Neurobiologe erklärt: Warum unser Gehirn so ein Miesepeter ist – und wie wir das ändern

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Unser Gehirn sagt uns oft, was nicht so toll im Leben läuft. Warum eigentlich? Und geht das auch anders? Ein Neurobiologe sagt: ja!

“Der kommt doch eh nicht.” – bis zu jenem Gedanken war es eigentlich ein schöner Nachmittag. Du sitzt in der Sonne, vor dir ein Kaffee, um dich herum Bäume, Vögel und andere Menschen, die sich angeregt unterhalten – und ein Date am Horizont, das sicherlich in wenigen Minuten erscheinen wird. Das sieht dein Kopf allerdings anders. “Was soll das denn jetzt?”, fragst du in Richtung garstiges Gehirn. Keine Antwort. Wurde ja auch schon alles gesagt.

“Die haben dich bestimmt über den Tisch gezogen.” – eigentlich warst du bis eben noch ganz zufrieden mit dir. Du hast gerade Gehaltsverhandlungen hinter dir. Nicht dein liebstes Hobby, aber du hast dich akribisch vorbereitet, auf jedes Gegenargument eine gute Antwort finden können und eine Gehaltsanpassung zugesichert bekommen, mit der du zufrieden bist. Eigentlich. Aber da wäre offenbar noch mehr gegangen, denkt sich das garstige Gehirn in dir.

Warum ist unser Gehirn eigentlich so oft so negativ? “Du kannst das nicht!”, “Das ist viel zu gefährlich!”, “Das ist beängstigend, lauf sofort weg!” Sicherlich, bei manchen Menschen hält sich die pessimistische Ansammlung an Neuronen mehr zurück als bei anderen. Und trotzdem brauchen viele Menschen nicht lang, um auf die Frage, wie sie sich fühlen, mit einer ganzen Reihe eher negativ besetzten Zuständen zu antworten (genervt, müde, angestrengt, traurig …). Dafür gibt es eine einfache Erklärung, sagt der Neurobiologe Dr. Marcus Täuber im Interview – und gibt Tipps, wie wir unser Gehirn umtrainieren können.

Unser Blick auf Emotionen ist ziemlich verzerrt

Laut dem US-amerikanischen Anthropologen und Psychologen Paul Ekman, gibt es sieben sogenannte “Basisemotionen”, die auf der ganzen Welt und unabhängig der Kulturen auftreten. Diese Emotionen würden laut Ekman am Gesicht der Person ablesbar sein und dem Gegenüber so verraten, was gerade im Inneren des Menschen vor sich geht. Die Grundemotionen sind:

  • Freude
  • Angst
  • Wut
  • Überraschung
  • Ekel
  • Trauer
  • Verachtung

Wenn man sich diese Gefühle so anschaut, fällt auf: Besonders viele positiv behaftete sind nicht dabei. Aber es gibt laut Täuber noch andere Probleme an dem Modell, das inzwischen ziemlich überholt sei: “Zum einen, weil wir auch automatisiert Gefühle vortäuschen, die gar nicht da sind. Zum anderen, weil es ziemlich schnell sehr komplex wird, gerade bei zusammengesetzten Gefühlen.” Denn schließlich fühlen wir nicht immer nur eine Emotion, je nach Situation. Wenn wir beispielsweise eine schwere Trennung durchleben, dann empfinden wir vielleicht beim Gedanken an den:die Expartner:in Wut darüber, dass man uns verlassen hat, aber auch gleichzeitig Trauer über den Verlust und Angst, nun allein bleiben zu müssen. Auch die Mimik der Menschen sei schließlich sehr unterschiedlich, so der Wissenschaftler. 

“Das heißt, wir entfernen uns hier von Paul Ekman oder auch dem Naturforscher Charles Darwin, die der Ansicht waren, dass es diese fixen ‘Programme’ gibt und dass Emotionen im Prinzip dafür da sind, zu kommunizieren.” Ekmans Modell ist bei weitem nicht das einzige: In einer Studie der Universität Berkeley wurden zum Beispiel 27 Basisemotionen herausgearbeitet. “Wir wollten die ganze Palette von Emotionen, die unsere innere Welt färben, beleuchten, sagte der Neurowissenschaftler und Studienleiter Alan S. Cowen im Interview mit “Kurier”. So hätten die Teilnehmer:innen beispielsweise Emotionen wie Neid, Nostalgie oder auch Langeweile und Anbetung genannt. Dr. Täuber nennt weiterhin Forschungen, die lediglich vier oder gar Tausende Emotionen herausgearbeitet hätten.

Und hieraus ergibt sich bereits ein Problem: Oftmals fehlt es uns an Vokabular und dem Blick für unsere Gefühle, die viel facettenreicher sind, als uns manchmal selbst klar ist.

Warum unser Gehirn so negativ ist

Aber wenn Gefühle doch eindeutig mehr bieten als nur das vermeintlich Negative, wieso fällt es unserem Gehirn so schwer, das anzunehmen? “Unser Gehirn ist in erster Linie ein Überlebens- und Fortpflanzungsorgan. Es geht um die Arterhaltung nach evolutionären Gesichtspunkten”, erklärt der Neurobiologe. Meint: Angst soll verhindern, dass ich ein zu großes Risiko eingehe, denn im nächsten Busch könnte ein gefährliches Tier lauern. “Die negativen Emotionen kommen immer aus gefährlichen Situationen heraus.” Und haben ihren Sinn: “Wut setzt Energie frei, damit ich mir bestimmte Dinge nicht gefallen lasse. Hass führte dazu, dass ich gegen den benachbarten Stamm Krieg führte – das sind evolutionäre Programme in uns, die uns das Überleben in einer rauen Welt voller Gefahren ermöglicht haben. Damals ging es um das unmittelbare Überleben.”

Dies sei auch bei positiv besetzten Emotionen der Fall, nur eben nicht so unmittelbar, sondern eher langfristig. “Wenn ich Spaß erlebe, dann lerne ich beispielsweise mehr, werde besser in meinen Fähigkeiten und auch das sichert das Überleben – nur nicht in der Situation, wenn der Säbelzahntiger im Busch lauert.” Und daher gebe es dieses Ungleichgewicht im Gehirn, weswegen das Negative viel stärker prägt als das Positive. “Man möchte sagen, die Absicht, dass der Mensch ‘glücklich’ sei, ist im Plan der ‘Schöpfung’ nicht enthalten”, zitiert der Wissenschaftler den Psychologen Sigmund Freud.

Doch was in der heutigen Zeit als gefährlich vom Gehirn eingeordnet wird, ist es oftmals nicht. Zumindest nicht für unser Leben.

Wie uns eine Aufwärtsspirale gelingt

Der Neurobiologe nennt ein Beispiel, das unseren eher negativen Blick auf unsere Gefühlswelt verdeutlicht: Ein Mensch soll innerhalb einer halben Minute alle Emotionen nennen, die ihm einfallen. “Es ist schon bedenklich, dass die Mehrheit dieser Emotionen dann negativ ist”, so der Wissenschaftler. Ihm sei es wichtig zu verdeutlichen, dass gute beziehungsweise positiv besetzte Gefühle einen “unglaublichen Reichtum” haben. Unter anderem “Positive Psychology” nennt eine ganze Reihe von positiven Emotionen wie beispielsweise:

  • Dankbarkeit
  • Gelassenheit
  • Hoffnung
  • Ehrfurcht
  • Erhabenheit
  • Befriedigung
  • Heiterkeit
  • Zuversicht
  • Enthusiasmus 
  • Zufriedenheit
  • Euphorie

Und das sind nur einige wenige. “Die gute Nachricht ist, dass wir diese Gefühle weder intensiv noch dauerhaft erleben müssen, die Wissenschaft zeigt, dass es bereits ausreicht, wenn ich die Häufigkeit erhöhe”, erklärt Täuber. Wer also regelmäßig beispielsweise Dankbarkeit empfindet, werde mental stärker, empathischer, leistungsfähiger – “kurzum: zu einem besseren Menschen”, so der Neurobiologe. Und wie gesagt: Es soll nicht darum gehen, dass wir uns minutenlang in Dankbarkeit ob jedes Blattes am Baum suhlen – aber kurz innehalten, sich der Dinge gewahr werden, die gut in unserem Leben laufen, die uns wichtig sind, die wir schätzen und die eben keine Selbstverständlichkeit sind, trainiert auch unseren Blick auf die Welt.

“Unser Gehirn ist plastisch, im Prinzip wie Knetmasse”, erklärt Dr. Täuber. “Wir können das Gehirn auch auf das Positive hin trainieren – und das ist letztlich das, was wir heute brauchen. Heute geht es weniger um Säbelzahntiger als um eine Welt, die sich rasant verändert, und darum, dass wir darin zurechtkommen müssen – und das können wir erwerben.”

Das Buch "Gute Gefühle" von Dr. Marcus Täuber
© PR

Das Buch “Gute Gefühle – Nutze die emotionalen Stärken deines Gehirns” von Dr. Marcus Täuber stellt wichtige Fragen: Was macht unser Leben bunt und schön? Was lässt seelische Wunden heilen und beflügelt uns? Was zeichnet herausragende Menschen aus? Wie wir uns fühlen ist, was zählt – egal ob Frauen oder Männer, ob Kind oder Greis. Mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung möchte der Neurobiologe den Leser:innen zeigen, wie die emotionale Seite unseres Gehirns funktioniert, und gibt Tipps, wie wir dieses Wissen in unseren Alltag integrieren. Erschienen im Goldegg Verlag.

Verwendete Quellen: neverest.at, kurier.at, news.berkeley.edu, projekt-gutenberg.org

Source: Aktue