Corona im Herbst 2023: Im vierten Covidjahr: Die neue "Normalität"

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Unser Immunsystem ist das eine. Das andere ist unser Kopf, der im vierten Coronajahr immer noch ziemlich durcheinander ist. So wie der von Daniela Stohn.

Vor Kurzem war ich auf einer Fortbildung in der Schweiz. Dort war es schön: Berge, überall Desinfektionssprays, die Leute niesten brav in ihre Armbeugen, ich war viel draußen an der frischen Luft. Doch dann, am dritten Tag, wurde der erste Teilnehmer krank. Er glänzte im Gesicht und lag in der Pause teilnahmslos auf einer Bank, kam aber trotzdem zurück in den Seminarraum. “Meine Frau hatte nur einen Tag Fieber”, sagte er entschuldigend. Ich hielt mir panisch ein T-Shirt vor den Mund, flüchtete in die entgegengesetzte Ecke des Raumes und beobachtete ihn permanent, damit er mir nicht zu nahe kam. Am nächsten Tag fehlte seine Sitznachbarin links, am übernächsten die Frau rechts von ihm.

Die neue deutsche Welle

Es geht wieder los. Ich bekomme Nachrichten bei WhatsApp, einen Tag nach einer Party: “Es tut mir leid, aber ich bin Corona-positiv.” Mein Sohn ruft mich an und pöbelt über seinen Bruder, weil der nicht mit ihm in einem Zimmer sein möchte – obwohl er nur ein bisschen schnieft. Der wiederum beschwert sich per WhatsApp bei mir, wie rücksichtslos der andere sei, einfach so ohne Maske im Wohnzimmer abzuhängen.

Meine spontane Reaktion: Kann ich verstehen. Ich will mich auch nicht anstecken, hasse es, keinen Sport zu treiben und schlapp rumzuliegen, das macht mich reizbar. Und dann, nachdem ich kurz nachgedacht habe: Wir sind ganz schön gestört, immer noch. Die Pandemie hat uns zu hypochondrischen Sensibelchen gemacht.

Was die Pandemie mit uns gemacht hat

Nur: Wie schlimm ist das? Ich frage eine Bekannte, die Hausärztin ist. Sie beobachtet, dass viele Menschen sich anders verhalten seit der Pandemie. Ihre Schwester zum Beispiel, die gerade Corona hat, sich im Keller isoliert und nur mit Maske hochkommt, wenn niemand in der Nähe ist. “Viele haben Angst: dass die Krankenhäuser wieder überfüllt sein werden, dass ein neuer Lockdown droht oder Long Covid bleibt”, sagt meine Bekannte. “Ich sehe Menschen allein mit Masken im Auto. Und wer hat vorher schon Desinfektionsmittel benutzt?” Ihre Erklärung für dieses Verhalten: Während der Pandemie wurde viel informiert, eher zu viel, und damit Panik geschürt. “Und dann wurde nicht gut in eine neue Normalität zurückgeführt – und wie diese genau aussehen könnte: wann und für wen Maskentragen wirklich sinnvoll ist und wie wir uns vernünftig vor Viren und Bakterien schützen. Zum Beispiel mit gründlichem Händewaschen.”

Ich fühle mich ertappt. In meinem Portemonnaie trage ich immer noch eine Maske herum (ganz schön eklig, wenn ich darüber nachdenke), in meiner Tasche ein Desinfektionsgel. Überhaupt benutze ich jedes Desinfektionsspray, das im öffentlichen Raum steht. Zu Hause lüfte ich permanent. Vermeide Händeschütteln, das ja leider nicht aus der Mode gekommen ist. Nehme Vitamin D, Zink und Selen und überlege, mich boostern zu lassen, obwohl ich gar nicht zur Risikogruppe gehöre.

Was macht denn schon ein Schnupfen oder eine erneute Coronainfektion, höre ich meinen Freund sagen. Er ist da viel entspannter als ich. Ein bisschen beneide ich ihn, dass Eris und BA.2.86 –die neuen Viren-Varianten, die längst bei uns angekommen sind – ihm wenig Sorge machen. Und trotzdem denke ich: Bitte nicht!

Sehnsucht nach der alten Nonchalance

Als ich von der Fortbildung nach Hause komme, niese ich, als ich die Tür öffne. “Bist du erkältet?”, fragt das Kind vorwurfsvoll – kein “Hallo”, kein “Schön, dass du wieder da bist”. “Nein”, sage ich, “Hausstauballergie.” Und denke: So geht das nicht weiter. Es ist nicht mehr normalgestört, wenn wir den liebevollen Umgang miteinander verlieren. Respekt und sinnvoller Schutz vor Krankheiten und Erregern ist gut, eine Virenphobie nicht. Wir müssen reden. Ich behalte auch die Maske auf …

BRIGITTE-Fitnessredakteurin Daniela Stohn wünscht sich ihre Vor-Pandemie-Unbeschwertheit zurück: ohne Panik vor Viren, ohne übertriebenen Abstand und Pöbeleien.

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Source: Aktue