Frauen sind geborene Multitaskerinnen? Das hören wir doch gern. Dabei dient dieser Mythos lediglich dazu, dass wir mehr arbeiten, weiß die dänische Feministin Emma Holten.
“5×5?” Eben noch kurz das Fenster putzen, wisch, quietsch, wisch, “3+22?”, während man mit dem Kind, “12×6?”, rechnen übt.
Parallel zur Video-Konferenz, “Darauf müssen wir künftig stärker achten”, schnell noch die liegengebliebenen Mails, “Sehr geehrte Frau Hummel, vielen Dank für Ihre …” abarbeiten.
Die Rezepte für die Abendeinladung – Thunfisch, Tomatenallerlei, Tiramisu raussuchen, während man am Telefon den Impftermin “7 Uhr würde besser passen” klarmacht.
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Wie gut, dass wir Frauen multitaskingfähig sind – wir würden unser Leben sonst nie schaffen, aber das Leben uns! Vollkommen berechtigterweise werden wir für unsere Fähigkeiten gelobt, und wir loben uns auch selbst gern dafür: Wir sind viel besser als Männer in der Lage, alle Bälle in der Luft zu halten und mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen. Das zumindest wird behauptet. Doch wir müssen jetzt ganz stark sein, denn die Wahrheit ist: Dass Frauen Multitasking können und Männer nicht, stimmt nicht. Was nach Mastermind klingt, ist ein Mythos. Es gibt keine wissenschaftlichen Belege dafür.
Als Frauen zu Hause und im Job arbeiten sollten, verlieh man ihnen kurzerhand Krakenarme
Aber warum glauben wir dann an die Mär der Multitaskerin? Die dänische Feministin Emma Holten, 34, Mitglied des Sachverständigenforums am “Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), erklärt das so: “Als die Männer aus Zweiten Weltkrieg zurückkamen, wollten sie die Frauen im Haus haben. Es gab eine Rückkehr zu konservativeren Idealen, selbst das Korsett kam wieder. Das war die Ära, in der Frauen als dumm galten.” In den Sechziger- und Siebzigerjahren sollten sie dann nicht mehr nur hinterm Herd stehen, sondern auch “ihren Mann” am Arbeitsplatz. Damit sie alles schaffen – Haushalt und Job –, verlieh man den Frauen kurzerhand Krakenarme und dichtete ihnen Multitasking-Fähigkeiten an. Plötzlich war die Frau sogar schlauer als der Mann.
Trotzdem hat das Bild der Multitaskerin nicht zu mehr weiblicher Macht geführt. Denn wenn man wirklich glaubt, dass Frauen die einzigartige Fähigkeit besitzen, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, müssten sie an der Spitze eines jeden Unternehmens stehen. Dass dies nicht der Fall ist, liegt laut Holten daran, dass die Multitaskerin letztlich gar nicht respektiert wird: “Multitaskingfähig zu sein, ist ein vergiftetes Kompliment, denn es dient lediglich dazu, dass wir mehr arbeiten.”
Die Macht der Wirtschaft über unser Selbstbild
Der Mythos der Multitaskerin zeige sehr gut, “dass die Art von Sexismus, der Frauen ausgesetzt sind, viel damit zu tun hat, was in der Wirtschaft gerade gebraucht wird – und wie sich der Status der Frau mit ihrer wirtschaftlichen Rolle ändert”, so Holten weiter zu BRIGITTE. Die Expertin erwartet, dass das auch in naher Zukunft so bleiben wird: Wenn Frauen nicht mehr so sehr gebraucht werden, weil wir in eine Rezession rutschen, werden wir nur eine andere Form des Sexismus erleben. Das Gleiche gilt übrigens für Männer: Aktuell sollen Frauen mehr arbeiten, weil sie besser ausgebildet sind und Fachkräfte fehlen – und plötzlich haben wir die Vision des Mannes als fürsorgliche Person, der wir mehr Zeit für die Familie einräumen müssen.
Die Forschung zum Thema hat übrigens gezeigt: Multitasking ist extremer Stress für das Gehirn und lässt Menschen ausbrennen, und zwar unabhängig vom Geschlecht. Und weil es immer noch die Frauen sind, die neben dem Job das Gros der Care-Arbeit erledigen (der Gender-Care-Gap beträgt 44,3 Prozent), ist das ein wichtiger Grund, warum das Leben uns manchmal so schafft.
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