Unsichtbare Arbeit: Weiblich – und nicht belastbar? Wie Emotional Load Frauen ausbeutet

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Frauen tragen einen Großteil der emotionalen Last in unterschiedlichsten Beziehungen. Gefühle aufnehmen, ausgleichen, managen – ja. Aber selbst rauslassen und eigene Grenzen setzen – nein. Warum das eine gefährliche Falle ist und wie wir da rauskommen.

Sie sorgen für Familienfrieden, haben ein Ohr für Oma, begleiten ihr Kind durch Wut und Traurigkeit, gehen zum Krisengespräch in der Schule. Frauen sind die Emotionsmanagerinnen in der Gesellschaft und in Beziehungen. Ständig zuständig. Das Tückische ist: Das emotionale Kümmer-Programm, das ihnen seit Kindheitstagen eingegeben ist, läuft größtenteils im Hintergrund ab. Was aber irgendwann an die Oberfläche tritt, ist Erschöpfung. Und damit oft auch die Frage: Wovon bin ich eigentlich so fertig?  

Frauen erkranken häufiger an Depressionen als Männer, sind oft von Kopfschmerzen betroffen oder leiden unter Schlafstörungen. Für diese Beschwerden kann es natürlich viele Auslöser und Gründe geben. Aber sind Frauen vielleicht auch schneller überfordert als Männer? Hält es nicht so viel aus, das vermeintlich schwache Geschlecht? Das zumindest wird ihnen gerne unterstellt – und manchmal denken sie es auch von sich selbst. “Nein”, sagt Susanne Mierau, Diplom-Pädagogin, Feministin und Autorin des Buches “Emotional Load – Wie Mütter frei von emotionaler Überlastung werden”. Im Gegenteil. Frauen trügen häufig mehr mentale und emotionale Lasten. Lasten, die sie sogar selbst manchmal nicht richtig greifen und beschreiben können. Susanne Mierau wundert das nicht: “Das Wissen darum, dass die weibliche Psyche besonders belastet ist, wurde lange ignoriert und in Medizin und Psychologie gibt es weiterhin zu wenig Forschung, die wirklich auf Frauen eingeht.”

Schnell gereizt und überfordert – typisch weiblich, oder?

Erst seitdem der Begriff Mental Load, also die unsichtbare Denkarbeit rund um das Organisieren von Alltagsaufgaben, populär wurde, setzt nach und nach ein Bewusstsein für die unbezahlte, geistige Arbeit der Frauen ein. Wie bei einem Eisberg sehen wir dabei von außen nur die kleine Spitze, also die sichtbaren Aufgaben des Tages. Das ständige Grundrauschen mentaler und eben auch emotionaler Pflichten der Frauen bleibt verborgen. 

Das führt dazu, dass Frauen ihre Überlastung, Erschöpfung, ihre Kopfschmerzen und ihre Müdigkeit oft auf sich selbst und ihre mangelnde Leistungsfähigkeit projizieren. Schließlich heißt es auch von außen gerne: “Warum ist die denn so schnell gereizt und überfordert?” Susanne Mierau: 

Auf der einen Seite wird uns schon in der Kindheit vermittelt, dass wir Frauen für ganz viel zuständig sind, auch emotional. Und auf der anderen Seite werden diese Leistungen nicht wertgeschätzt. Der ganze Care-Arbeit-Komplex ist ja etwas, für das es keine Anerkennung gibt. Deswegen haben Frauen das Gefühl: ’Ich mache ja eigentlich gar nichts. Wovon sollte ich denn dann erschöpft sein?‘’

Das bisschen Trösten und Zuhören?

Mangelnde Sichtbarkeit und fehlende Anerkennung gehen also Hand in Hand. Wer einen Stein von A nach B schleppt, hat Arbeit verrichtet. Wer einen Geldschein nach Hause bringt, auch. Aber trösten, zuhören, vermitteln – ist das Arbeit? Kann das anstrengend sein? 

Natürlich spüren Frauen, wie auslaugend es ist, ein Kind durch einen herausfordernden Tag zu begleiten. Sie wissen, wie viel Kraft ein konfliktreiches Partnerschaftsgespräch oder das Schlichten von Familienstreit kosten. Vor allem in ohnehin fordernden Phasen wird diese Last schnell zum emotionalen Overload. Etwa in der Mutterschaft, wenn große kindliche Gefühle begleitet werden wollen, wenn viele Erwartungen von außen sowie multiple Zuständigkeiten auf Frauen einströmen.

Doch ein Irgendwie-anstrengend-Gefühl ist noch kein Fakt. Um die Belastung sichtbar zu machen, ist es deshalb wichtig, die emotionale Arbeitsleistung zu benennen. Susanne Mierau empfiehlt, die emotionalen Aufgaben eines Tages mit dem Partner oder der Partnerin beispielhaft durchzugehen: Morgens die (wütende) Müdigkeit des Kindes begleitet. Danach die Mutter bei einem Problem unterstützt. Später ein schwieriges Schwiegerelterngespräch zur Wahrung des Familienfriedens geführt. Nach der Schule ein trauriges Kind aufgefangen… Und wie sieht die Tagesliste beim Gegenüber aus?

Emotional Load Cover
“Emotional Load – Wie Mütter frei von Überlastung werden” von Susanne Mierau, 22,00 Euro, erscheint am 22.02.2025 im Beltz Verlag.
© PR

Emotionale Dienstleisterinnen von klein auf

Eine solche Bestandsaufnahme kann Verständnis in Partnerschaften fördern, aber kann sie auch Veränderung bringen? Können Frauen aus dem tief eingegebenen Verantwortungsgefühl, für alles rund um Beziehungen, Gefühle, Familienklima und Co. zuständig zu sein, ausbrechen?  

Um dem Anspruch der Frau als emotionale Dienstleisterin zu entkommen, brauchen Mädchen einen Wandel, der bereits in der frühen Erziehung ansetzt. Denn während den Jungs aus dem Emotionsrepertoire vielfach die Wut vorbehalten ist, galten Mädchen lange als grundlegend gefühlsbetonte Wesen, die sich eben gerne um alle anderen und ihre emotionalen Bedürfnisse kümmern. Ein Geschlechterklischee mit Folgen: Mädchen lernen, dass sie für die Gefühlswelt anderer zuständig sind. Sie sollen Stimmungen aufnehmen, Emotionen begleiten, abpuffern, für Harmonie sorgen. Und das tun sie häufig sogar auf Kosten des eigenen Wohlgefühls.

Laut Studien täuschen beispielsweise die meisten heterosexuellen Frauen mindestens einmal in ihrem Leben einen Orgasmus vor. Oder sie geben alles für die Befriedigung des Mannes, ohne auf ihr eigenes Erleben zu achten. Hauptsache, der andere hat ein gutes Gefühl. Auch das sei Emotional Load, betont Susanne Mierau in ihrem Buch. Und er ist so selbstverständlich mit dem Weiblichen verbunden, dass Frauen, die den emotionalen Forderungen ihrer Umwelt nicht nachkommen, die ihre Bedürfnisse und Belange nicht vernachlässigen, irritieren. 

Manchmal sogar sich selbst: “In der Menopause, wenn Frauen aus dem Nestbau heraustreten, mehr ins Ich kommen und plötzlich auch mal ‘Nein’ sagen, heißt es manchmal: ’Was ist denn mit dir los? Du hast dich doch immer gekümmert, immer gemacht.’ Viele Frauen denken dann: ‘Oh Gott, es liegt an mir. Ich muss jetzt irgendwas nehmen, damit ich wieder sanfter bin.’ Sie sehen nicht, dass das ein normaler Prozess ist und es eigentlich auch gut ist, dieses starke Nein hervorbringen zu können.”

Raus aus der Belastungsfalle

Für Susanne Mierau müssen Frauen sich im ersten Schritt bewusst machen, dass es Emotional Load überhaupt gibt und dass emotionale Arbeit etwas ist, das sie jeden Tag leisten.” Und dann können sie Schritt für Schritt das Nein üben.” Dabei kann beispielsweise eine Not-to-do-List helfen. “Statt zu fragen, was wir alles machen müssen, schauen wir einfach mal, was wir alles streichen können. Dann geht es eben nicht zum Dinner mit den Schwiegereltern, wenn es mir Kraft raubt, die ich anderswo besser einsetzen kann.” 

Die eigenen emotionalen Grenzen kennenzulernen, ist dafür essenziell. Denn oft würden Frauen aufgrund ihrer Prägungen auch bei großer emotionaler Belastung noch sagen: “Eigentlich mache ich das ja auch alles gern. Ich bin eben ein sozialer Typ.” Doch jeder Mensch hat nur ein bestimmtes emotionales (Tages-)Kontingent. Und aus dem Leeren kann auch die routinierteste Emotionsmanagerin nicht schöpfen. 

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