Unangenehme Fragen: Was haben ich und die Frauen, die diese Generation erzogen haben, Kindern vorgelebt?

Aktuel

Männer missbrauchen Macht und Frauen sind die (machtlosen) Opfer. So weist es die Statistik aus. Aber ist das tatsächlich so? Lasst uns mal eine provokante These in den Raum stellen. 

Wir schreiben das Jahr 2023 und die Berichte über Belästigungen, Machtmissbrauch und geschlechterbezogene Diskriminierungen reißen nicht ab. 

Nicht nur aus Beichtstühlen und Sportumkleiden, auch aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur, Verwaltung und Lehre, aus Büros und von Werkbänken und Tresen häufen sich die Berichte über missbrauchte Macht. Meist wird die Macht von Männern missbraucht und meist sind Frauen von Machtmissbrauch betroffen. So ist zumindest mein Eindruck aus der Berichterstattung der letzten Jahre.

Sind Männer also grundsätzlich Schweine, wie ein Song der Punkband “Die Ärzte” aus den 90ern behauptet? Oder macht Gelegenheit Diebe? In diesem Fall Machtmissbrauch-Täter?

Tatsache ist, dass auch 2023 Machtpositionen noch überwiegend in Männerhänden liegt. In Deutschland waren 2022 nur 28,9 % der Führungspositionen von Frauen besetzt. Wobei sich die Frauenanteile in den einzelnen Berufsgruppen seit Anfang der 1990er-Jahre nur wenig verändert haben.

Eigentlich logisch, dass, wer keine Macht hat, diese auch nicht missbrauchen kann.

Aber sind Frauen tatsächlich machtlos?

Zu den Berufsgruppen, in denen Frauen seit Jahrzehnten sowohl den Großteil der Führungspositionen als auch den der Beschäftigten stellen, gehören Tagesmütter, Erzieherinnen, Hortnerinnen und Grundschullehrerinnen. Der Männeranteil in diesen Berufsgruppen ist mit aktuell 7.9% bei den Erziehern (Tendenz steigend) und 12% bei den Grundschullehrern (Tendenz fallend) sehr gering.

Rechnet man dazu, dass Väter nach den statistischen zwei Monaten Elternzeit die Erziehung für die verbleibenden Monate bis Tagesmutter oder die Erzieherin in der Kita übernehmen, den Müttern überlassen, werden Kinder seit Jahrzehnten von der Geburt bis zum Ende der Grundschulzeit überwiegend von Frauen erzogen.

Frauen erziehen also die Männer (und Frauen), die Macht missbrauchen und die Frauen (und Männer), die von Machtmissbrauch betroffen sind? Autsch!  

Nein, das soll jetzt keine Viktimisierung werden. Auch ich bin eine dieser Frauen.

Zeit für ein paar unangenehme Fragen

Ich gehe jetzt von mir aus, denke aber, dass es bei den meisten Müttern so gewesen sein dürfte: Absicht war es nicht. Wer würde sich schon ernsthaft wünschen, dass die eigenen Töchter Opfer unter Machtmissbrauch leiden?

Vielleicht Schlamperei – im Sinne von: Nicht richtig nachgedacht? Ja, den Stiefel muss ich mir definitiv anziehen. Sicher, ich habe meinen Kindern auch Astrid Lindgren Bücher vorgelesen, aber es gab auch viele Disney-Prinzessinnen-Filme, Barbies, Mangas, Super- Spider- und andere Hollywood-Helden-Geschichten und Ähnliches, die meine Kinder völlig unkritisch konsumierten. Weil ich es nicht hinterfragt und nicht zum Thema gemacht habe. Chance verpasst.

Viel kritischer als die wöchentliche Eisprinzessin-Frauenrollen-Dosis sehe ich heute aber die täglichen Dosen an Rollenklischees, die alte Schulbücher ganz selbstverständlich jeden Tag ins kindliche Unterbewusstsein betoniert haben.  

Ha! Schuldige gefunden? 

Nein. Förderlich für ein modernes Frauen- und Männerbild, sind diese Geschichten sicher nicht aber, ganz ehrlich, Kinder sind nicht dumm. Sie können sehr gut unterscheiden, was Geschichten sind und was das echte Leben. Hexen, sprechende Hunde und Superhelden gehören nicht dazu. Mama und Papa schon.

Was habe also ich, was haben die Frauen, die diese Generation erzogen haben, ihren Kindern vorgelebt?

Die Idee der Gleichberechtigung, die hatten wohl die meisten, aber an der auch nur halbwegs konsequenten Umsetzung hat es in den vielen Familien noch gefehlt. Und tut es, meiner Meinung nach, immer noch zu oft.

Ja, wir mussten keine Männer mehr um Erlaubnis bitten, wenn wir arbeiten wollten. Wir haben uns freiwillig, sobald Kinder da waren, durch einen Halbtagsjob in Abhängigkeit begeben. Hat man uns gezwungen? Nein. Es wurde erwartet. Wir haben es von uns erwartet. Es war der Weg mit dem geringsten Diskussionsbedarf nach innen und nach außen. Bequem halt.

Ganz ehrlich? Ohne schönreden?

Was bringt es, wenn wir unseren Töchtern ERZÄHLEN, dass Ausbildung und ein selbstbestimmtes Leben wichtig sind, dass ihnen als Frauen alle Türen offen stehen, dass sie sich nichts gefallen lassen sollen und müssen, wenn wir es ihnen ganz anders VORGELEBT haben. 

Wenn unsere Töchter und Söhne erlebt haben, wie wir uns zurückgenommen, (Männer-)Rücken freigehalten und Care-To-Dos, die wir aus alter Gewohnheit unreflektiert an uns gerissen haben, abgearbeitet haben?

Wann hat eine von uns tatsächlich einmal laut Stopp gesagt? Das mache ich. Das mache ich anders. Das mache ich nicht. Das lasse ich nicht mit mir machen. Hier ist meine Grenze! 

Wie oft haben wir dann doch, wie wir es von unseren Müttern kannten, versucht, unsere Ziele mit leiseren Tönen, ein bisschen Manipulation hier, etwas männlichem Ego-Streicheln da und geschicktem Taktieren zu erreichen. Funktionierte ja auch recht oft. Aber das ist feige. Und kein bisschen gutes Vorbild. Nicht für unsere Töchter und nicht für unsere Söhne. 

Selbst schuld? Gut so!

Warum diese Beißhemmung? Als ich vor Jahren das Buch “Das dämliche Geschlecht” (Ja, die Frauen sind damit gemeint) von Barbara Bierach in die Hände gedrückt bekommen habe, habe ich mich in sehr vielen Anklagepunkten schuldig gefühlt. Es ist ein Appell an Frauen, sich nicht in der Rolle des passiven Opfers einzunisten. Ja, dann sind wir halt mal unbequem. Dann machen wir uns halt mal unbeliebt mit unserer Meinung. Dann mag uns eben ein Kollege/Nachbar/Partner/Kind mal (vorübergehend) nicht. Und ja, dann müssen wir auch die Verantwortung für ein Projekt übernehmen, dass wir in den Sand gesetzt haben. Selbst schuld? Gut so!  

Das müssen wir endlich lernen. Und unseren Töchtern vorleben. Nur so können und werden auch unsere Söhne und die Männer von Morgen lernen (können), Frauen-Meinungen ernst zu nehmen. 

verwendete Quellen: ZDF, Antidiskriminierungsstelle, Bundesministerium für Familie, Statista, nifbe, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Bevölkerungsforschung aktuell

Source: Aktue