Hormonmanagement: Ist Zykluscoaching sinnvoll oder ungesund?

Hormonmanagement: Ist Zykluscoaching sinnvoll oder ungesund?

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Hormonmanagement ist ein neuer Trend, vor allem in den sozialen Medien. Sinnvoll oder ungesund? Ein Gespräch mit der Gynäkologin Dorothee Struck.

BRIGITTE: Früher waren Zyklus und Menstruation Tabu-Themen, heute gehen Frauen ihr “Schicksal” aktiv an. Eigentlich gut, oder?

Dr. Dorothee Struck: Absolut. Ich finde es klasse, dass gerade jüngere Frauen sich mit ihrem Körper beschäftigen und bewusst damit umgehen. Aber viele schießen dabei mittlerweile über das Ziel hinaus.

Wie meinen Sie das?

Immer mehr Frauen gehen davon aus, sie müssten sich einen 28-Tage-Standardzyklus, wie er bei der Pille aus der Pharmapackung kommt, regelrecht ancoachen. Es kommen immer wieder Patientinnen zu mir, die denken, sie könnten nicht schwanger werden, weil sie einen unregelmäßigen Zyklus hätten, nämlich mal 28 und mal 30 Tage. Dabei ist das völlig gesund. Deswegen würde ich mir erst mal Aufklärung wünschen, was eigentlich ein normaler Zyklus ist. Der ist nämlich viel individueller, als viele denken und ich noch im Studium gelernt habe.

Was also ist normal in Sachen Zyklus?

Alles zwischen 28 und 42 Tagen Länge, sobald es halbwegs in sich regelmäßig ist, also mit Abweichungen von drei, vier Tagen. Dazu kommt die Tatsache, dass Frauen in ihrem Leben durchschnittlich drei Tage an Zykluslänge verlieren. Nur ganz wenige Frauen menstruieren alle 28 Tage wie ein Uhrwerk.

Was ist das Problem, wenn Frauen von dieser falschen Normalität ausgehen?

Es erzeugt Druck und kann ihr Selbstwertgefühl untergraben: Jetzt sehe ich schon nicht so aus, wie Frauen idealerweise aussehen sollen, habe zu dünne Haare, eine zu dicke Nase oder zu breite Oberschenkel, und dann ist auch noch mein Zyklus Panne und liefert mir einen weiteren Grund, mich als unvollkommen, nicht in Ordnung, nicht normal zu empfinden. Und davon haben wir schon mehr als genug.

Immer mehr Angebote versprechen Frauen genau diese Selbstoptimierung: einen regelmäßigen Zyklus ohne Beschwerden.

Das ist ein völlig unregulierter Markt, den ich sehr problematisch finde. Denn der Zyklus gehört zu den Dingen, die unser Körper seit Jahrtausenden erfolgreich selbst regelt. Er kann nicht gecoacht werden. Dieses Mikromanagement funktioniert nicht, und weil es nicht funktioniert, erzeugt es häufig Stress, der wiederum den Zyklus beeinflusst.

Was meinen Sie mit Mikromanagement?

Nehmen Sie die Idee der zyklusgerechten Ernährung, die sich seit zwei, drei Jahren vor allem in den sozialen Medien verbreitet. Das bedeutet, bestimmte Sachen in der ersten Zyklushälfte zu essen und andere in der zweiten. Seed Cycling ist ein großer Trend. Da geht es um Samen und Nüsse voller ungesättigter Fettsäuren, gegen die ich überhaupt nichts habe, aber wer das anbietet, um zum Beispiel eine Gelbkörperschwäche zu behandeln – eine Funktionsstörung der Eierstöcke, bei der nicht genug des Hormons Progesteron hergestellt wird –, hat den Zyklus nicht verstanden.

Dann nimmt die Ernährung keinen Einfluss?

Doch, auf bestimmte Erkrankungen kann man damit sehr positiv einwirken, auch auf Zyklusbeschwerden. Wenn Magnesium fehlt, krampfen zum Beispiel die Muskeln schneller. Wenn man also in der zweiten Zyklushälfte magnesiumhaltiges Gemüse isst und wenig Zucker, denn der ist genau wie Alkohol ein Magnesiumräuber, wird die Menstruation weniger krampfig.

Auch mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie im Leinöl nehmen Einfluss, denn sie liefern Bausteine für bestimmte Gewebshormone, die Prostaglandine. Aber die zweite Zyklushälfte resultiert immer auch aus der ersten und nach dem Eisprung lässt sich nur noch wenig beeinflussen. Noch dazu durchlaufen Eizellen eine mehrmonatige Vorreifung. Die Erwartung, man könne mit Ernährung oder dem richtigen Mindset kurzfristig den Zyklus heilen, ist falsch. Es gibt Erkrankungen, bei denen das nicht reicht.

Kommen zu Ihnen in die Praxis Frauen, die genau das probiert haben?

Ja, und zwar immer öfter. Erst vor ein paar Wochen hatte ich eine 42-jährige Kinderwunsch-Patientin, die innerhalb von vier Jahren mehr als 8000 Euro für Zykluscoaching, eine Online-Hormonuniversität und moderat nützliche allgemeine Ernährungstipps ausgegeben hatte. Dabei war sie nicht ein Mal beim Frauenarzt gewesen, um die Basics abklären zu lassen, wie den Hormonstatus, eine Ultraschalluntersuchung und die individuelle Vorgeschichte wie Chlamydieninfekte. Auch der Mann, 16 Jahre älter, war nicht untersucht worden, obwohl das bei beiden Partnern sogar die Krankenkasse übernimmt. Am Ende stellte sich heraus, dass er null bewegliche Spermien hatte.

Aber sind denn alle Angebote derart unseriös?

Nein, es gibt auch gute und fundierte, zum Beispiel von ausgebildeten Beraterinnen im Bereich Natürliche Familienplanung. Es gibt auch Frauen, die über eine eigene Erkrankung wie das Polyzystische Ovarial-Syndrom PCOS, bei dem man wirklich viel mit Ernährung machen kann, hinausgekommen sind und diese Erfahrung nun als Selbsthilfe mit anderen teilen. Das Problem ist allerdings, dass jede sich Zyklusmentorin oder Hormoncoach nennen kann. Um damit Geld zu verdienen, reicht es schon, gut in Sachen Marketing und Social Media zu sein.

Wie erkenne ich ein seriöses Angebot?

Je größer das Heilsversprechen, desto vorsichtiger sollte man sein. Und wenn jemand ein Coaching bei PCOS anbietet, stellt sich die Frage nach den Einstiegskriterien, ob zum Beispiel irgendwo beschrieben wird, wie diese Krankheit überhaupt festgestellt wird. Es ist gerade sehr viel Selbstdiagnose unterwegs und auch das öffnet natürlich Tür und Tor für Probleme, denn wenn die Diagnose nicht passt, kann das Coaching auch nicht helfen.

Vieles in dem Bereich kommt sehr feministisch daher. Nach dem Motto: Wir nehmen nicht nur unser Leben, sondern endlich auch unseren Zyklus selbst in die Hand.

Aber Feminismus heißt doch nicht: Was nicht passt, wird passend gemacht. Das hat ja schon fast wieder so etwas klischeehaft Männliches. Empowerment ist Wissen über den Zyklus und auch ein Verständnis davon, dass unser Körper ein sich selbst regulierendes System ist. Wenn Frauen aber sagen, wir kämpfen für das Recht, den Zyklus so zu haben, wie wir es wollen, dann muss ich antworten: Nehmt die Pille.

Wenn aus dem Wissen über den Körper der Wunsch wird, ihn zu kontrollieren, kippt es.

Genau. Es ist natürlich eine Gratwanderung, aber für mich führt tiefes und gesundes Wissen vor allem zu Ehrfurcht: Der Körper ist ein Wunderwerk und total genial. Wenn ich ihn gut behandle, reguliert er sich selbst. Das zu achten, geht immer mehr verloren.

Manchen Frauen macht diese Autonomie des Körpers offensichtlich eher Angst.

Ja, das beobachte ich auch. Das Bedürfnis nach Kontrolle hat stark zugenommen. Als ich Mitte der 90er- Jahre in der Gynäkologie angefangen habe, war das kein Thema. Heute wollen Frauen ihren Zyklus kontrollieren, ihre Fruchtbarkeit, ihren Kinderwunsch. Aber es gibt eben Dinge, die entziehen sich unserer Kontrolle. Das ist für die eine oder andere bitter, aber es ist auch gut und entlastend. Denn dem Körper so wenig zuzutrauen und das Gefühl zu haben, alles für ihn machen zu müssen, ist echt anstrengend.

Dr. Dorothee Struck ist Gynäkologin, Ärztin für Naturheilverfahren und Hypnotherapeutin in Kiel. Sie hat sich u. a. auf Kinderwunsch spezialisiert und bietet dafür auch Online-Hypnose-Programme an (frauengesundheit-kiel.de).

Heftbox Brigitte Standard

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