Soziologische Emotionen: Was wirklich dahinter steckt, wenn andere dich beneiden

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Die meisten Menschen empfinden Neid als unangenehmes Gefühl. Manche Leute sind wiederum stolz darauf, wenn andere sie beneiden. Welche Funktion Neid in unserem Leben erfüllt und welche Rolle unsere Kultur dabei spielt.

Manche Menschen schämen sich, wenn sie andere beneiden, und einige möchten auf keinen Fall beneidet werden. Neid gehört in der Regel nicht zu den beliebtesten Emotionen. Robert Emil Lembke, ein erfolg- und einflussreicher Journalist des letzten Jahrtausends, prägte wiederum den Satz: “Mitleid bekommt man geschenkt, Neid muss man sich verdienen.” Ihm zufolge könnten wir also gar stolz sein, wenn uns eine Person beneidet. Neuere psychologischere Betrachtungsweisen bieten uns noch einmal andere Ansichten auf das verhasste Gefühl. 

Neid als Vertreter der Gerechtigkeit

Laut psychologischer Definition verspüren wir Neid, wenn andere Menschen etwas haben, an dem es uns mangelt. Geld, Autos, ein Snickers, Aufmerksamkeit, eine Tochter, Selbstvertrauen, schöne Haare oder Talent.

Die US-amerikanische Autorin und Emotionsforscherin Karla McLaren zählt Neid neben Eifersucht zu den “soziologischen Emotionen”: Sie entstehen aufgrund unserer Position in einem sozialen Kontext beziehungsweise lassen uns diese Position wahrnehmen und spüren. Neid, schreibt Karla McLaren bei “Psychology Today”, könne uns dabei helfen, uns und andere in eine vorteilhafte Lage in Bezug auf erstrebenswerte Güter zu versetzen. Ohne Neid seien wir ihr zufolge nicht dazu imstande, (Un-)Gerechtigkeit, (Un-)Gleichheit und (Un-)Sicherheit zu erkennen.

Pflegen wir eine gesunde Beziehung zu unserem Neidgefühl, motiviere es uns dazu, auf unsere Bedürfnisse einzugehen, so die Expertin. Das ermögliche uns, zu spüren, wenn wir genug haben, etwas nicht brauchen oder wollen. Ein gesunder Umgang mit unserem Neid führe dazu, dass wir uns zufrieden fühlen können. Im besten Fall lasse uns Neid laut Karla McLaren zudem sehen, was anderen zusteht. Er sei er daher eng mit Großzügigkeit verwandt.

Neid muss nicht wehtun: Wie Kultur und Erziehung unser Neiderleben beeinflussen

Wie und ob wir Neid erfahren, hängt womöglich nicht nur von unserer individuellen Verfassung und Position in unserem sozialen Kontext ab, sondern auch von der Kultur, in der wir leben. Die Psychologin und Professorin an der Cornell University Qi Wang berichtet bei “Psychology Today” von einem Experiment, das sie zusammen mit einer Kollegin mit zwei Gruppen von Schulkindern durchgeführt hat: Eine Gruppe war amerikanisch, die andere chinesisch. Die Kinder bekamen folgende Aufgabe:

Im Kunstunterricht lobt die Lehrerin dieses Kind, weil sein Bild das beste in der Klasse ist. Erzähl mir, was dann passiert. 

Die chinesischen Kinder erzählten mehrheitlich Geschichten, in denen Respekt und Bewunderung gegenüber dem betreffenden Kind im Vordergrund standen und die Möglichkeit, sich an ihm zu orientieren und ihm nachzueifern: “Die anderen Kinder in der Klasse bejubelten es” und “Die Lehrerin sagte, wir sollten von ihm lernen” hieß es häufig. 

Die amerikanischen Kinder hingegen sahen es nicht als bewunderns- oder erstrebenswert, das Kind mit dem besten Bild zu sein, im Gegenteil: “Die anderen Kinder sind neidisch auf sie”, “Sie taten fiese Dinge und sperrten ihn im Schrank ein”, “Sie sagten zu ihr ‘wir wollen nicht mehr mit dir spielen'” waren in den Geschichten der amerikanischen Gruppe typische Motive.

Während die chinesischen Kinder Neid – sofern davon überhaupt die Rede sein kann – als etwas Konstruktives und Motivierendes betrachteten, durch das wir wachsen können, stellte ihn die amerikanische Gruppe als etwas geradezu Monströses dar. Etwas, das uns fies werden lässt und zu Rache und Ausgrenzung motiviert.

Gewiss können wir von Kindern nicht unbedingt auf Erwachsene schließen und von zwei Stichproben nicht auf ganze Kulturen. Was uns das Experiment aber auf jeden Fall zeigt – außer der Tatsache, wie abhängig menschliche Wahrnehmung und Vorstellungskraft von eigenen Umfeld sein können: Dass wir unterschiedlich mit Neid umgehen können.  

Verdient oder nicht: Ist es erstrebenswert beneidet zu werden?

In der Regel sagt Neid mehr über die Menschen aus, die das Gefühl empfinden, als über die Person, auf die er sich richtet. Schließlich wird er vorwiegend davon ausgelöst, was sie erleben und wahrnehmen, und nicht von der Person selbst. Wenn zum Beispiel ein Mensch nie über seine Probleme spricht oder verschweigt, wie viel Schmerz er aushalten muss, sehen andere lediglich, was gut bei ihm läuft. Sie könnten ihn dann beneiden, obwohl der Mensch sich in Wahrheit schlecht fühlt und gerne teilen würde, was ihn belastet – es aber aus nicht kann. Dass dieser Mensch stolz wäre, beneidet zu werden, ist zu bezweifeln. Womöglich würde er lieber bemitleidet. 

Wer hingegen stolz darauf ist, um was ihn andere beneiden, hat vermutlich dafür gute Gründe und und ein Recht auf seinen Stolz. Robert Lembke traf mit seiner eingangs zitierten Aussage einen wichtigen Punkt: Neid kann man sich verdienen. Gerade in einem Umfeld mit einer konstruktiven, gesunden Neidkultur könnten wir es sogar als ehren- und erstrebenswertes Ziel betrachten, bei anderen Menschen Neid auszulösen: Weil er sie inspirieren und motivieren kann. Weil er Wunsch und Bemühung um Gerechtigkeit fördert, nicht aber den Gedanken an Rache und Sabotage. Wenn wir uns aber eher für unseren Neid schämen und Angst davor haben, beneidet zu werden, spricht das nicht unbedingt dafür, dass wir eine konstruktive Neidkultur pflegen. Wobei das auch wieder an unserem Schamverhältnis liegen könnte … 

Source: Aktue