Jenifer Clausell Tormos: So setzt sie sich gegen Gender Bias und Burnouts ein

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Wer sie ist: Chemikerin aus Valencia

Was sie tut: Start-ups mit Impact gründen

Ihr Ziel: neue Chancen im Job-Markt für alle

Jenifer Clausell Tormos war noch ein Kind, als sie zum ersten Mal dachte, dass etwas nicht stimmt mit der Aufgabenverteilung zwischen ihren Eltern. Ihre Mutter war Hausfrau, stand jeden Tag ab sechs Uhr in der Küche, versorgte die Kinder, kümmerte sich um alles. Wenn der Vater, ein Lkw-Mechaniker, abends heimkam, wurde er bekocht und bedient. “Ich fand das damals schon ungerecht“, sagt Jenifer Clausell Tormos. Doch die Eltern wollten keine Kritik hören. Das sei halt so, war die Antwort. 

Tormos: “Auch Zukunftsbranchen sind nicht frei von Diskriminierung.”

Heute, mit 41, ist sie eine kleine, sehr vital wirkende Frau, die mit einem offenen Lächeln erzählt. Sie ist in der Nähe von Valencia aufgewachsen, hat Chemie in Spanien, Frankreich, Dänemark studiert, ist später in die Biomedizin gewechselt und hat in Kopenhagen sechs Jahre in der Krebsforschung gearbeitet. Das Thema Geschlechter-Ungerechtigkeit begleitete sie. “Zwar sind das Zukunftsbranchen“, sagt sie, “aber sie sind auch nicht frei von Diskriminierung. Das beginnt schon bei den Formulierungen in den Stellenausschreibungen, die ja darüber entscheiden, wer sich überhaupt bewirbt.“

Wie ein Star-up sich für Diversität einsetzt 

Jenifer Clausell Tormos
Anfangs als NGO abgetan, hat das Team von Develop Diverseinzwischen Kunden wie Dyson und Amazon.

2017 stieg sie deshalb aus der Forschung aus und gründete ihr erstes Start-up: Develop Diverse. Eine Art inklusive Schreibplattform, die mit einer KI hilft, die kleinen, aber wirksam ausgrenzenden Signalwörter in Ausschreibungstexten zu identifizieren und dafür alternative Formulierungen zu finden. Dadurch sollen sich Menschen aller Geschlechter, jeder Herkunft, jeden Alters gemeint fühlen und sich bewerben. “Begriffe wie Professionalität, Ehrgeiz oder Erfolg werden eher mit Männern verbunden“, sagt Tormos, “weil man sie unbewusst mit klassischen, männlich geprägten Stärken verbindet.“ Auch wenn sie auf den ersten Blick neutral wirken, verzerren sie, wie eine Ausschreibung wahrgenommen wird. Um diesen Gender Bias geht es ihr. Um das, was ungesagt mitschwingt. Wichtig auch wegen des Fachkräftemangels, allein in Tech-Firmen fehlen nach Schätzungen bereits weltweit mehr als eine Million Arbeitskräfte. Develop Diverse war laut Tormos in diesem Sektor die erste Firma in Skandinavien und eine der ersten in ganz Europa. Für sie war es ein Kaltstart in eine fremde Branche. “Ich hatte noch nie gegründet“, sagte sie. “Und es ging dabei ja auch um die Entwicklung meiner eigenen Werte.“ Anfangs fand sie keine Investoren, erlebte, was viele Gründerinnen erleben: den Gender Funding Gap, denn weltweit sind rund 90 Prozent der Gebenden männlich. “Sie lachten mir ins Gesicht, taten mich als NGO ab.“.

Ihr half, dass sie von der Cartier Women’s Initiative gefördert wurde – ein Netzwerk, das seit 18 Jahren weltweit Gründerinnen in nachhaltig sozialen oder ökologischen Branchen finanziell unterstützt, coacht und zusammenbringt. Tormos ist seit 2021 Stipendiatin; sie sagt, dass die Vernetzung mit anderen Gründerinnen für sie sehr wichtig war. Denn alle haben mit ähnlichen Problemen zu tun: Kapital einzutreiben, Durststrecken zu überwinden, Überlastungen auszuhalten und auch emotionale Krisen durchzustehen.

Develop Diverse hat inzwischen 25 Mitarbeitende und über 3000 User:innen, auch Branchenriesen wie Amazon, South Bank, Dyson. Tormos sagt, dass Unternehmen, die die Methode anwenden, die Zahl weiblicher Bewerberinnen um bis zu 300 Prozent steigern konnten.

Jennifer  Clausell Tormos: Das macht sie heute 

Ihr persönlicher Preis dafür: Tormos erlebte so etwas wie einen Burn-out in Raten. “Über Jahre hinweg merkte ich, dass meine Energie weniger wurde und die Freude ein bisschen schwand“, sagt sie. Sie habe Angst vor einem Herzinfarkt oder Schlaganfall gehabt, sich deswegen 2023 aus ihrer Firma zurückgezogen. Sie verließ Kopenhagen und zog nach Spanien zurück, wo sie nun in der Nähe ihrer Familie — sie selbst ist Single — lebt. Sie erzählt offen davon; auch wenn es nicht lange her ist, wirkt sie, als sei diese Episode vorüber.

Ein halbes Jahr lang machte sie erst mal nichts und sich dann Gedanken, wie es für sie weitergehen sollte. Inzwischen hat sie ein neues Start-up gegründet, es soll Menschen, speziell Unternehmerinnen, dabei begleiten, eine gute Balance in ihrem Leben zu finden, damit sie nicht in die totale Erschöpfung rutschen. Für sich selbst hat Jenifer Clausell Tormos zwei einfache Hilfsmittel gefunden. Sie hat sich zwei Hunde angeschafft, deren Fröhlichkeit sie jeden Morgen antreibt, und sich eine eiserne Regel auferlegt: nie wieder mehr als sechs Stunden am Tag zu arbeiten.

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue