Von der Volkswirtin zur Künstlerin: "Ich lebe das Leben, das meiner Mutter verwehrt war"

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BRIGITTE.de-Leserin Marina Büning war früher Volkswirtin, heute lebt sie als Künstlerin in Italien. Wie hat sie ihren Weg gefunden?

“Zum Künstler muss man geboren sein, entweder man hat Talent oder keines.” Ich höre noch die Stimme meines Vaters, wie er über jene Menschen sprach, die er als “verkrachte Künstler” bezeichnete, also all jene, die keinen Erfolg hatten mit ihrer Kunst.

Ich gehörte nicht zu den Auserwählten

Mir war klar: Ich gehöre nicht zu den Auserwählten mit dem großen Talent. Was ich so als Jüngste von fünf Kindern vor mich hin bastelte, wurde gar nicht wahrgenommen. Doch meine Mutter nahm mich mit zu Kunstausstellungen, und so lernte ich von klein auf, Kunst zu lieben und wertzuschätzen. 

Meine Mutter war eine elegante, unkonventionelle Frau und Kunst war ihre Leidenschaft. Ihre Kreativität lebte sie aber nur im Kochen und Schneidern aus. Ende der Zwanziger Jahre wollte sie Keramik studieren, doch ihr Vater war dagegen. Sie musste eine landwirtschaftliche Lehre machen. Das fand sie fürchterlich. 

Bei meiner Lebensplanung setzte ich auch auf Nummer sicher

Ich setzte in meiner Lebensplanung ebenso auf Nummer sicher. Ich wollte etwas “Ordentliches” machen und studierte Volkswirtschaft. Dieses Studium interessierte mich nicht im Geringsten, aber ich zog es durch und machte sogar einen ganz guten Abschluss. Danach landete ich in der Steuerabteilung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Ich bewunderte meine Kolleginnen, die morgens um halb acht schon den passenden Lippenstift zu ihren Schuhen trugen. So viel Perfektionismus war mir nicht gegeben. Ich verletzte permanent den Dresscode, denn es waren Blazer und weiße Blue angesagt – ich aber kam im roten Pullover mit blaurotem Schottenrock. 

Ich kämpfte mich durch meinen Wirtschaftsprüfungsalltag in der Annahme, dass ich nach meiner Prüfung zur Steuerberaterin mehr von dem machen könnte, was ich will. Was das sein könnte, war mir zu dem Zeitpunkt aber noch gar nicht klar. 

Dann machte es Peng

Kurz vor meiner Abschlussprüfung beschloss ich, zu kündigen und fand mich in einem Workshop wieder, um Köpfe aus Ton zu machen. 

Das war mein künstlerisches Coming-out. Ich fasste den Ton an und war begeistert. Es war das erste Mal, dass ich ganz bei der Sache und einfach nur glücklich war.

Mir war schnell klar: Ich will Künstlerin werden, ohne zu wissen, wie und was das eigentlich hieß. 

Das Leben hatte einen Plan für mich

Ich fand sofort eine Töpferin, die auch bildhauerte, und das war es, was ich machen wollte. Ich wollte alle Techniken von ihr lernen, und sie freute sich, dass endlich jemand Bildhauerei studieren wollte, statt nur Vasen zu produzieren. 

Ein paar Monate später hatte ich einen Platz in einem Gemeinschaftsstudio und lernte Steinbildhauerei. Gleichzeitig hatte ich angefangen, Bauchtanz und Improvisationstanz zu lernen – exotisch in den Zeiten damals, also genau das Richtige für mich.

Marina Büning mit ihrer Arbeit "The world is fragile and so am I"
Marina Büning mit ihrer Arbeit “The world is fragile and so am I”
© privat

Nachdem ich mich wegen meiner großen italienischen Liebe dann auch noch von meinem Ehemann getrennt hatte, wurde es finanziell eng. Ich musste mir von heute auf morgen meinen Unterhalt allein verdienen. Manchmal hatte ich 6 oder 7 Jobs gleichzeitig: Irgendwelche Freelance-Jobs, Bauchtanz unterrichten an der Volkshochschule oder die Organisation einer Kunstschule in Italien, wo ich im Sommer selbst unterrichtete. Die Jobs, die ich neben meiner Kunst machte, ermöglichten mir, über die Runden zu kommen.

Ich ging den Weg, den meine Mutter nicht gehen konnte

Nach meiner Entscheidung, Kunst zu machen, war meine Mutter zwar voller Angst, wie ich mein Geld verdienen wollte, aber sie ermunterte mich trotzdem, meinen Weg zu gehen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit ihr: Ich wollte nach Salzburg zur Sommerakademie, und sie meinte, da wären doch nur sehr bekannte Lehrer! Ich antwortete, das Beste sei gerade gut genug für mich, selbst erstaunt über so viel Selbstbewusstsein. 

Erst später wurde mir klar, dass ich ein Leben lebte, das meine Mutter selbst gern gehabt hätte. Krieg, fünf Kinder, eine Generation, wo Frauen nicht einfach ihre Sachen packten und gingen, hatten das verhindert. Aber sie war immer Teil der Avantgarde gewesen; so hatte sie als junge Frau Ausdruckstanz gelernt, bei einer Schülerin von Mary Wigman, der Wegbereiterin des modernen Tanzes.

Mit Anfang 40 zog ich nach Italien

Mit Anfang 40 wagte ich nochmal einen Neuanfang und folgte meinem italienischen Mann in die Nähe von Rom. Es dauerte lange, bis ich mich zurechtfand und Gelegenheiten zum Ausstellen und Arbeiten fand. Doch mittlerweile unterrichte ich an zwei US-amerikanischen Unis in Rom Kunst, im Sommer biete ich Kurse für Deutsche zum Malen und Zeichnen an und begleite Frauen dabei, ihre Kunst ernst zu nehmen und in die Welt zu bringen. Natürlich mache ich auch meine eigene Kunst und stelle sie aus.

Es geht weiter: Eure Stimme is… Leserkolumne (1198255)

Meine Erfahrungen zeigen, dass sich überall Türen öffnen, wenn man seine inneren Türen für das öffnet, wofür man brennt. Das Leben hilft dir und wenn du etwas loslässt, eröffnen sich neue Perspektiven. Manchmal dauert es länger, aber manchmal geht es schneller, als einem lieb ist. So ist es zumindest mir ergangen. Meine Mutter hatte sich zurechtgefunden in ihrer Rolle an der Seite meines Vaters, aber sie freute sich zu sehen, wie ich die Fesseln sprengte. Sie hat mich immer dabei unterstützt, meinen Weg zu gehen.

Die Autorin: Marina Büning lebt mit ihrem Mann und fünf Katzen lebt nördlich von Rom. Sie hilft anderen Frauen, ihre Kunst ernst zu nehmen und zu professionalisieren und damit ein erfüllteres Leben zu führen (www.marinabuening.com und www.marinabuening-art.com).

 

Source: Aktue