Statt zu schweigen: Anpacken, fragen, da sein: Trauernde brauchen keine Samthandschuhe

Aktuel

Wut, Erleichterung, Traurigkeit, Freude: All das ist Trauer. Was Trauernden hilft, ist jemand, der den Mut hat, das auszuhalten. Unsere Autorin hat mit einer Frau gesprochen, die sich damit auskennt. Sie ist Bestatterin.

Auf der Suche nach Antworten auf meine Frage, wie wir den Tod anders in unser Leben integrieren können, als nur schwarz, düster, traurig, und was Menschen, die jemanden verloren haben, hilft, habe ich Bettina Strang getroffen. Sie arbeitet beim Trostwerk Hamburg. Einem Bestattungsinstitut, das individuelle Abschiede gestaltet und begleitet. 

Es war für mich ein ganz besonderes Gespräch, das meine Sicht auf das Abschiednehmen verändert hat. Der Besuch im Trostwerk und bei Bettina fühlte sich warm und tröstlich an. Besonders beeindruckt hat mich der respektvolle Umgang mit den Verstorbenen, die Wertschätzung für das Leben und das Selbstverständnis, für den:die Verstobene:n genauso wie für die Hinterbliebenen einen Abschied zu gestalten, der passt, der hilft, der tröstet. 

Was brauchen Trauernde am meisten, habe ich Bettina gefragt. Hier kommen ihre Antworten. 

Trauer ist Bestandteil des Lebens

Menschen, die trauern, erleben oft das Gegenteil von dem, was sie eigentlich bräuchten. Samthandschuhe, Sätze, die nicht trösten oder nach einer gewissen Zeit eine Ungeduld, wenn man die Trauer noch immer nicht überwunden hat.

Menschen, die trauern, sind nicht 24 Stunden am Tag traurig. Sie können trotzdem lachen, gehen vielleicht auch gerne mal weg, sind dabei aber vielleicht schneller erschöpft. Sie sind darauf angewiesen, dass man nicht schockiert zur Seite weicht, wenn ihnen plötzlich mal die Tränen kommen. Trauer ist Bestandteil des Lebens und deswegen ist jemand nicht völlig außer Funktion und auch nicht therapiebedürftig. Das, was da ist, darf sein.

Als meine Großeltern starben, wurden auf der Trauerfeier alte Geschichten hervorgekramt und erzählt. Was haben wir gelacht! Über die Eistorte, die mein Opa zum Kaffeeklatsch versehentlich aufgetaut hatte oder über meine Oma, die so wunderbar über sich selbst lachen konnte und damit den ganzen Raum zum Beben brachte. So wollte ich sie in Erinnerung behalten, mit all ihren Macken und Makeln. Und dann haben wir geweint, und dann wieder gelacht. 

Trauer ist nicht nur Traurigkeit; sie ist eine Parallelität: Ich bin traurig, ich spüre Schmerz, Wut oder Ohnmacht, vielleicht sogar gar nichts. Trotzdem erlebe ich Freude, etwas Erfüllendes oder etwas, das mich berührt, was mir gerade guttut und was mich tröstet.

Lieber fragen, statt schweigen

Weil der Tod und Trauer noch immer im dunklen Zimmer verhandelt und sie selten im hellen Tageslicht gezeigt werden, machen sie uns so hilflos, unbeholfen und sprachlos. Das Gefühl nicht die richtigen Worte zu finden, aber doch unbedingt trösten zu wollen, sich deshalb mit platten Sätzen zu behelfen, die am Ende leider niemandem helfen, kenne ich. Bettinas Antwort, auf meine Frage, was Trauernde wirklich brauchen, ist einfach: Da sein, zuhören und anpacken. 

Auch wenn man unsicher ist: lieber ansprechen, als gar nichts zu sagen. Oft sei das schon der erste Icebreaker, zu sagen “Ich bin hilflos, aber ich möchte irgendwie zum Ausdruck bringen: Ich sehe dich.” Sich in einem Umfeld zu bewegen, wo alle einfach weitermachen, sei oft viel scheußlicher. Man müsse keinen Trost haben, aber offen sein für die Trauer des anderen. Wir unterschätzten oft, wie gut es Trauernden tut, wenn Menschen sich gemeinsam erinnern. Was hingegen gar nicht hilft, seien gut gemeinte Sätze, wie “Jetzt ist er ja erlöst”, “Sie war doch schon so alt”, oder noch schlimmer “Ihr habt doch noch zwei Kinder”. Die Intention sei nett, aber es gehe komplett an dem Gefühlszustand der Person vorbei. 

Kann ich dir was aus dem Supermarkt mitbringen?

Laut Bettina ist einer der schlimmste Sätze, die man zu trauernden Menschen sagen kann, ist: “Melde dich, wenn du was brauchst.” – “Die Leute melden sich nicht!” sagt die Bestatterin. Besser: Gerade in den ersten 14 Tagen einfach machen: Anbieten einzukaufen, zu kochen, die Kinder zu übernehmen, für banale, alltägliche Dinge sorgen. Es ist für Betroffene viel leichter zu sagen “Danke, dass du mir das anbietest. Das möchte ich gerade gar nicht”, als darum zu bitten.

Streit, Liebeskummer, Frust: Wir brauchen Raum, um sagen zu können, was ist

Das betrifft nicht nur Menschen, die jemanden verloren haben. Frustration im Job, Liebeskummer, Streit. Für all das brauchen wir einen Raum, in dem wir sagen können, wie beschissen alles ist, wo wir verzweifelt oder wütend sein können. Und gleichzeitig brauchen wir das Vertrauen unseres Gegenübers in unsere Kraft und Stärke, weiterzumachen. Es braucht nur ein Ohr, ein Aushalten, ein Uns-einander-zumuten.

“Ich bin so sauer, dass ich jetzt mit diesem ganzen Mist alleine bin.”

Trauern ist ein Prozess des sich Verabschiedens und des neu Sortierens. Wenn jemand in meinem Leben fehlt, müssen wir erstmal wieder lernen, wie wir dieses Leben ohne diesen Menschen organisieren? Fülle ich Lücken oder eben auch ganz bewusst nicht? 

“Ich habe mal einen Witwer bei mir gehabt, bei dem während des ganzen Bestattungsprozesses die Traurigkeit im Vordergrund stand. Als er zum Abschlussgespräch kam sagte er: Ich bin so sauer, dass ich jetzt mit diesem ganzen Mist alleine bin und mich um alles kümmern muss, um das Haus und die Formalitäten. Und zu der Wut kam dann Scham, weil man doch nicht sauer sein darf, wenn man seine Frau verloren hat.” Doch! Man darf auch sauer sein. Auch das ist Trauer, sagt Bettina.

Genauso wie Erleichterung in Familien, die lange gepflegt oder Sterbebegleitung geleistet haben. Das sei irre anstrengend und die meisten Menschen erleben, dass sich in der Zeit alle nach der Person erkundigen, die krank ist aber gar nicht nach den Menschen, die ebenso, wenn auch anders betroffen sind. Mit dem Tod setze automatisch ein riesengroßes Gefühl der Erleichterung ein. “Da fällt der ganze Stress erst mal von einem ab und das ist normal. Und sie spüren trotzdem genauso den Schmerz und die Traurigkeit.”

Trauern um das, was man nie hatte

Was auch oft übersehen werde, sagt Bettina, ist die Trauer um Menschen, zu denen man nicht die beste Beziehung hatte. 

Eine Facette der Trauer kann dann sein, Dinge zu betrauern, die man nicht hatte, die vielleicht hätten sein können, die aber jetzt nicht mehr wahr werden können. Wenn man sich fragt, wieso weint sich hier jemand die Augen aus dem Kopf oder ist so angefasst, obwohl eine Mutter gestorben ist, mit der man 25 Jahre keinen Kontakt hatte? Da brechen oft ganz viele Dinge auf.

Keine Angst vor den Gefühlen der anderen

Wir dürfen uns Trauernden mehr aufdrängen, Hilfe anbieten oder einfach zu Teil werden lassen. Schließlich kennen wir das auch von uns: Die wenigsten würden anrufen und fragen, ob jemand etwas für einen einkaufen oder kochen kann. Und wir dürfen uns einander zumuten und uns aushalten. Alles ist besser als schweigen und so zu tun, als wäre nichts gewesen. 

Bettina Strang arbeitet als Bestatterin für das Trostwerk Hamburg, das individuelle, lebensfreundliche Abschiede anbietet. Das Trostwerk sieht sich jedoch nicht nur als Begleiter während der Anfangszeit, sondern setzt sich für eine neue Trauerkultur ein, die den Tod nicht länger aus dem Leben drängt. Stattdessen soll sie die Trauernden dazu ermutigen, gerade im Angesicht des Todes die eigene Lebendigkeit neu zu entdecken.

Source: Aktue