Wellness-Trend: Internisten warnen vor Vitamin-Infusionen

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Vitamininfusionen sollen Erkältungen abwehren, Erschöpfungen entgegenwirken und den Teint zum Strahlen bringen. Per Injektion gelangen die Nährstoffe ins Blut, wo sie vermeintlich schnell und effektiv wirken sollen. Experten sehen den Gesundheitstrend kritisch und warnen vor den Risiken solcher Nährstoffinfusionen – was du vor einem Besuch im Drip-Spa wissen solltest.

Gesünder, schöner, entspannter: Luxuriöse Drip-Spas haben mit ihren Nährstoffinfusionen ein Schlaraffenland für Vitalstoffe erschaffen. Vitamin C, Biotin, Glutathion, Taurin – all das wird in den hippen Wellness-Oasen Tropfen für Tropfen hochdosiert und intravenös verabreicht.

Immer mehr Promis, Influencer und Gesundheitsbewusste tummeln sich in den neuen Healthy Hotspots der Stadt und wählen aus Nährstoffen wie sonst aus den mittäglichen Angeboten in der Kantine. Mittagstischpreise sucht man hier jedoch vergebens: Ein Anti-Kater-Drip wird für rund 100 Euro angeboten – die Immun-Infusion per Tropf fließt für 180 Euro in die Blutbahn. Doch wie gesund und nützlich sind die Nährstoffinfusionen überhaupt?

Vitamine per Tropf: Was sind Drips?

Als Drips werden intravenös gegebene Nährstoffmischungen bezeichnet, die dem Körper kontrolliert verabreicht werden, um für mehr Wohlbefinden zu sorgen und vermeintliche Defizite schnell und unkompliziert auszugleichen. Die Infusionen tröpfeln in bis zu 60 Minuten in den Blutkreislauf und gelangen somit ohne Umwege direkt in den Körper. Dadurch sollen die Nährstoffe schneller und effektiver wirken als herkömmliche Nahrungsergänzungsmittel.

Infusionen für mehr Gesundheit, Schönheit und Entspannung

Die angebotenen Nährstoffinfusionen decken eine Vielzahl an vermeintlichen Benefits ab. So sind in den Portfolios entsprechender Unternehmen unter anderem “Beauty-” und “Pretty”-Drips zu finden, die als Schönheits-Booster für volleres Haar und kräftigere Nägel angepriesen werden. In der Erkältungssaison laden “Immun-” und “Healthy”-Infusionen die Kund:innen dazu ein, ihr Immunsystem besonders effektiv zu stärken und Drips wie “Calm” und “Relax” versprechen Abhilfe bei Stress und Hektik. Doch wie wirksam ist solch eine Infusionstherapie überhaupt und wer benötigt sie?

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Wer braucht intravenöse Extravitamine und -Mineralstoffe?

Nährstoffinfusionen mit einzelnen Vitaminen oder Mineralstoffen sind eine evidenzbasierte Behandlung für Patient:innen mit einem nachgewiesenen Mangel an diesen Nährstoffen oder dienen zur Behandlung der Nebenwirkungen bestimmter Medikamente. Meist werden sie Menschen verabreicht, die bereits ernsthaft erkrankt sind, einen Darmschaden haben, immundefizient sind oder unter Kau- und Schluckbeschwerden leiden. Diese Nährstoffinfusionen sind dann medizinisch indiziert und werden unter ärztlicher Aufsicht verabreicht.

Laut MSD Manual liegen derzeit nur sehr wenige Studien vor, die die Wirksamkeit von hochdosierten intravenösen Vitamininfusionen bei gesunden Menschen untersuchten, die keinen Vitamin- oder Mineralstoffmangel hatten. Keine einzige dieser Arbeiten konnte nachweisen, dass Drips Erkältungen verhindern, die Haut straffen, die Fettverbrennung ankurbeln oder einen Kater lindern konnten.

Die Verabreichung direkt ins Blut sage letztendlich nichts über den Wirkungsgrad aus. Denn auch wenn die Nährstoffe am schnellsten direkt über die Blutbahn aufgenommen würden, nützen es nichts, wenn der Körper keinen Mangelzustand hätte, so MSD Manual.

“Üble Geschäftemacherei ohne Indikationen”

Dr. Matthias Riedl zeigt sich entsetzt über das immer größer werdende Angebot der Infusionstherapien für die breite Maße. Der Diabetologe und Ernährungsmediziner leitet das Medicum Hamburg, ein großes Zentrum für Ernährungsmedizin – mit Nährstoffen zu arbeiten, ist sein täglich Brot. Sein strenges Urteil:

“Für solche Infusionen gibt es keine medizinische nachvollziehbare Begründung. Ernährungsmedizinisch ist es Humbug – schlimmste Scharlatanerie wie im Mittelalter.”

Von einer intravenösen Vitamintherapie ohne ärztliche Indikation rät Dr. Riedl ab, da keine der angeblichen gesundheitlichen Auswirkungen wissenschaftlich bestätigt wurde.

Mana Witt gehört ebenfalls zu den Anbietenden von Infusionstherapien. In ihrer Praxis in Hamburg-Hoheluft verkauft die Fachärztin für Chirurgie unter anderem “maßgeschneiderte” Drips, die nach eigenen Angaben in Zusammenarbeit mit einer Apotheke hergestellt werden. Wer sich hier einen Vitamintropf legen lässt, solle laut Witt jedoch keine intravenösen Wunder erwarten:

“Durch einen ‘Sport-Drip’ wird man nicht direkt zum Super-Athleten, durch einen ‘Beauty-Drip’ wird man auch nicht faltenfrei. Ich sage das allen Patient:innen, die kommen.”

Aber: “Am Ende muss man ganz klar sagen: Drips sind super nice to have. Man merkt es richtig, man gönnt sich was. Man kann mal eine Erkältung abwenden oder sich einfach besser und vitaler fühlen”, findet Witt. Man könne jedoch auch mit der Ernährung viel für die Gesundheit tun, so die Medizinerin. Beispielsweise solle der Teller immer möglichst bunt sein, um der Diversität der Darmflora zugute zukommen.

Internisten warnen vor Vitamin-Infusionen

Mit Sorge beobachten Internisten den Trend der Drip Bars und raten Nutzenden zur Vorsicht: “Insbesondere Menschen mit Nierenschädigungen sollten von solchen Lifestyle-Infusionen Abstand nehmen, da es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommen kann”, urteilt Nierenspezialisten Jan Galle.

Im Ärzteblatt warnt die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) jetzt vor Drips mit hochdosierten Vitaminen, Mineralstoffen und anderen Substanzen. Denn aus medizinischer Perspektive handele es sich bei den teils sehr hochpreisigen Infusionen um reine Geld­ma­cherei ohne nachgewiesenen gesundheitlichen Nutzen.

Gibt es einen Nährstoffmangel in Deutschland?

Das Geschäft mit den Nährstoffinfusionen boomt. Die Angst vor einem Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Co. scheint in der Bevölkerung groß – das lässt der horrende Umsatz vermuten, den Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln jährlich erwirtschaften. Einen Umsatz von knapp 1,8 Milliarden Euro in 2022 vermerkt etwa der Lebensmittelverband Deutschland. Nährstoffe gibt es aber längst nicht mehr nur in der Apotheke, sondern auch in Drogerien, Supermärkten, im Internet und eben auch als Infusionen in Drip-Spas.

Laut Bundeszentrum für Ernährung zeigen Untersuchungen zur Nährstoffversorgung, dass die meisten Menschen in Deutschland gut über alle wichtigen Nährstoffe verfügen. Für diesen Teil der Bevölkerung ist das Extra an Vitaminen und Co. in der Regel also nicht nötig. 

Persönliche Lebensumstände und Ernährungsgewohnheiten können jedoch ein Defizit begünstigen und sollten daher genauer unter die Lupe genommen werden. Zu den Risikogruppen für eine Unterversorgung zählen beispielsweise Schwangere, Stillende oder Veganer:innen. Klarheit über einen möglichen Mangel an Nährstoffen bringt jedoch nur ein persönliches Blutbild.

Blutbild bringt Klarheit im Nährstoffdschungel

Ob ein Nährstoffdefizit vorliegt, lässt sich beispielsweise in einer Hausarztpraxis eindeutig klären. Eine ausführliche Anamnese samt individuellem Blutbild zeigt verlässlich, wie es um die eigene Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und weiteren Markern steht.

Wird eine Unterversorgung ärztlich festgestellt, kann der Nährstoffspeicher je nach Bedarf mittels Tabletten, Tropfen oder Infusionen wieder aufgefüllt werden. Hierbei ist es wichtig, dass der richtige Nährstoff in der richtigen Dosierung verabreicht wird. Dabei unterstützen können zertifizierte Ernährungsberatende, die Hausarztpraxis oder Fachapotheker:innen mit der Zusatzbezeichnung Ernährungsberatung. Was in jedem Fall verhindert werden sollte, ist eine Überversorgung an Nährstoffen.

Wichtig: Schlappheit, Infektanfälligkeit, Kopfschmerzen und weitere unspezifische Symptome können Hinweise auf ernsthafte Erkrankungen sein und sollten immer ärztlich abgeklärt werden.

Zu viel des Guten: Wenn Vitamine krank machen

Vitamine und Mineralstoffe sind essentiell für den Körper. Sie helfen unter anderem dabei, dass lebenswichtige Prozesse im Organismus einwandfrei ablaufen können. Über die natürliche Ernährung ist es kaum möglich, zu viele Vitamine aufzunehmen. Doch wer Nährstoffinfusionen oder Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt, kann insbesondere die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K überdosieren – und das hat womöglich ernsthafte gesundheitliche Folgen.

Diese sogenannten Hypervitaminosen können zu Kopfschmerzen, Erbrechen, Haarausfall, Nierensteinen, Muskelschwäche und Herz-Rhythmus-Störungen führen. Auch Dr. Matthias Riedl warnt: “Neue aktuelle Daten zeigten, dass zu viel Vitamin B3 im Verdacht steht, eine Arterienverkalkung zu fördern – Vitamin C befördert Nierensteine.” Es ist also durchaus sinnvoll, Extranährstoffen besondere Aufmerksamkeit zu schenken und sie nicht willkürlich einzunehmen.

Wie viel Vitamin C brauche ich überhaupt?

Ein Beispiel zum Vitamin-Wahnsinn gefällig? Bitteschön: Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für gesunde Erwachsene eine tägliche Vitamin-C-Zufuhr von 110 Milligramm für Männer und 95 Milligramm für Frauen. Diese Werte lassen sich mithilfe von natürlichen Lebensmitteln gut erreichen. So liefert eine Orange etwa 100 Milligramm Vitamin C – eine halbe rote rohe Paprika versorgt den Körper bereits mit 60 Milligramm, wie das Bundeszentrum für Ernährung auflistet. Deutlich höhere Vitamin-C-Mengen werden mithilfe von Vitamin-Infusionen erreicht. So ist in einem Hamburger Drip-Spa beispielsweise eine Vitamin-C-Infusion mit stolzen 7,5 Gramm pro Infusion zu finden.

Vitamin C ist ein wasserlöslicher Nährstoff. Diese Vitamine können in der Regel kaum überdosiert werden, da eine überschüssige Vitaminaufnahme über Niere und Urin wieder ausgeschieden wird. Die DGE schreibt, dass die Einnahme von bis zu etwa 1 Gramm Vitamin C pro Tag zusätzlich zur Zufuhr durch die Ernährung nicht mit schädlichen Nebenwirkungen verbunden sein dürfte. Ab einer Aufnahme von bis zu 4 Gramm pro Tag können vorübergehend Magen-Darm-Beschwerden wie etwa Durchfall auftreten. Eine teure Angelegenheit, wenn man bedenkt, dass die frisch gekauften Vitamine für bis zu 70 Euro einfach so im Klo heruntergespült werden.

Obst, Gemüse, Nüsse: Den Nährstoffbedarf natürlich decken

Doch es geht auch anders – ohne Nadel im Arm und preiswerter. Denn teure Vitamin-Infusionen oder Nahrungsergänzungsmittel sind für Gesunde nicht notwendig, um den Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen zu decken. Die DGE hat Tipps zusammengestellt, die Lesenden dabei helfen, ausgewogen zu essen und gut mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt zu sein.

Zu den wichtigsten Lebensmitteln hierbei zählen Obst und Gemüse, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchte sowie Nüsse und pflanzliche Öle. All das hat nicht nur positive Effekte auf die Gesundheit, sondern schont gleichzeitig die Ressourcen der Erde. Die Empfehlungen der DGE im Überblick:

  1. Am besten Wasser trinken
  2. Obst und Gemüse – viel und bunt
  3. Hülsenfrüchte und Nüsse regelmäßig essen
  4. Vollkorn ist die beste Wahl
  5. Pflanzliche Öle bevorzugen
  6. Milch und Milchprodukte jeden Tag
  7. Fisch jede Woche
  8. Fleisch und Wurst – weniger ist mehr
  9. Süßes, Salziges und Fettes – besser stehen lassen
  10. Mahlzeiten genießen

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1. Blutbild als Basis

Ob eine Unterversorgung an bestimmten Nährstoffen besteht, kann nur eine ausführliche Anamnese samt Blutbild eindeutig klären. Erst im Anschluss sollte eine individuelle Nährstoffinfusion in Betracht gezogen werden.

2. Auf fettlösliche Vitamine achten

Die Vitamine A, D, E und K sind fettlöslich und können bei einer Überdosierung zu gesundheitlichen Problemen führen. In einer Wellness-Infusion sollten sie darum besser nicht enthalten sein. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sowie die Verbraucherzentrale stellen empfohlene Werte für einzelne Vitamine in einer Tabelle zum Nachlesen zur Verfügung.

3. Wechselwirkung mit Medikamenten beachten

Zwischen Supplementen und Medikamenten können Wechselwirkungen auftreten. Bitte deine betreuende Hausärztin oder deinen betreuenden Hausarzt vor der Verabreichung einer Nährstoffinfusion um eine Einschätzung.

4. Sind Ärztinnen oder Ärzte vor Ort?

Die Gabe von Injektionen ist in der Regel Ärztinnen und Ärzten sowie Heilpraktikerinnen und Heilpraktikern vorbehalten. Unter bestimmten Voraussetzungen darf die Tätigkeit jedoch an geschulte Personen delegiert werden. Eine einheitliche Regelung über die erforderlichen Grundlagen gibt es jedoch nicht. Es bleibt den Anbietenden überlassen, wem sie eine derartige Tätigkeit zutrauen.

Source: Aktue