Aufgeblüht!: Warum das Alter die Blüte des Lebens ist

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Geht es im Alter automatisch bergab? Im Gegenteil, sagen Jule Kühn und Susanne Lencinas – und inszenieren mit ihrem Fotoprojekt “Aufgeblüht” das Alter als Blüte des Lebens. 

fotoprojekt aufgeblüht

BRIGITTE: Ihre Fotos zeichnen sich durch Üppigkeit und einen Überfluss an Blumen und Farben aus. Wie passt diese schwelgerische Inszenierung zum Thema Alter? 

Jule Kühn: Gute Frage, die ich einfach mal umdrehen möchte: Warum nicht Üppigkeit und Farben im Alter?

Susanne Lencinas: Oft kleiden Menschen sich im Alter so unscheinbar. Aber warum eigentlich? Reife hat ja etwas mit Blüte zu tun.

Heißt deshalb Ihr Fotoprojekt “Aufgeblüht”, obwohl Sie verblühende Menschen zeigen?

Jule: Für mich ist es selbstverständlich, Reife mit Blüte gleichzusetzen. Ich finde es total seltsam, das nicht zu tun. Vielleicht ist eine Blume, die kurz vorm Verblühen ist, sogar auf dem Höhepunkt ihrer Schönheit. Am Ende des Lebens schaut man ja in der Regel auf Üppigkeit und Fülle zurück, auf eine Sammlung, einen Schatz.

Susanne: “Jung gleich Blüte” ist ja nur ein Narrativ. Vielleicht kann man das Narrativ verändern und die Blüte dem Alter zuschreiben. Wir fotografieren jetzt aber auch keine Menschen, die jahrelang im Pflegebett liegen, das würde ich dann auch nicht als Blüte bezeichnen. Dass es da Horrorgeschichten gibt, wissen wir alle. 

Für Sie ist das Alter wie ein üppiger Blumenstrauß.

Susanne: Es ist wohl sogar erwiesen, dass Blumen im Alter eine größere Rolle spielen. Ich beobachte das auch bei mir: Blumen werden wichtiger. Die Blüte im Garten ist nur für diesen Moment da und ich nehme sie jetzt mehr wahr. Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass man sich mehr der Vergänglichkeit bewusst ist, als als junger Mensch. Blumen sind ja auch in der Kunstgeschichte ein Momento mori, eine Erinnerung an die eigene Sterblichkeit.  

Jule: Blumen sind fast wie eine Weltsprache. Das Aufblühen, das Blühen, das Verblühen – jeder kann mit Blumen als Symbol etwas anfangen. Und eine Blume ist etwas durch und durch Positives, für fast alle Menschen transportiert sie Schönheit. Bei vielen alten Menschen rufen sie auch Erinnerungen wach. 

Susanne: Lilo erinnerte sich zum Beispiel beim Shooting daran, dass sie schon als Kind Margeriten mochte. 

Auf Ihren Fotos sehe ich eine Bäuerin, eine Abenteurerin, auch religiöse Symbole: Wie kam es zu diesen Inszenierungen?

Jule: Im Vorfeld fragen wir die Senior:innen, was ihre Lieblingsblumen sind. Dann gehen wir zu ihnen nach Hause und bringen auch Fotohintergründe und Requisiten mit, vielleicht ein Halstuch oder eine Kopfbedeckung. Wir lernen uns bei einem Käffchen kennen, schauen uns in ihrer vertrauten Umgebung um und sehen, woran das Herz hängt. So bekommen wir schnell ein Gefühl dafür, was für eine Person wir vor uns haben. Die Inszenierung ist dann immer spontan. Ich frage: Was gefällt Ihnen, haben Sie vielleicht noch eine Bluse, die gut passt? Der Prozess des Fotografierens geschieht immer im Einklang, das ist ganz wichtig.

Wie finden Sie Ihre Models? 

Susanne: Zuerst haben wir im Bekannten- und Freundeskreis herumgefragt, dann hat sich das mehr und mehr herumgesprochen. Und irgendwann kamen auch Pflegeeinrichtungen auf uns zu.

Welche Kriterien müssen Ihre Protagonist:innen erfüllen?

Jule: Nicht so junge Hüpfer mit 70! Also eigentlich Ü80.

Woher kommt Ihre Liebe für alte Menschen? 

Jule: Ich bin in meiner Jugend viel mit meinen Omas und Großtanten zusammen gewesen und habe das Miteinander immer als extrem bereichernd empfunden. Eine Tante zum Beispiel hatte noch mit 93 eine unglaubliche Gelassenheit. Trotz allem, was sie im Krieg erlebt hat, war sie tiefenentspannt und voller Liebe. Ich finde auch die Authentizität der alten Leute toll. Diese ganzen Filter, die wir vorschieben, wenn wir miteinander in Gespräche gehen, die gibt es bei ihnen so nicht mehr. Die sind wie sie sind. Das hat für mich Vorbildcharakter.

Susanne: Bei mir ist es etwas anders als bei Jule. Mit dem Projekt verarbeite ich meine Angst vor dem Altern. Man muss sich positiv stärken, wenn man älter wird. Die Oma meines Freundes, die immer extrem fit war, sitzt jetzt den ganzen Tag allein im Pflegeheim und schafft es trotzdem, gut drauf zu sein. Ich bewundere die Resilienz dieser Frau!

Haben Sie keine Angst vor dem Altern, Jule Kühn?

Jule: Nein, diese Angst habe ich so gar nicht. Ich denke: Ja, und, dann wird man halt älter. So what?

Weitere Infos und Fotos unter www.aufgeblüht.de

Source: Aktue