Kolumne: "Fuck, warum eigentlich nicht gleich so?"

Aktuel

Das Leben ist oft ganz schön kompliziert. Zum Glück müssen wir da nicht allein durch. Diesmal: Beziehungstherapeut Oskar Holzberg über “Warum nicht gleich so?” – Momente.

Worum geht’s: Nach zehn Jahren Dauerfrust hatte Tonia ernsthaft mit Trennung gedroht. Das zeigt Wirkung: Plötzlich übernimmt ihr Partner seine Aufgaben in Haushalt und Familie, so wie sie es sich immer wünschte. Aber sie fühlt sich nicht erleichtert. Im Gegenteil. Sie ist völlig genervt, von allem, dennoch. Tonia ist verwirrt.Sollte sie jetzt nicht froh sein?

Bei Erfolgen sollte doch Freude aufkommen, vor allem, wenn wir lange darum gerungen haben. Deshalb ist Tonias Irritation verständlich. Doch so einfach ist es nicht. Zum einen bleibt in Partnerschaften erst einmal ein Zweifel, ob die Verhaltensveränderungen des Gegenübers wirklich von Dauer sind. Besonders dann, wenn wir mit Trennung gedroht haben. Ist das Schnurren unserer Partner:innen nur Valium, um unsere aufgebrachte Seele ruhigzustellen? Oder haben sie uns wirklich verstanden? Wir brauchen Zeit, um darauf zu vertrauen.

Aber das ist nicht alles. Denn in uns brodelt plötzlich die Frage, warum es vorher so lange so verdammt schwierig, zäh, anstrengend und blödsinnig frustrierend war, wenn es jetzt plötzlich möglich ist. “Fuck, warum eigentlich nicht gleich so?”, denken wir, und statt vor Begeisterung durchzudrehen, sind wir wütend. In Paartherapien geschieht das manchmal in Sekundenschnelle, wenn Partner:innen nach langen Sitzungen endlich das Mitgefühl ihrer Lieblingsmenschen erreichen. Dann spüren sie die liebevolle Verbindung, sind gerührt und weich. Doch schon einen Augenblick später werden sie ärgerlich und anklagend.

Mit Frust zurechtkommen lernen

Wenn ein Kampf vorüber ist, setzt die Erschöpfung ein, und die Schmerzen, die er verursacht hat, werden spürbar. Tonia hat gelitten. Sie wurde immer wieder zurückgewiesen, stolperte mit ihren Bemühungen ins Leere, hat sich wieder aufgerappelt, ihr Krönchen zurechtgerückt und weitergemacht. Dieses Leid möchte sie anerkannt haben. Ihr Partner muss das verstehen und aushalten. Wir alle müssen diesen Mechanismus verstehen und ihn aushalten. Frust kommt auch gerade dann auf, wenn es endlich gut geworden ist. Wenn der andere uns nach vielen gescheiterten Versuchen erreicht und wir füreinander da sind, dann bekommen wir den Frust darüber ab, dass wir solange nicht da waren.

Das Leben ist ein wilder Fluss voller Wirbel, die uns umherschleudern. Und kein Kanal, der, einmal gegraben, geradewegs zum Ziel führt. Denn auch der Partner, der sich jetzt mehr bemüht, ist ja jetzt wiederum frustriert, weil er zunächst keine Anerkennung findet. Als Paar kommen wir nur weiter, wenn wir den aufschießenden Frust eine Zeit verständnisvoll aushalten. Weil sonst die Annäherung wieder in den altbekannten gegenseitigen Vorwürfen untergeht.

Wenn sich jemand mit Beziehungen auskennt, dann er: Diplom-Psychologe Oskar Holzberg arbeitet als niedergelassener Psychotherapeut seit über 30 Jahren mit Paaren und schreibt darüber.

Heftbox Brigitte Standard

Source: Aktue