chefs zitiert. Er zitterte und stand vor mir, seine Frau, die gelegentlich dort arbeitete, saß mit kalkweißem Gesicht daneben. Er herrschte mich an, warum ich erzählen würde, er hätte mich sexuell belästigt. Dabei hob er drohend den Arm und war augenscheinlich kurz vorm Überschnappen, als er meine klare Antwort hörte: ‘Weil es die Wahrheit ist!’

Ich hob meinen Arm abwehrbereit über meinen Kopf und blieb ruhig und stumm stehen. Was folgte, war die fristlose Kündigung. Ich rief noch vom Büro aus meine Rechtsberatung der Gewerkschaft an, deren Mitglied ich glücklicherweise war und verließ ruhig und erhobenen Hauptes die Firma, die ich in vielen Jahren Arbeit mit aufgebaut hatte.

“Ich habe nichts aus alledem gelernt.”

Während meiner halbjährigen Arbeitslosigkeit erfuhr ich, dass jener Chef wegen (finanzieller) Untreue von den Mitgesellschaftern des Amtes erhoben wurde. Wenige Tage später erhielt ich dann von den beiden Mehrheitsgesellschaftern ein schönes Angebot zum Wiedereinstieg mit Entschädigung, welches ich gerne annahm. Da er das Haus bewohnte, in dem auch die Büros waren, nahm ich kurzerhand jeden Tag meinen Hund zur Arbeit und wurde nicht belästigt. Er wurde beim späteren Prozess beim Arbeitsgericht für schuldig befunden – trotz seines tobenden Auftretens.

Die Auszubildende hatte übrigens in der Zeit meiner Arbeitslosigkeit meinen Job übernommen und kam nach meiner Rückkehr auch in der eilends neu gegründeten Firma gut unter. Ich habe nichts aus alledem gelernt und würde mich immer wieder genauso verhalten und die (vermeintlich) Schwachen schützen.”

“Trägst du gerade eine Hose?”

Seit knapp einem Jahr arbeite ich im HR-Bereich für ein skandinavisches Unternehmen, vorrangig von zu Hause aus.

Noch in meinen ersten drei Monaten hielt ich das erste Mal einen Remote Workshop für das Führungsteam, das hauptsächlich aus Männern besteht. Das Thema des Workshops war hybrides Arbeiten – kurze Zeit zuvor hatte ich zu dem Thema eine Umfrage an alle Mitarbeiter:innen des Unternehmens gesendet und habe zu Beginn des Workshops die Ergebnisse präsentiert, als Arbeitsgrundlage und Orientierung. 

Eine der Präsentationsfolien behandelte die Frage: ‘Was ich gut im Homeoffice finde.’ Als ich zum Punkt: ‘Ich kann bequeme Kleidung tragen’ kam, machte ich eine Bemerkung: ‘Ich werde nicht lügen, ich trage gerade eine Jogginghose.’ Ich wollte die Zuhörer:innen aufwecken, etwas Humor einbringen. Nur Sekunden später hob unser CEO, der ebenfalls am Workshop teilnahm, seine Stummschaltung auf und fragte: ‘Trägst du eine Hose?’ und lachte. Ich war völlig perplex. Was hatte ich da gerade gehört? War das wirklich vom CEO gekommen? Ich sagte schnell: ‘Ich trage Hosen’ und machte weiter.

“Ich fragte ihn, ob wir sicherstellen können, dass so etwas nie wieder vorkommt.”

Nachdem der Workshop vorbei war, rief mich meine Chefin an, um mich für den Workshop zu loben. Ich fragte sie, ob der CEO das gerade wirklich gesagt hatte und sie bejahte, bot an, mit ihm zu reden. Mein Ratschlag aus der HR ist stets, dass man die Dinge selbst in die Hand nehmen sollte und der erste Schritt ist für mich immer, ein Problem bei der Person selbst anzusprechen.

Also nahm ich meinen Mut zusammen – schließlich war ich noch sehr neu – und schrieb dem CEO eine Mail, in der ich mich für seinen Input bedankte und ihm mitteilte, dass ich es nicht wertschätze, in einem Meeting gefragt zu werden, ob ich eine Hose trage. Schon gar nicht vor der versammelten Führungsetage. Ich fragte, ob wir sicherstellen könnten, dass so etwas nie wieder vorkommen wird. 

Am nächsten Tag erhielt ich die Antwort: ‘Wir können definitiv sicherstellen, dass das nicht wieder passiert.’ Kein ‘Hallo’, kein ‘Tschüss’, geschweige denn eine Entschuldigung. Kein Eingeständnis, dass sein Verhalten unangebracht war oder dass es einer neuen Person in einem großen Unternehmen vielleicht schwerfällt, dem CEO so eine Mail zu senden. Ehrlich gesagt: Es hat mich nicht überrascht. Enttäuscht bin ich trotzdem. Sollte es nicht heutzutage leichter für Frauen sein, so etwas anzusprechen?”

Source: Aktue