Ausgelaugt?: Vielleicht fühlst du dich darum manchmal kaputter, als du sein müsstest

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Viele Menschen kennen sie, diese Tage, an denen sie sich leer und überfordert fühlen, obwohl gar nichts Besonderes vorgefallen ist. Woran das liegen könnte und vor allem: Was eventuell hilft.

Die meisten Menschen können prima damit umgehen, wenn sie sich nach einer anstrengenden, stressigen Zeit müde und energielos fühlen – schließlich waren sie stark beansprucht, haben vielleicht etwas geschafft, zumindest aber viel gegeben. Sind wir allerdings kaputt, obwohl unser Alltag im Großen und Ganzen seinen Lauf nimmt und uns abgesehen von den üblichen Sorgen und Aufgaben nichts Besonderes bedrückt, kann das schwer zu akzeptieren und einzuordnen sein. In manchen Fällen mag es dann wiederum helfen, den Zeigarnik-Effekt zu kennen.

Warum uns Dinge, die wir gar nicht tun, Energie kosten können

Der Effekt ist nach der russischen Psychologin Bljuma Zeigarnik benannt, die ihn als eine der ersten wissenschaftlich untersucht und beschrieben hat. Die Ausgangsbeobachtung, die im Zusammenhang mit dem Zeigarnik-Effekt immer wieder geschildert wird, ist die, dass Servicekräfte sich im Restaurant Details zu unbezahlten Bestellungen offenbar besser merken können als Einzelheiten von Bestellungen, die sie bereits abkassiert und abgeräumt haben. Es geht also um das Thema: Nicht abgeschlossenen Aufgaben schenken wir mehr Aufmerksamkeit als erledigten. Sie beschäftigen uns stärker, unser Gehirn investiert in sie mehr Energie.

Das können wir einerseits nutzen, um uns Dinge zu merken oder spannende Geschichten zu erzählen – Stichwort Cliffhanger. Andererseits kann uns der Zeigarnik-Effekt fertig machen, sofern wir sehr viele offene Themen mit uns herumschleppen. Vor allem, wenn wir sie nicht einfach so klären und abschließen können. Dass uns das passiert, ist in unserer heutigen Zeit der vollen, vielseitigen Leben, der Gleichzeitigkeit und Schnelligkeit von Impulsen, Reizen und Ansprüchen durch diverse Technologien alles andere als unwahrscheinlich.

Ob eine unbeantwortete Nachricht, eine noch nicht gänzlich feststehende Verabredung oder die Frage, wann und wohin wir in den Urlaub fahren, all die Möglichkeiten, die unsere aktuelle Welt uns bietet, können uns manchmal unbemerkt Energie kosten. Bei den meisten Menschen kommen dazu schwerwiegendere offene Themen wie eine Strompreiserhöhung, eine fortschreitende Krankheit von Angehörigen oder ein Konflikt in einer intimen Beziehung.

In zwei Sätzen: Dass es uns Energie kostet, wenn wir viel tun, verstehen wir von selbst. Dass uns aber in ähnlicher Weise Dinge ermüden können, die wir nicht erledigen, erklärt wiederum der Zeigarnik-Effekt.

Was hilft? 3 brauchbare Strategien

Eine Handlungsanweisung, die sich aus dem Zeigarnik-Effekt ergibt, liegt auf der Hand: Wenn wir nicht möchten, dass uns eine Angelegenheit Energie abzieht, ist es am besten, sie zu erledigen. Doch in der Regel ist das nicht so einfach oder liegt nicht allein an uns. Folgende Strategien können in all diesen Regelfällen helfen, den Zeigarnik-Effekt zumindest abzuschwächen.

Priorisieren und streichen

Manchen Menschen hilft es, To-Do-Listen zu führen, um die Themen, die sie beschäftigen, aus ihren Gedanken zu verbannen. Anderen Leuten bleiben ihre offenen Aufgaben nach dem Aufschreiben trotzdem weiter im Kopf. Der Psychologe Corey Wilks empfiehlt in einem Artikel für “Psychology Today” gerade diesen Menschen, radikal zu priorisieren und nicht mehr als drei Dinge auszuwählen, für die sie eine Lösung suchen möchten und müssen. Welche drei offenen Fragen sind am wichtigsten zu klären, um möglichst nahe gemäß den eigenen Werten und Idealen zu leben? Sind die einmal identifiziert, sind das die einzigen Punkte, die auf die To-Do-Liste gehören. Bei allem anderen ist es letztlich egal oder zumindest nicht so schlimm, wenn sie sich von selbst klären oder zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufploppen und uns dann in Anspruch nehmen.

Aufschieben üben

Als Menschen verspüren wir ein Bedürfnis danach, unsere Zukunft zu gestalten und uns darüber im Klaren zu sein, was passiert. Einige unserer alltäglichen offenen Themen, die uns mentale Energie abziehen, können mit diesem Bedürfnis zusammenhängen – zum Beispiel die Uhrzeit, der Treffpunkt oder der Ablauf einer Verabredung. Oder die näherrückende Organisation professioneller Pflege für die Mutter. Wie sehr uns solche Dinge beschäftigen, ist allerdings Typfrage beziehungsweise eine Frage der Einstellung und Gewohnheit. Manche Menschen neigen von Grund auf dazu, Dinge so lange aufzuschieben – und sich nicht damit auseinanderzusetzen –, bis sie unbedingt müssen. Andere werden schon nervös, wenn sie neben Plan A und B keinen Plan C und D parat haben. Beide Herangehensweisen haben Vor- und Nachteile – beide lassen sich gegebenenfalls zumindest ein Stück weit ab- und umtrainieren, sofern Betroffene befinden, dass für sie die Nachteile ihrer Herangehensweise überwiegen.

Wer unter dem Zeigarnik-Effekt leidet, kann zum Beispiel probieren, Themen, die die Zukunft betreffen, sie aber heute schon Kraft kosten, bewusst ihrem Zukunfts-Ich zuzuordnen, also in den Verantwortungsbereich der Version ihres Selbst zu schieben, das in drei Tagen oder sechs Monaten oder wann immer existieren wird. Manchmal können zudem theoretisch-rationale Überlegungen helfen, den Drang der Zukunftsorganisation abzuschwächen und die Haltung “Ich überquere die Brücke, wenn ich dort bin” zu kultivieren: etwa der Gedanke, dass sich ein Problem ohne unseren Krafteinsatz von selbst lösen kann, oder der, dass sich die meisten Faktoren nicht vorhersehen lassen.

Wie gesagt, wird es nicht nur Vorteile mit sich bringen, Dinge bis auf den letzten Drücker aufzuschieben. Doch selten schadet es, zumindest eine Idee zu haben, wie es gelingen könnte.

Routinen

Sofern wir in unserem Alltag wiederkehrende offene Themen erkennen, die uns immer von Neuem beschäftigen und Energie abziehen, kann es sinnvoll sein, unsere Routinen zu überdenken und anzupassen. Wenn wir uns zum Beispiel jeden zweiten Mittag die Frage stellen, was wir abends kochen oder essen möchten und wo wir auf dem Weg nach Hause noch einkaufen gehen, könnten wir einmal in Erwägung ziehen, neue Rituale zu etablieren – Taco Tuesday und katholischer Fischfreitag oder so. Oder unsere Konzentration lässt jeden Nachmittag um 15 Uhr nach, weil uns dann einfällt, dass wir noch sechs E-Mails zu beantworten haben: Eventuell täte uns ein fester E-Mail-Antwort-Blocker gut. Gewiss sind Routinen auf einer Seite unangenehm und einschränkend und beklemmend – insbesondere zu viele und solche, mit denen wir Angst haben zu brechen. Doch ihr großer Vorteil ist: Sie entlasten uns und setzen jede Menge Kapazitäten frei. Vor allem solche, die sonst der Zeigarnik-Effekt schluckt.

Source: Aktue